Kann man die Schulen nur offen lassen, wenn alle Kinder geimpft sind?
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Maskenpflicht, Abstand, Lüften: Forschende sind überzeugt, dass es weiterhin Maßnahmen zum Infektionsschutz in den Schulen braucht.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dp
Kinder und Jugendliche sind weitgehend ungeimpft – anders als ein Großteil der Erwachsenen. Der Druck aus der Politik wird deshalb zunehmend größer, die Impfungen bei den Jüngeren schnell weiter voranzubringen, zumindest bei den über Zwölfjährigen. Für diese Altersgruppe ist bislang nur der Biontech-Impfstoff zugelassen. Aber sind Impfungen die Lösung, um während der erwarteten vierten Infektionswelle Schulschließungen und Quarantäneschleifen im Klassenverbund zu vermeiden? Corona-Expertinnen und ‑Experten bezweifeln das.
Erneut ist die Debatte hochemotional: Schon in den vergangenen Monaten haben Kinder und Jugendliche besonders stark unter Lockdown und Schulschließungen gelitten. Die Folgen: psychische Probleme, Bewegungsmangel, Bildungsdefizite. Das soll – darüber sind sich Fachleute und Politik einig – auf gar keinen Fall noch einmal passieren. Die Einrichtungen sollen möglichst offen bleiben. Auch im Herbst und Winter, wenn die Delta-Variante insbesondere die Schülerinnen und Schüler sowie Kita-Kinder treffen und es vermehrt zu Ansteckungen kommen wird. Das es so kommen wird, davon gehen Fachleute aus.
Diskussionen über Beschränkungen für Ungeimpfte
Baden-Württemberg denkt über drastische Maßnahmen nach, um Geimpften und Genesenen Freiheiten zu gewähren.
© Quelle: Reuters
Schule und Kita im zweiten Corona-Herbst: Impfungen reichen nicht aus
Wir müssen wirklich alle Maßnahmen durchführen.
Thomas Mertens,
Stiko-Vorsitzender und Virologe
Der Druck lastet nicht zuletzt auf Thomas Mertens, dem Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission (Stiko). Das Gremium bleibt trotz Aufforderungen aus der Politik weiterhin bei seiner vorläufigen Empfehlung, nur Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen wie Adipositas, Diabetes und Lungenerkrankungen gegen Covid-19 zu impfen. Zum einen, weil die individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung bei gesunden Kindern noch nicht eindeutig zu treffen sei. Zum anderen, weil es noch an verwertbaren Daten zur Gefährdung durch die Erkrankung Covid-19 und zur Sicherheit des Impfstoffs mangele.
Sicher ist sich Mertens hingegen, dass das Argument „nicht korrekt“ sei, die Impfungen der über Zwölfjährigen als eine Voraussetzung für das Offenhalten der Schulen anzusehen. „Wir sollten nicht hingehen und so tun, als wenn die Impfungen der Ersatz für andere Maßnahmen werden“, sagte der Stiko-Vorsitzende im Gespräch mit dem Science Media Center (SMC). Nicht zuletzt, weil es trotz Impfungen weiterhin rund sieben Millionen Kinder in Deutschland gebe, die noch gar nicht geimpft werden könnten – eben weil kein Impfstoff für die unter Zwölfjährigen zugelassen ist.
„Wir müssen wirklich alle Maßnahmen durchführen“, betont Mertens. Das zeigten auch mathematische Modellierungen sehr eindeutig. Sonst könnten Herbst und Winter nicht gut überwunden werden.
Schulen offen lassen? Das hängt auch an den Erwachsenen
Allein ist der Stiko-Vorsitzende nicht mit seiner Einschätzung. „Wir müssen wirklich alles tun, um Schülerinnen, Schülern und Kita-Kindern Präsenzunterricht zu ermöglichen“, fordert auch Florian Klein, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Köln. Aber was bedeutet das konkret?
Eine generell niedrige Infektionslast hilft, dass die Schulen aufbleiben können.
Florian Klein,
Virologe
Zum einen seien da Klein zufolge die Erwachsenen, die einen sehr wichtigen Beitrag leisten können – indem sie das Infektionsgeschehen durch ihr eigenes Verhalten insgesamt weiter niedrig hielten. „Eine generell niedrige Infektionslast hilft, dass die Schulen aufbleiben können“, betont der Experte. „Und auch jeder Erwachsene, der sich impfen lässt, trägt dazu bei, das Infektionsgeschehen zu verringern.“
Eva Rehfuess, die Leiterin des Lehrstuhls für Public Health und Versorgungsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist, sieht auch die Abwägung beim Aufheben anderer Maßnahmen außerhalb der Schulen als entscheidenden Hebel. „Die Schulen sollten Priorität vor Fußballstadien und Discos haben“, betont die Wissenschaftlerin. Es sei wichtig, dass die Schulen offen blieben, und daher legitim, für dieses Ziel vorerst lieber an anderer Stelle nicht ganz so viel zu öffnen.
Das altbewährte Schulkonzept: Wechselunterricht, Masken, Lüften
Aber auch die Schulen selbst müssen sich den Forschenden zufolge wappnen. Rehfuess arbeitet gegenwärtig an einer erweiterten Leitlinie mit geeigneten Maßnahmen zu Prävention und Kontrolle der Sars-CoV-2-Übertragung in Schulen. Das bisherige Fazit aus der Runde der Expertinnen und Experten sei, auch bei wieder anziehendem Infektionsgeschehen mit der nun dominierenden Delta-Variante die Schulen offen lassen zu können. „Aber mit Schutzkonzepten“, betont Rehfuess. „Einzelmaßnahmen reichen nicht aus.“
Einzelmaßnahmen reichen nicht aus.
Eva Rehfuess,
Public-Health-Expertin
Bei erneut starkem Infektionsgeschehen in den Schulen brauche es, wie auch die Weltgesundheitsorganisation empfehle, vielmehr einen Dreiklang. Neu sind diese empfohlenen Maßnahmen nicht. Da sei die Prävention: Das umfasst zum Beispiel Wechselunterricht, die Beschränkung der sozialen Kontakte auf festgelegte Gruppen und das Tragen von medizinischen Masken statt Mund-Nasen-Schutz, Abstand, alle 20 Minuten lüften. Es brauche weiterhin regelmäßige Testungen, um Infektionen frühzeitig zu erkennen und Infektionsketten zu vermeiden. Verdachts- und Kontaktfälle müssten dementsprechend sofort nachverfolgt werden.
Bessere Teststrategie an Schulen möglich
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Für sicheren Präsenzunterricht braucht es Masken, Lüften und Testsysteme in Kombination.
© Quelle: imago images/Political-Moments
Auf ein neues Tool, einen „Teilbeitrag“, wie Virologe Klein das nennt, setzen Forschende aber vermehrt Hoffnung: sogenannte Lolli-Tests, die kindgerechter und mittels PCR auch präziser als die Antigen-Schnelltests funktionieren. An einigen Grund- und Förderschulen und Kitas in Nordrhein-Westfalen werden sie bereits angewendet. Die Schülerinnen und Schüler nehmen die Probe dann selbst, indem sie an einem Wattestäbchen lutschen und es in einen kleinen Becher werfen – im Klassenzimmer. Dieser Becher, in den bis zu 25 Wattestäbchen passen, wird dann vom Labor abgeholt und die PCR durchgeführt. Idealerweise kommt das Ergebnis am gleichen Tag.
Der große Vorteil: „Je einfacher die Probenentnahme und Durchführung für den Einzelnen ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass viele mitmachen“, erklärt Klein. Es gebe auch eine bessere Kontrolle, ob der Abstrich korrekt durchgeführt wird. Kostengünstiger und genauer seien die Ergebnisse auch, weil sie als ein „Pool“ per PCR ausgewertet werden. Erste Ergebnisse von Studien zeigten, dass die Machbarkeit und Akzeptanz dieser Testmethode sehr hoch sei, berichtet Klein. Und Infektionen wurden im ersten Testlauf auch gefunden. Ein Beispiel: „In Kitas in Köln wurden bei 50.000 Pooltestungen 89 Kinder und Erzieher positiv erkannt.“
Mobile Luftreiniger oder Durchlüften am Fenster?
Und welche Rolle können Luftfilter spielen? „Die Evidenz ist weiterhin nicht sehr gut, weil es keine systematischen Studien dazu gibt, wie viele Infektionen allein durch solche Geräte verhindert werden können“, berichtet Julia Hurraß, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin. Sie ist auch daran beteiligt, eine Leitlinie für das Lüften an Schulen zu erarbeiten. Noch sei diese aber nicht fertig.
Klar sei aber, dass regelmäßiges Lüften in Schulen generell wichtig sei – und das nicht erst seit Corona. Dadurch könnten etwa auch Allergene, Erkältungsviren, Schimmel begünstigende Feuchtigkeit und Kohlendioxid abziehen. „Ein Klassenraum, der nicht gelüftet wird, kann nicht genutzt werden“, betont die Expertin. Im Idealfall sei das gewährleistet durch die Fensterlüftung alle 20 Minuten zwei bis drei Minuten am Stück. Gleichwertige Lüftungsanlagen und Ventilatoren könnten eine Alternative oder Ergänzung darstellen.
Wer übernimmt Wartung und Filterwechsel?
In einigen Fällen könne aber auch über zusätzliche mobile Luftreinigungsgeräte nachgedacht werden. Das hänge aber von der infektiologischen Lage und den Raumbedingungen im jeweiligen Klassenzimmer ab. „Die Aufstellung der Geräte muss fachlich gut begleitet werden“, betont Hurraß. Sonst könne es beispielsweise passieren, dass der Luftwechsel nicht alle Schülerinnen und Schüler im Raum erreicht – oder der Lärm durch falsch ausgewählte Geräte zu hoch ist. Es könne auch einen Ausstoß von Schadstoffen durch einige dieser Geräte geben.
Nicht zuletzt sei es auch wichtig, vor der Installation abzusprechen, wer Wartung und Filterwechsel übernimmt. Und da die meisten Virusübertragungen im sogenannten Nahfeld passierten, nützten solche kostspieligen Geräte nicht viel – weshalb es auch immer die Kombination mit weiteren Maßnahmen wie Stoßlüften, Abstand und Masketragen brauche.