Psychiater über Klinikmorde: „Das Bild des krankhaften Psychopathen greift zu kurz“

Eine Krankenpflegerin schiebt ein Krankenbett durch einen Gang einer Station.

Eine Krankenpflegerin schiebt ein Krankenbett durch einen Gang einer Station.

Hamm, Oldenburg. Der Psychiatrie-Professor Karl Beine warnt davor, Patientenmorde in Krankenhäusern als das Werk von gestörten Einzeltätern abzutun. Verantwortlich seien auch Kollegen und Vorgesetzte, die wegschauten, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). In seinem neuen Buch „Tatort Krankenhaus“ kritisiert er zudem das System der Krankenhauswirtschaft, das Patienten zu Kunden zu mache und die helfende und pflegerische Beziehung in ein Marktgeschehen presse.

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Der 70-jährige Beine forscht seit Jahren über Krankenpfleger und Ärzte, die Patienten getötet haben. In seinem neuen Buch untersucht er Mordserien in deutschen Krankenhäusern und fragt nach den Ursachen. In Oldenburg verfolgte er den Prozess gegen den früheren Krankenpfleger Niels Högel, der 2019 wegen Mordes an 85 Patienten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Der Mediziner war bis 2020 Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke und Chefarzt am St. Marien-Hospital im westfälischen Hamm.

Hohe Dunkelziffer in Kliniken

Zwar gebe es nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen über Klinikmorde, sagte Beine. Doch zeigten kriminologische Studien, dass in Deutschland jährlich bis zu 2.400 Tötungsopfer nicht als solche erkannt würden. „Vieles spricht dafür, dass die Dunkelziffer in Kliniken deutlich höher ist.“

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Die Tötungsserien seien zugleich ein Hinweis auf strukturelle Defizite in den Krankenhäusern. „Das Bild des krankhaften Psychopathen, der nicht weiß, was er tut, greift zu kurz“, erläuterte der Professor. Neben der Tatbereitschaft spiele die berufliche Umgebung mit Vorgesetzten und Kollegen eine wesentliche Rolle. „Wenn erste kritische Beobachtungen gemacht werden, aber Kollegen und Vorgesetzte keinen Aufklärungswillen zeigen oder gar aktive Vertuschung betreiben, wird es sehr gefährlich.“

Zu wenig Pflegepersonal, zu viel Stress

Nach Beines Worten gibt es in einigen zu Tatorten gewordenen Kliniken „eine verstörende Grauzone, in der die Grenzen zwischen unkritischer Kollegialität, absichtlichem Wegsehen und Komplizenschaft verschwimmen“. Ein Grund sei, dass das gegenwärtige Krankenhaussystem Pflegekräfte und die Ärzteschaft dazu zwinge, gegen fachliche und ethische Maßstäbe zu verstoßen, weil es zu wenig Pflegepersonal gebe, und der Stress groß sei. „Da übersehen sie Dinge, die sie eigentlich sehen sollten.“

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„Ich bin fest davon überzeugt, dass die gigantische überwiegende Zahl der Schwestern, Pfleger sowie Ärztinnen und Ärzte ihre Aufgaben gewissenhaft, sorgfältig und kompetent erledigen“, sagte Beine. Doch um weitere Tötungen zu verhindern, sollten die Mitarbeitenden darüber aufgeklärt werden, dass so etwas grundsätzlich auch an ihrem Arbeitsplatz passieren könne. Das sei kein Plädoyer für ein permanentes Misstrauen: „Es geht darum, das im Hinterkopf zu haben, wenn etwas merkwürdig erscheint.“

RND/epd

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