Die Corona-Infektionszahlen rütteln wach
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Die Logik der Prävention ist schwer vermittelbar. Aber es hilft in der Corona-Pandemie, lieber jetzt weniger Leute zu treffen als im Winter niemanden.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Es ist eine Zahl, die plötzlich wieder beunruhigende Gefühle in Deutschland auslöst. Zum morgendlichen Wachwerd-Ritual gehören nicht mehr nur aufstehen, Kaffee kochen, frisch machen. In Pandemiezeiten ist auch das Update zu den täglich von den Gesundheitsämtern gemeldeten Corona-Neuinfektionen zur Routine geworden.
Im Sommer blieb der Wert überraschend konstant – und beruhigte. Aber seit einigen Wochen klettern die Zahlen wieder stetig in die Höhe. Mitte Oktober dann der ganz große Schreck. Erst meldet das Robert-Koch-Institut 6638 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden, einen Tag später steigt der Wert sogar auf 7334. So hoch war die Zahl noch nie. Das rüttelt wach.
Mit den Werten aus dem Frühjahr ist er zwar nicht direkt vergleichbar, weil mittlerweile wesentlich mehr getestet wird – und damit auch mehr Infektionen entdeckt werden. Es lässt sich aber nicht ausblenden, dass spätestens damit eine neue Phase des Verzichts eingeläutet wird. Kein Landkreis ist noch virusfrei, vor allem in den Großstädten verbreitet sich Sars-CoV-2 plötzlich rasant. Das Panikhirn denkt wieder an Pandemie-Begriffe wie zweite Welle, Lockdown, R-Wert, Kontaktverbot, Isolation. Und spürt: Das war es jetzt erst mal mit Lockerungen und einem weitgehend unbeschwerten Alltag wie im Sommer.
RKI: Rekordwert bei Corona-Neuinfektionen in Deutschland
Nach Angaben vom Donnerstag meldeten die Gesundheitsämter 6638 Neuinfektionen. Das sind rund 1500 mehr als am Mittwoch.
© Quelle: dpa
Die Gefahr: Ein Teufelskreis mit immer höheren Corona-Fallzahlen
Die Zahl der Neuinfektionen lässt Rückschlüsse zu drei befürchteten Kipppunkten im Pandemieverlauf zu.
Modellierer, Epidemiologen und Virologen machen seit Wochen auf die Gefahren aufmerksam, die steigende Infektionszahlen mit sich bringen. In der Politik wird mit dieser Erkenntnis gerade noch gerungen, wie die Uneinigkeit bei den Verhandlungen zu strikteren Maßnahmen zwischen Merkel und den Länderchefs diese Woche demonstriert. Aber die Zeit wird knapp. Es geht bei den Entscheidungen um viel mehr als die nackte Zahl.
Das Robert-Koch-Institut ermittelt aus den täglich registrierten Neuinfektionen Trends, die tiefergehende Rückschlüsse zum weiteren Verlauf zulassen. Dabei werden drei Kipppunkte befürchtet, bei denen die Kontrolle über den Pandemieverlauf entgleiten könnte:
- Die täglich gemeldete Zahl muss so klein sein, dass die Nachverfolgung von Infektionsketten und die Isolation von Kontaktpersonen durch die Gesundheitsämter gewährleistet werden kann. Gesundheitsminister Spahn räumte diese Woche ein, dass die Ämter lokal bereits an Grenzen stoßen.
- Klappt die Nachverfolgung nicht mehr, steigt auch der viel zitierte R-Wert plötzlich wieder drastisch und es entsteht ein Teufelskreis mit immer höheren Fallzahlen. Es droht dann exponentielles Wachstum oder auch: die gefürchtete zweite Welle. Bei den europäischen Nachbarländern ist das bereits der Fall – etwa in Frankreich und den Niederlanden.
- Nicht vergessen werden dürfen beim Blick auf Zahlen die Erkrankten selbst. Dahinter steht in vielen Fällen ein persönliches Schicksal, ein schwerer und wochenlanger Verlauf, unabsehbare Spätfolgen. Die Krankenhäuser müssen dafür ausreichend Kapazitäten bewahren. Und bei exponentiellem Wachstum kann die Grenze plötzlich sehr schnell erreicht sein.
Bund und Länder verschärfen Corona-Regeln
So soll der rasante Anstieg an Neuinfektionen gebremst werden und eine Überlastung des Gesundheitssystems vermieden werden.
© Quelle: Reuters
Noch nicht zu spät: Lieber präventiv Kontakte begrenzen
Noch gibt es Hoffnung, dass Deutschland weiter gut durch die Pandemie kommt. „Wir sind in einer Situation, in der wir das exponentielle Wachstum noch verhindern können“, betonte RKI-Chef Lothar Wieler am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Anders als im Frühjahr ist Deutschland besser auf eine zweite Infektionswelle vorbereitet. Wir haben Sars-CoV-2 ein Stück weit kennengelernt und wissen, dass beispielsweise Maskentragen, Abstandhalten, Händewaschen und Lüften Infektionen vermeiden können. Wir wissen inzwischen also sehr gut, dass jeder Einzelne auf freiwilliger Basis mit rücksichtsvollem Verhalten Leben retten kann.
Das zeigen auch die Zahlen, wie jüngst die Statistikexpertin Anita Schöbel vom Fraunhofer-Institut erklärte. Wenn jeder die eigenen Kontakte konsequent halbiert und die Gesundheitsämter weiterhin Infektionsketten so effizient unterbrechen, wie sie es derzeit tun, könnte der R-Wert wieder unter den kritischen Wert von eins gedrückt werden. Damit würde das Wachstum der Neuinfektionen gebremst. Das käme sogar der Wirtschaft zugute, betonten Modellierer. Es gebe langfristig weniger Tote, weniger Erkrankte, weniger Angst.
Es macht also durchaus Sinn, vorbeugend Kontakte zu begrenzen. Dafür muss nicht auf von der Politik vorgegebene Maßnahmen gewartet werden. Jetzt ist nicht die Zeit für große Familientreffen, Geburtstagsfeiern und Gruppenreisen. Auch wenn es nervt. Es ist wieder Zeit für Verzicht, für das Verlegen nicht notwendiger Treffen ins Digitale, Homeoffice, das Leben mit ausgewählten Personen im engsten Kreis. Strategien, damit umzugehen, hat ein Großteil der Menschen im Frühjahr erlernt. Daran sollten wir uns jetzt erinnern.