Corona und das Raucherparadox: weniger Infektionen, aber schlimmere Folgen?
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Raucher infizieren sich womöglich seltener mit dem Coronavirus, erkranken aber schwerer.
© Quelle: Peter Steffen/dpa
Rauchen gilt als Risikofaktor für schwere Verläufe von Covid-19. Aber es gibt auch Untersuchungen, die zeigen, dass Raucher und Raucherinnen sich womöglich seltener infizieren. Neue Studien lösen den scheinbaren Widerspruch auf.
Schon zu Beginn der Pandemie sorgte eine verblüffende Publikation für Aufsehen: So hatten französische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gezeigt, dass der Anteil an Rauchern und Raucherinnen unter an Covid-19-Erkrankten geringer war als in der Bevölkerung. In einer untersuchten Gruppe an Covid-19 Erkrankter waren nur 4 Prozent Raucher oder Raucherinnen gewesen, im Vergleich zu etwa 25 Prozent in einer Gruppe ähnlichen Alters in der Allgemeinbevölkerung.
Auch eine Theorie lieferten die französischen Forschenden mit: So sei es möglich, dass Nikotin die Ausbildung von ACE2-Rezeptoren auf der Zelloberfläche hemmt. An diese dockt das Coronavirus mit seinem Spike-Protein an, um in Zellen der Atemwege einzudringen. Nikotin, so die Idee, könnte also vor Infektionen schützen. Als Aufforderung zum Rauchen wollten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre Untersuchung aber nicht verstanden wissen. Sie wiesen auf die vielen Todesfälle infolge von Rauchen hin und außerdem darauf, dass Raucher und Raucherinnen wahrscheinlich schwerer erkranken, sobald sie sich doch mit dem Coronavirus infizieren.
Risiko, zu versterben, zwei- bis sechsmal so hoch
Das hat sich inzwischen in mehreren Studien bestätigt. So kam etwa eine Publikation vom Januar dieses Jahres im Wissenschaftsmagazin „Jama“ zu dem Schluss, dass Raucher und Raucherinnen, die zehn bis 30 Jahre lang eine Schachtel Zigaretten pro Tag rauchten, ein 1,4- bis zweifach höheres Risiko hatten, wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt werden zu müssen. Wer stark rauchte, hatte außerdem ein fast doppelt so hohes Risiko, an einer Corona-Infektion zu sterben, wie Nichtraucher und Nichtraucherinnen.
Auch eine aktuelle, groß angelegte britische Studie kommt zu solchen Ergebnissen. Im Vergleich zu Personen, die nicht rauchten, hatten Raucher und Raucherinnen darin ein fast doppelt so hohes Risiko, wegen eine Coronavirus-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Ihr Risiko, an einer Covid-19-Erkrankung zu versterben, war zwei- bis sechsmal so hoch, je nachdem, wie viele Zigaretten pro Tag sie rauchten.
Untersuchungen, die von einem schützenden Effekt des Rauchens ausgingen, gerieten hingegen in die Kritik. Das „British Medical Journal“ legte sogar Verbindungen zwischen einigen an solchen Studien Beteiligten und der Tabak- und E-Zigaretten-Industrie offen. Ganz ausräumen ließ sich der Verdacht jedoch nicht, so waren der Pariser Veröffentlichung etliche weitere Studien gefolgt, die ebenfalls ergaben, dass sich Raucher und Raucherinnen seltener anstecken.
Das Raucherparadox
Auch in Deutschland wurde dieser Effekt beobachtet. So hatte ein Team um den Bonner Virologen Hendrik Streeck zu Beginn der Pandemie einen Corona-Ausbruch auf einer Karnevalssitzung im rheinischen Heinsberg untersucht. Als die Forschenden vor Kurzem eine erneute Auswertung der Daten vornahmen, stellten sie fest: Auch dort hatten sich Rauchende offenbar weniger oft infiziert als die anderen Gäste der Sitzung. Die Ursache sei unklar, hatte Streeck gesagt, aber zwei mögliche Gründe genannt: Da der Rachen bei Rauchenden gereizt sei, gebe es dort mehr Immunaktivität. Das könne es dem Virus schwerer machen, sich festzusetzen. Eine weitere Erklärung sei, dass das häufige Rauchen vor der Tür im Freien die Expositionshäufigkeit verringert. Auch Streeck betonte, dass Raucher und Raucherinnen wenn, dann aber schwerer erkranken.
Aufgrund der scheinbar widersprüchlichen Studienlage sprach die Wissenschaft bereits vom „Raucherparadox“ in Bezug auf Covid-19. Allerdings ist beides möglich: dass sich Rauchende etwas seltener infizieren, im Fall einer Infektion aber schwerer erkranken. Klar ist in jedem Fall, dass die gesundheitlichen Nachteile durch das Rauchen so stark sind, dass niemand ernsthaft empfehlen würde, zum Schutz vor Corona zu rauchen.
Tabakrauch kann Bildung von Rezeptoren verhindern
Japanische Forschende haben daher einen neuen Ansatz verfolgt. Anstatt zu vergleichen, ob Raucher oder Nichtraucher öfter erkranken, untersuchten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, auf welche Weise genau Tabakrauch zumindest vor einer Infektion schützen könnte. Sie stellten fest: Tabakrauch kann tatsächlich die Bildung von ACE2-Rezeptoren auf der Zelloberfläche verhindern. Das Virus hat so weniger Möglichkeiten, in die Zellen einzudringen und sie zu infizieren.
Als Ursache machten die Forschenden in diesem Fall nicht das Nikotin, sondern polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) aus, krebserregende Substanzen aus dem Tabakrauch. Außerdem deckte das Team den Mechanismus auf, durch den PAK die Bildung der ACE2-Rezeptoren hemmen. Anschließen stellte es fest, dass sich der gleiche Effekt anstatt mit Rauch auch mit anderen Substanzen erreichen ließ. Nun muss nur noch überprüft werden, ob sich diese Erkenntnis nutzen lässt, um schweren Verläufen von Covid-19 mit Medikamenten vorzubeugen – ganz ohne schädlichen Tabakrauch.