Smartwatches: Gut für den Körper, schlecht für die geistige Gesundheit?
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Wie umgehen mit all den gelieferten Daten? Wer eine Smartwatch zum Fitnesstracking nutzt, sollte sich intensiv mit den einzelnen Funktionen und deren Bedeutung auseinandersetzen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die gelieferten Daten am Ende gänzlich falsch interpretiert werden.
© Quelle: Till Simon Nagel/dpa-tmn
Fitnesstracker und Smartwatches können in vielen Bereichen des Lebens sinnvoll sein und aufschlussreiche Daten liefern. Sie können dabei helfen, die Fitnessziele der tragenden Person zu erreichen, indem sie mithilfe von kleinen Grafiken den Fortschritt darstellen. Sie können ebenfalls unseren Puls und neuerdings sogar den Body-Mass-Index (BMI) und den Körperfettanteil messen.
Außerdem sind sie zur beliebten Erweiterung des Smartphones geworden. Man kann über sie Anrufe entgegennehmen, Nachrichten per Diktierfunktion einsprechen, Musik auf den verbundenen Kopfhörern abspielen und Benachrichtigungen ansehen. Allerdings kann der tägliche Gebrauch einer Smartwatch auch Risiken bergen – insbesondere für die geistige Gesundheit.
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Verunsicherung durch Selftracking?
Besonders schlimm kann es werden, wenn Menschen den Gadgets zu viel Bedeutung geben und sich davon (meist unbewusst) abhängig machen. Sie fühlen sich unter Druck gesetzt, wenn die aufgezeichneten Werte nicht der Norm oder der Erwartung entsprechen und werden dadurch verunsichert. In einer Studie von Lindsey Rosman, Kardiologin an der University of North Carolina, wird von einem derartigen Fallbeispiel berichtet.
Der 70-jährigen Patientin wurde ein Vorhofflimmern diagnostiziert, was zu unregelmäßigen Herzschlägen führt. Ein Jahr später wurden bei ihr neu aufgetretene Gesundheitsängste festgestellt, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit ihrer Smartwatch geschuldet waren, mutmaßen die Forscher. Durch die konstante Überwachung der Herzfrequenz wurde die Patientin nervös, wodurch ihre Frequenz stieg und wieder sank. Dies löste dann Benachrichtigungen der Smartwatch aus. Die Patientin hatte den festen Glauben entwickelt, dass eine Benachrichtigung der Smartwatch gleichbedeutend mit einer Verschlechterung der Herzfunktion ist. Aus dieser Überzeugung heraus entwickelte sich ein Teufelskreis der übermäßigen Sorge, kardialen Reizen und Empfindungen und kompensatorischen Verhaltensweisen wie eine zur Gewohnheit gewordene Überwachung des Herzens mit der Smartwatch und wiederholtes Aufsuchen von medizinischem Fachpersonal.
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Selftracking über ein Fitnessarmband kann sinnvoll sein – wenn man dem Gadget nicht zu viel Bedeutung gibt.
© Quelle: Prostock-Studio
Obwohl die Mediziner ihr immer wieder versicherten, dass ihre Befürchtungen grundlos wären, resultierte dieser Teufelskreis in zwölf Besuchen in Ambulanzkliniken und Notaufnahmen innerhalb eines Jahres sowie in zahlreichen Telefonaten mit Gesundheitsdienstleistern. All das führte dazu, dass ihre geistige Gesundheit rapide schlechter wurde. Schließlich wurde bei der Patientin eine hypochondrische Störung diagnostiziert.
Die Patientin sei kein Einzelfall, so Rosman: „Patienten mit Arrhythmien, Palpitationen und unregelmäßigem Herzschlag kommen häufig mit regelrechten Stapeln an Daten ihrer Smartwatches in die Kliniken“. Allerdings fehle den Ärzten meist schlicht die Zeit, durch alle Unterlagen der Patienten zu schauen, um ihnen helfen zu können. Dadurch würde ein Vertrauensbruch zwischen Patienten und Ärzten entstehen, da erstere sich nicht ernst genommen fühlen würden, sagte Rosman weiter. Sie wünsche sich eine bessere Aufklärung über die Gesundheitsdaten, die Smartwatches anzeigen, damit die Patientinnen und Patienten damit richtig umzugehen wissen.
„Leidenschaftliche Beziehung“ zwischen Tragenden und Gadgets
Der deutsche Sportsoziologe Robert Gugutzer sagte in einem Vortrag, dass die Personen, die einen Fitnesstracker benutzen, mit dem Gerät „eine emotionale Beziehung eingehen“, welche mit einer partnerschaftlichen Beziehung vergleichbar sei, da sich die Phasen einer partnerschaftlichen Beziehung den Phasen des Tragens eines Fitnesstrackers oder einer Smartwatch stark ähneln. Es gäbe, wie in einer romantischen Beziehung auch, eine Phase des Kennenlernens und die des ersten Verliebtseins. In der Phase des Kennenlernens gibt die Person ihre persönlichen Daten in das Gerät ein, welches dann alle anderen Daten wie Bewegungen aufzeichnet. So lernt das Gerät die Person kennen und kann ihr auf ihr Verhalten bezogen personalisierte Benachrichtigungen senden. Die Phase der Verliebtheit bedeute in dieser Hinsicht, dass die Person vom „Selftracking begeistert“ ist. So entstehe eine „leidenschaftliche Beziehung“ zwischen der tragenden Person und dem Gadget. Allerdings sagt Gugutzer auch: „Der Grad der leidenschaftlichen Beziehung kann ein Ausmaß annehmen, das einer suchtähnlichen Abhängigkeit gleicht“.
Gugutzer berichtet in seinem Vortrag von Nicki, einer Selftrackerin, die er untersuchte. „Was die App sagt, ist Gesetz“, zitiert Gugutzer sie. Der Sportsoziologe betont in diesem Zusammenhang, dass die tragenden Personen das Gadget als „externe Autorität“ wahrnehmen, welches dabei helfen soll, den inneren Schweinehund zu überwinden, und damit das eigene Verhalten zu ändern. Er hält außerdem fest, dass die Gadgets und Smartphones damit zu sehr „machtvollen Instrumenten“ würden. Den Vergleich zur Sucht zu ziehen, so Gugutzer, sei sehr passend, da sich zwischen der tragenden Person und dem Gadget eine Dynamik entwickele, welcher sich die tragende Person nicht mehr entziehen könne und vielleicht auch nicht entziehen möchte. Es entstehe eine Art Sog, bei der die nutzende Person immer mehr Daten eingeben und auch einsehen möchte und so die Dosis erhöhe.
Ein weiteres Problem, welches in diesem Zusammenhang von Gugutzer und anderen Wissenschaftlern hervorgehoben wird, ist die Quantifizierung des Körpers, also die Reduzierung von Eigenschaften und Funktionen auf simple Zahlen. Damit gehe die Fähigkeit verloren, auf die Instinkte und das Verlangen des Körpers zu hören und man konzentriere sich nur noch auf die Erreichung der von dem Gadget vorgegebenen Ziele.
Zudem wird kritisch angemerkt, dass die Wearables meist nur wirklich intensiv genutzt werden, weil sie psychischen Druck auf die tragende Person ausüben. Durch wiederholte Benachrichtigungen mit der Aufforderung zur Bewegung etwa fühlen sich die tragenden Personen unter Druck gesetzt und folgen der Anweisung.
Aus dem Teufelskreis ausbrechen
Ein gesunder Umgang mit den Wearables zum Selftracking ist also gefragt. Aber was tun, wenn man bemerkt, dass man dem Gadget zu viel Bedeutung und damit Kontrolle über das eigene Leben gibt? Hier sind drei Tipps, die Ihnen dabei helfen können, sich von den Zwängen, die Smartwatch und Fitnesstracker mit sich bringen können, zu befreien.
- Elizabeth Evans, Dozentin für Psychologie an der Newcastle University, sagte dem Magazin „Wired“, dass es wichtig sei, herauszufinden, wie das Gadget sich auf das eigene Empfinden auswirkt. „Überprüfen Sie die Grenzwerte nach einigen Wochen mit einer Person Ihres Vertrauens, um festzustellen, ob die Nutzung des Geräts einen positiven Einfluss auf Ihre Gedanken und Ihr Verhalten hat. Fühlen Sie sich bei bestimmten Funktionen schlechter als bei anderen? Schalten Sie sie aus“.
- Digital Detox: Die Psychologin Tara Quinn-Cirillo rät ebenfalls im Magazin „Wired“ dazu, bestimmte Zeiten festzulegen, in denen die Nutzenden den Tracker abmachen und die trackenden Apps abzuschalten. Die Personen sollen „versuchen, dies in eine Routine einzubauen, welche dazu beiträgt, dass dieses Verhalten implizit oder automatisch wird“.
- Sprechen Sie mit Expertinnen und Experten, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie dem Gadget zu viel Bedeutung geben oder nicht ganz verstehen, was die Daten bedeuten und wie Sie sie einordnen sollen. Gehen Sie zu Ihrem Hausarzt oder einem Psychologen, diese können Ihnen am Besten erklären, was die Datenmengen zu bedeuten haben und wie man sie hilfreich einsetzen kann.
RND/mkr