Nobelpreis für Klimaforscher Hasselmann: Darum sind Modellierungen so wichtig
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Das Klima verändert sich. Das beobachten Klimaforschende schon lange. Die Frage ist, wie Gesellschaften darauf reagieren – und wann.
© Quelle: imago images/Jan Eifert
Es seien direkte Maßnahmen gegen den Klimawandel erforderlich, sagte Klaus Hasselmann nur wenige Minuten, nachdem er von der Zuerkennung des diesjährigen Physik-Nobelpreises erfahren hatte. „Die Frage ist aber, ob Menschen erkennen, dass wir jetzt handeln müssen, um etwas zu stoppen, das in 20 oder 30 Jahren eintreten wird. Das ist das Hauptproblem des Klimawandels“, machte der Forscher deutlich. „Und dagegen kämpfen wir als Klimaforscher nun schon seit vielen Jahren.“
Den Anruf eines Vertreters des Nobelpreiskomitees nutzte Hasselmann also, um auf ein grundsätzliches Problem unserer Zeit aufmerksam zu machen, wenn es um das Klima geht. Forschende zeigen seit den 90er-Jahren mit komplexen Modellierungen, wie sich die Erde bei einer weiter ansteigenden Treibhausgas-Konzentration erwärmen wird. Solche Berechnungen sind eine wichtige Grundlage für gesellschaftliche und politische Entscheidungen. Aber die Welt zögert, die Menschen handeln erst sehr spät, vielleicht zu spät.
Hasselmann zeigte mit Modell den Einfluss des Menschen aufs Klima
Unter anderem bei Klaus Hasselmann fand die Entwicklung von Klimamodellen ihren Ursprung. Seine Forschung zeigte schon vor 30 Jahren: Die Klimaerwärmung ist real – und in großen Teilen menschengemacht. Er war einer der Ersten, der eine Methode entwickelte, in dem das Klimasystem als stochastisches Klimamodell, als komplexe statistische Größe, angesehen wurde. Seine Arbeit und viele weitere Modellberechnungen von Forschenden auf der ganzen Welt spielen auch heutzutage bei den Berichten des Weltklimarats (IPCC) eine entscheidende Rolle, um das Ausmaß der Erderwärmung zu bewerten.
Trotz der bedrohlichen Szenarien für die nahe und ferne Zukunft wird der CO₂-Ausstoß für einen weniger dramatischen Temperaturanstieg bislang aber weltweit nicht ausreichend reduziert. Von den Zielen des Pariser Klimaabkommens sei man noch weit entfernt, betonte vor wenigen Wochen erneut der Weltklimarat. Die Ergebnisse der Klimamodellierungen wurden offensichtlich immer noch nicht ernst genug genommen.
Klimaforschung setzt auch heute auf Modellierungen
Und auch Hasselmann als Person, heute 89 Jahre alt, ist einer breiten Öffentlichkeit hierzulande bislang kaum bekannt gewesen. In der wissenschaftlichen Community aber gilt der Nobelpreisträger schon seit Jahrzehnten als einer der „Väter der globalen modernen Klimaforschung“, machte Hans von Storch, ebenfalls Klimawissenschaftler auf dem Gebiet, gegenüber dem RND deutlich. In den 90er-Jahren forschte er unter Hasselmann am Max-Planck Institut für Meteorologie in Hamburg und schreibt zur Zeit mit einer internationalen Gruppe an einem Buch, das die Leistungen des Nobelpreisträgers würdigen soll.
Von diesem Hamburger Institut aus waren Anfang der 1990er-Jahre wesentliche Impulse zur Klimadiagnostik und zur Klimamodellierung ausgegangen. Von dort aus entwickelte sich überhaupt erst eine Infrastruktur, die auch heute noch die Klimaforschung im Land voranbringt – etwa mit dem Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg und dem Potsdamer Institut für Klimaforschung. Die von Hasselmann entwickelte „Fingerabdruck“-Methode ist heute auch die Grundlage der Berichte des Weltklimarats und ein Ausgangspunkt der sogenannten Attributionsforschung. Damit können Klimaveränderungen und Extremereignisse immer eindeutiger auf unser eigenes Handeln zurückführt werden.
Ein häufiges Missverständnis: Modellierungen sind keine Prognosen
Hasselmann hat mit seiner Arbeit gezeigt, dass das Verständnis komplexer Systeme durch statistische Methoden relevant ist, um den Klimawandel besser zu verstehen. Und nicht nur in dieser Krise sind Modellierungen relevant. Jüngstes Beispiel ist die Corona-Pandemie. Expertinnen und Experten aus Mathematik und Physik sind von Beginn an gefragt. Sie beschreiben Szenarien zum weiteren Verlauf und ringen darum, Ordnung ins Zahlenchaos zu bringen. Sie schauen auf bestätigte Fallzahlen, die Positivrate bei Tests, die Belegung der Intensivbetten, Todesraten, Bewegungsdaten und Kontaktraten. Heutzutage helfen dabei, anders als noch in den 1990ern, auch Computersysteme, künstliche Intelligenz, Hochleistungsrechner.
Wenn es um die Debatte der Verhältnismäßigkeiten geht, geraten Szenarien, die dann doch nicht genau so eingetreten sind, aber auch immer wieder in Kritik. Diese beruht auf einem Missverständnis. Denn solche Projektionen bezeichnen Forschende im engeren Sinne nicht als Prognosen oder konkrete Vorhersagen. Es sind demnach vielmehr „Wenn<<, dann“-Aussagen unter vorher festgelegten Parametern. Meint also: Wenn dieses Szenario genau unter diesen Bedingungen eintrifft, dann könnte das geschehen.
Deshalb betonen viele Forschende, die mit Modellen arbeiten, keine konkreten Handlungsempfehlungen für die Politik auszusprechen. Einen Pandemie- oder Klimawandelverlauf zu berechnen, das ist herausfordernd. Denn die Kennzahlen, mit denen Forschende rechnen, verschieben sich immer wieder. Das Virus war erst neu, dann veränderte es sich. Die Strategie wird ständig angepasst, bei Corona wie bei der Klimapolitik. Die Menschen verändern immer wieder ihr Verhalten. Darin liegt also in der Tat eine gewisse Unsicherheit.
Trotzdem entscheidet die Politik unter anderem auf dieser Basis über Maßnahmen und Strategien zum Umgang mit den Krisen. Denn solche Berechnungen bilden die Grundlage für die Bewertung von Risiken in den großen Krisen: Pandemie und Klimawandel. Die Arbeiten aus Physik und Mathematik können eine komplexe Wirklichkeit vereinfacht darstellen, vage bis konkrete Blicke in die Zukunft werfen – und damit schon früher auf die Dringlichkeit aufmerksam machen, obwohl die Krise im Alltag möglicherweise noch nicht konkret spürbar ist. So wie es Klaus Hasselmann mit seiner Arbeit getan hat.