Süchtig nach Nasenspray: Wieso eine längere Einnahme gefährlich ist
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Medikament mit Suchtfaktor: Nasenspray kann bereits nach kurzer Zeit abhängig machen.
© Quelle: Oliver Berg/dpa
Die Nase ist permanent dicht, das Atmen fällt schwer – an Schlaf oder daran, ohne Nasenspray das Haus zu verlassen, ist nicht zu denken. Laut Experten sind bis zu 140.000 Menschen in Deutschland süchtig nach dem rezeptfreien Medikament. Die Dunkelziffer wird sogar auf eine Million Betroffene geschätzt. Unter den 20 meistverkauften und rezeptfreien Mitteln in Apotheken sind laut Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen derzeit vier Präparate mit abschwellenden Nasensprays.
Gerade erst hat sich Rapper Sido zu seiner Sprayabhängigkeit bekannt: Nach eigenen Aussagen nimmt er das Medikament seit 15 Jahren. Nun will er seine Sucht loswerden. Denn das Medikament aus dem kleinen Fläschchen ist mit seinem Wirkstoff Xylometazolin alles andere als harmlos.
Auch die Wissenschaft beschäftigt sich mit dem Thema. Glaeske hat die Nasenspraysucht genauer untersucht und warnt schon länger vor den Folgen. 2018 forderte er sogar ein Werbeverbot für abschwellende Nasensprays, wie etwa die „Ärzte-Zeitung“ berichtete. Auch der Verein Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen thematisiert die Risiken und Folgen auf seiner Homepage.
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Auf Instagram verkündete Sido, seine Nasenspraysucht bekämpfen zu wollen.
© Quelle: Screenshot/Instagram/Sido
Wie wirkt Nasenspray?
Der Wirkstoff Xylometazolin ist in den meisten Nasensprays enthalten. Er imitiert die Reaktion des körpereigenen sympatischen Nervensystems – ein Alarmsystem, das bei Gefahr Adrenalin ausschüttet. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt und das Atmen fällt wieder leichter. Der Wirkstoff sorgt dafür, dass die bei Schnupfen und Erkältung angeschwollenen Nasenschleimhäute wieder abschwellen und sich die Blutgefäße verengen. Die Wirkung ist nach wenigen Minuten spürbar.
Warum kann Nasenspray süchtig machen?
Die Schleimhäute gewöhnen sich bei regelmäßigem Nasenspraygebrauch schnell an die entspannende Wirkung des Xylometazolins. Sie werden empfindlich und schwellen dauerhaft an. Wer seine Nase nicht regelmäßig mit Spray versorgt, hat das Gefühl, keine Luft mehr durch die verstopfte Nase zu bekommen. Denn lässt die Wirkung nach, schwillt die Schleimhaut wieder an und das Blut schießt zurück in die Gefäße.
Was sind die Folgen der Sucht?
Die Nase trocknet aus, beginnt zu jucken – häufiges Nasenbluten kann die Folge sein. Die permanente Reizung der Schleimhaut kann zu einer Erkrankung mit einem entsprechend unschönen Namen führen: der sogenannten Stinknase (Ozäna). Aus dem Geruchsorgan strömt dann ein süßlich-fauliger Geruch. Den bemerken häufig eher die Mitmenschen der Betroffenen. Ihre eigenen Geruchsnerven haben sich nämlich meistens an die Ausdünstungen gewöhnt. Auch Geruchs- und Geschmackssinn stumpfen im Laufe der Zeit ab.
Außerdem werden die Flimmerhärchen in der Nase zerstört, die den Schleim abtransportieren. Viren und Bakterien können leichter eindringen und die Wahrscheinlichkeit, häufiger krank zu werden, steigt.
Wann wird die Abhängigkeit gefährlich?
Durch die regelmäßige Versorgung mit Xylometazolin wird auch der Nasenknorpel schlechter durchblutet. Mit unschönen Folgen: Das Gewebe stirbt ab und es bildet sich ein Loch in der Nasenscheidewand.
Ab wann ist man süchtig?
Apotheker und Gesundheitsexperten raten dazu, abschwellendes Spray nicht länger als eine Woche zu konsumieren – also nicht über den Zeitraum einer normalen Erkältung hinaus. Der Pharmakologe Gerd Glaeske von der Universität Bremen warnt, zu große Mengen zu sprühen. „Fünf Milliliter reichen für einen Zeitraum von fünf bis sieben Tagen vollkommen aus.“ Ein Fläschchen Spray hingegen enthält in der Regel 15 Millimeter.
Nach zwei Wochen regelmäßiger Anwendung setzt eine Gewöhnung ein. Die anfänglichen Dosen reichen nicht mehr aus. Betroffenen fällt es schwer, ohne Spray zu schlafen oder überhaupt das Haus zu verlassen.
Wie kommen Betroffene aus der Sucht heraus?
Wer Nasenspray bereits über mehrere Monate oder Jahre konsumiert, sollte den Entzug mit seinem HNO-Arzt planen. Begleiterscheinung können bis zu drei Wochen auftreten. Ohne Nasenspray verstopft sich die Nase der Betroffenen schon nach kurzer Zeit.
In den ersten Tagen des Entzugs kann es helfen, nur ein Nasenloch einzusprayen. So bleibt eine Seite frei, während das andere Nasenloch entwöhnt wird. Neben Xylometazolin-Spray gibt es auch unbedenkliche Alternativen. Das sind etwa eine Nasendusche oder nicht abschwellende Sprays auf natürlicher Basis. Sie versorgen die gereizte Schleimhaut mit pflegenden Stoffen. Durch sie können Betroffene das angewöhnte Sprayritual vorerst beibehalten – das kann ein psychologischer Vorteil beim Entzug sein.
Sollte Nasenspray verschreibungspflichtig werden?
Wissenschaftler Glaeseke sieht in einer möglichen Rezeptpflicht nicht das letzte Mittel: "Wenn Apotheker gut beraten, die Verbraucher den Beipackzettel lesen und die Mittel bestimmungsgemäß anwenden, entsteht keine Abhängigkeit. Das geschieht nur durch zu lange Anwendung. Rezeptpflicht ist nicht immer eine gute Prävention - die größte Anzahl von Abhängigen gibt es bei verschreibungspflichtigen Schlafmitteln und Tranquilizern: Rund 1,5 Millionen Menschen sind das in Deutschland, zwei Drittel davon sind über 65 Jahre und davon wieder zwei Drittel Frauen", sagt der Wissenschaftler.