Corona-Krise zu Hause meistern: Wie wichtig ist die Persönlichkeit, Herr Psychologe?
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Der Psychologe Jürgen Margraf ist überzeugt: Viele Menschen begreifen während der Corona-Krise, worauf es im Leben wirklich ankommt.
© Quelle: Pixabay
Die Coronakrise wirkt sich unmittelbar auf die Psyche der Menschen aus. Einer, der sich damit besonders gut auskennt, ist Jürgen Margraf. Er ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie und Dekan der Fakultät für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Er forscht unter anderem zur Entstehung, Diagnostik und Behandlung psychischer Störungen und zu Prävention und Public Health.
Im RND-Interview erzählt der Experte, worauf es in Krisenzeiten ankommt, damit die psychische Gesundheit nicht leidet – und gibt Tipps, wie wir uns in häuslicher Isolation so organisieren können, dass niemand Schaden nimmt.
Herr Margraf, was geht Ihnen als Psychologe in Tagen wie diesen vor allem durch den Kopf?
Ich finde es bemerkenswert, dass wir in Krisenzeiten eine große Solidarisierung erfahren. Wir kennen das aus der Forschung, und jetzt ist es plötzlich Wirklichkeit. Natürlich gibt es Ausnahmen, Stichwort Klopapierkauf, aber im Allgemeinen ist die Hilfsbereitschaft sehr groß. Es ist beeindruckend, dass viele Menschen trotz Existenzängsten und Abstandsregeln positiver miteinander umgehen. Wir sind soziale Wesen. Wir brauchen die anderen, um überleben zu können.
Eingeschränkte Bewegungsfreiheit, soziale Isolation, geschlossene Läden: Ist es verständlich, die Virusbekämpfung als Freiheitsentzug wahrzunehmen?
Es wird sicher Leute geben, die negativ reagieren, weil sie sich darauf fokussieren, dass die Maßnahmen unfreiwillig sind. Wer aber zu dem Schluss kommt, dass das alles im eigenen Interesse und im Interesse der Menschheit als Ganzes passiert, wird das als nicht so schlimm empfinden. Wenn ich die Situation als kontrollierbar und vorhersehbar erlebe, dann macht mir das viel weniger Probleme als wenn ich sage: Ich verstehe nicht, was los ist, es gibt nichts, was ich tun kann.
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Jürgen Margraf ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie und Dekan der Fakultät für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum.
© Quelle: Alexander Basta, Düsseldorf
Wie beeinflusst die Persönlichkeitsstruktur die Wahrnehmung der Isolationszeit?
Besonders schwer haben es jetzt narzisstische Persönlichkeiten, die in sich sehr unsicher sind und extrem viel Bestätigung brauchen. Extravertiertere Typen sind sehr stark nach außen gerichtet. Es kann sein, dass man sich dann besonders stark eingeschränkt fühlt, weil viele Kontakte nach außen plötzlich einbrechen. Es kann aber genauso gut sein, dass introvertiertere Persönlichkeiten jetzt viel mehr Probleme haben, weil sie sich in Telefonaten und Videokonferenzen unwohl fühlen, während nach außen gerichtete Personen sich darüber schon intensiv mit der Außenwelt verbinden. Das sind aber alles nur graduelle Unterschiede. Die Persönlichkeit ist nie vollkommen einheitlich.
Die Psyche hat einen positiven Kern
Wer kommt in Krisenzeiten denn besonders gut klar?
Psychologen sprechen von einem positiven Kern der psychischen Gesundheit. Den haben vor allem diejenigen, die einen Sinn in ihrem Leben sehen, die mit ihrem Leben überwiegend zufrieden sind und stabile, vertrauensvolle Beziehungen zu Menschen haben, die ihnen wichtig sind. Darüber hinaus sind diese Menschen eher aktiv und haben das Gefühl, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können. Das ist das Muster, worauf es ankommt. Wer darin gut ist, steckt Stress und Krankheiten besser weg.
Frauenhaus berichtet von Zunahme häuslicher Gewalt
Schon jetzt brauche man nach Angaben eines Mannheimer Frauenhauses finanzielle Zusicherungen für mehr Kapazitäten und Personal.
© Quelle: Reuters
Und wenn diese Beschreibung auf mich nur in Teilen oder gar nicht zutrifft?
Dann können Sie etwas dagegen tun. Viele Menschen begreifen jetzt, worauf es im Leben wirklich ankommt. Ist es so wichtig, dass ich dieses eine Produkt kaufe? Ist es wirklich wichtig, eine der vielen Aufgaben bei der Arbeit sofort fertigzustellen? Oder ist es vielmehr wichtig, dass ich jetzt mit meinen Eltern und Kindern zusammen bin, und sei es am Telefon? Sie haben die Chance, Prioritäten neu zu justieren.
Für Menschen mit einer Depression kann die soziale Isolation eine Gefahr darstellen.
Es wird sicherlich Menschen geben, auf die sich die Maßnahmen negativ auswirken werden. Bei einer Depression ist der passive Rückzug der Kern des Geschehens. Das kann in häuslicher Isolation verstärkt werden. Empirische Daten belegen aber auch, dass in sehr krisenhaften Zeiten die Depressions- und Suizidrate oft runtergehen. Aber natürlich gibt es jetzt viele Patienten, die weiterhin eine gute Betreuung brauchen. Wir dürfen diese Menschen jetzt nicht im Stich lassen und sollten Hilfesuchende auch am Telefon oder im Internet beraten können.
Gefahr in Isolation: Zunehmende Gewalt
Das ständige Aufeinanderhocken in der Familie ist sicherlich auch eine Herausforderung.
Wenn Sie in einer sehr beengten Wohnung wohnen und den zwei Kindern für sie nicht nachvollziehbar erklären können, warum sie nicht mehr auf den Spielplatz dürfen, dann bedeutet das Stress. Es kann in beengten Situationen zu weniger gutem Erziehungsverhalten kommen – bis hin zu Gewalt. Es kann auch sein, dass Familien im ständigen Beieinandersein merken, dass man nicht immer das gleiche Bedürfnis nach Nähe hat. Da ist es natürlich gut, sich gegenseitig nach Möglichkeit Freiräume zu geben.
Welche Strategien können Familien beherzigen, damit die Situation zu Hause nicht eskaliert?
Erlauben Sie Rückzugsmöglichkeiten. Die meisten Menschen brauchen zwischendurch mal ein paar Minuten für sich. Das ist natürlich schwierig zuhause. Aber man darf ja noch Spaziergänge machen. Auch ein fester Plan mit Zeiten, in denen man zusammen ist, und welche, in denen man getrennt Dinge macht, kann sinnvoll sein. Auf keinen Fall sollten negative Gefühle in sich hineingefressen werden, dann kommt es schnell zur Explosion. Stattdessen sollten Sie das Gespräch suchen. Wer dabei nur meckert, aber keine Lösungsvorschläge parat hat, kommt nicht weiter.
Psychologen raten dazu, die Isolation zuhause für sich selbst bewusst zu nutzen. Wie schaffe ich es, eine Struktur in den Alltag zu bekommen, wenn es die bisherige so gar nicht mehr gibt?
Routinen helfen. Ganz wichtig: Sie sollten zu einer geregelten Zeit aufstehen. Wenn Sie zuhause arbeiten, halten Sie Pausen ein. Es besteht die Gefahr, dass man einfach durchackert. Ziehen Sie sich anständig an – es muss nicht Anzug oder Krawatte sein, aber eben auch nicht ausschließlich der Schlabberlook. Achten Sie auf Körperpflege, eine vernünftige Ernährung. Und halten Sie den Kontakt zu anderen Menschen. Keiner hindert Sie daran, zu telefonieren.
Corona und die Einsamkeit
Was können Menschen tun, die allein zu Hause ausharren?
Gibt es noch Kontakt zu anderen, ist es möglich, Skype und das Telefon zu nutzen. Ansonsten gilt: Alles, was Sie aktiv tun, führt dazu, dass Sie ein Gefühl von Kontrolle erlangen und sich dann auch automatisch besser fühlen. Das kann auch eine Hilfe in der Nachbarschaft sein. Es hilft nicht, nur auf der Couch zu sitzen und darüber zu grübeln, wie schlecht es Ihnen geht oder dass Sie in letzter Zeit zu wenig Freundschaften geknüpft haben.
Grübeln und Sorgen sollte man sich im Moment lieber verbieten?
Sich sorgen kann sinnvoll sein, um Szenarien durchspielen zu können und Lösungen zu erarbeiten. Wenn Sie aber merken, dass Sie sich im Kreis drehen oder von einer Sorge zur nächsten springen, ist das ein Warnzeichen. Um das zu unterbinden, kann man sich Sorgenzeiten definieren. Zum Beispiel eine halbe Stunde am Tag, in der man sich dazu zwingt, eine Sache bis zu Ende durchzudenken.
Was glauben Sie, haben wir nach der Krise alle gelernt?
Ich glaube nicht, dass die Welt danach auf einen Schlag besser wird. Aber wir werden sicherlich besser unterscheiden können, was wichtig ist und was eben nicht. Außerdem lernen wir, mit Herausforderungen umzugehen. Einige Menschen werden feststellen müssen, dass ihre Beziehungen zerbrechen. Andere werden spüren, wie gut es ist, Menschen an der Seite zu haben, auf die man sich auch in schwierigen Situationen verlassen kann.