Immunsystem durch Corona-Maßnahmen geschwächt: mehr Atemwegsinfektionen bei Kindern

Kleiner Junge mit Atemmaske in der Corona-Quarantäre – die Abschottung hat bei einigen Kindern auch zu einer Schwächung des Immunsystems geführt.

Kleiner Junge mit Atemmaske in der Corona-Quarantäre – die Abschottung hat bei einigen Kindern auch zu einer Schwächung des Immunsystems geführt.

Deutlich mehr Kinder als sonst zu dieser Jahreszeit erkranken derzeit an Atemwegsinfektionen. Es handelt sich, da sind sich Experten und Expertinnen einig, um eine Spätfolge der Corona-Maßnahmen. Masken, Schul- und Kitaschließungen, Isolation und Hygieneregeln hatte neben dem Coronavirus auch viele andere Atemwegserkrankungen zurückgedrängt. Das Immunsystem der Kleinsten wurde dadurch geschwächt und ist nun schlechter auf neue Infektionswellen vorbereitet. Jetzt, wo wieder mehr Viren und Bakterien zirkulieren, erkranken deshalb besonders viele von ihnen – so viele, dass in einigen Krankenhäusern sogar die Überlastung droht.

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In Hannover musste eine Kinderklinik bereits kranke Kinder abweisen, in Berlin gibt es immer weniger freie Betten und auch in Nordrhein-Westfalen könnte es bei den Krankhausplätzen für Kinder zu einem Engpass kommen. Viele Kliniken dort sollen bereits jetzt voll sein, wie der Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Nordrhein im Gespräch mit der Rheinischen Post mitteilte.

Laut Robert Koch-Institut (RKI) wurden vor der Pandemie im September pro Woche durchschnittlich 60 bis 70 Kinder zwischen ein und vier Jahren wegen schwerer Atemwegsinfekten in Kliniken eingewiesen. Aktuell sind es doppelt so viele. Das RKI berichtet dabei von einem starken Anstieg der Krankenhauseinweisungen wegen RS-Virus-Infektionen in dieser Altersgruppe.

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Infektionsgeschehen weltweit verändert

Im Unterschied zum Coronavirus ist das RS-Virus besonders für Kinder gefährlich. Der Erreger gehört zu den häufigsten Auslösern von akuten Atemwegsinfektionen bei Säuglingen und Kleinkindern. In den meisten Fällen heilt eine Erkrankung wieder aus, es sind aber auch schwere Verläufe und Todesfälle möglich. Die Ansteckung erfolgt vor allem durch Tröpfcheninfektionen beim Kontakt mit einer infizierten Person oder durch kontaminierte Gegenstände und Oberflächen. Das Virus vermehrt sich in den Schleimhäuten der Atemwege, was bei älteren Kindern oder Erwachsenen meist nur erkältungsähnliche Symptome verursacht. Bei Babys, deren Atemwege noch nicht richtig ausgebildet sind, drohen öfter schwere Verläufen. Es kann zur einer Entzündung der Bronchien und ihrer Verästelungen kommen oder zu einer Lungenentzündung.

Nach Angaben des RKI ist bei Kindern im ersten Lebensjahr normalerweise mit etwa 5,6 schweren Verläufen auf 1000 Kinder zu rechnen. Bei 0,2 Prozent der Kinder, die deshalb im Krankenhaus behandelt werden müssen, verläuft die Erkrankung tödlich. Bei Kindern mit besonderen Risikofaktoren, dazu zählen Frühgeborene mit Herz- oder Lungenerkrankungen, verlaufen bis zu 5 Prozent dieser Fälle tödlich. Weltweit sterben jedes Jahr mehr als 50.000 Kinder an den Folgen einer RSV-Infektion. Auch Erwachsene können in seltenen Fällen schwer erkranken, vor allem dann, wenn sie immungeschwächt sind oder bereits an einer chronischen Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankung leiden.

RSV-Infektionen treten üblicherweise gehäuft während der kalten Jahreszeit auf. Doch durch die Corona-Maßnahmen hat sich das Infektionsgeschehen bereits in vielen Ländern verändert. So waren in Folge von Lockdowns und Infektionsschutz während der Corona-Pandemie zunächst weniger Kinder am RS-Virus erkrankt. Aber mit dem allmählichen Wegfall von Maßnahmen traten neue Infektionswellen selbst im Sommer auf und fielen umso heftiger aus. In den USA lagen die Infektions­zahlen mit dem RS-Virus im Juli 2021 gut 60-mal höher als noch im Vorjahr. In den Niederlanden mussten bereits Ende Juli so viele Kinder gleichzeitig behandelt werden, dass Krankenhäuser überlastet waren. Auch in Neuseeland, Australien und Israel wurde eine Zunahme der Infektionen beobachtet.

Schwindende Immunität beobachtet

Amerikanische Forschende haben das Phänomen genauer untersucht, ihre Ergebnisse wurden im Wissenschaftsmagazin Pediatrics veröffentlicht. Sie stellten fest, dass nach der Aufhebung der strengsten Corona-Regeln nicht nur mehr Kinder erkrankten, sondern die Infektionen bei kleinen Kindern im Durchschnitt auch schwerer verliefen, als vor dem Beginn der Maßnahmen. Als Grund vermuteten sie eine schwindende Immunität, weil dem Abwehrsystem zu lange die Auseinandersetzung mit dem Erreger fehlte. Von dieser Erklärung gehen auch andere Experten und Expertinnen inzwischen aus.

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Normalerweise kommen Kinder schon sehr früh mit RS-Viren in Kontakt, wenn diese während der Wintermonate zirkulieren. Bis zum Alter von zwei Jahren haben die meisten von ihnen laut RKI eine erste Infektion mit dem Virus durchgemacht. Eine erneuter Kontakt führt danach in der Regel nur noch zu milden Symptomen, trainiert aber das Immunsystem. Dieser Effekt entfiel nun wegen der Corona-Maßnahmen. Zudem sind viele Kinder, die seit Pandemiebeginn geboren wurden, noch gar nicht in Kontakt mit dem Erreger gekommen.

Auch das kann sich nun als problematisch erweisen. Und zwar nicht nur deshalb, weil viele von ihnen nun zur gleichen Zeit erkranken. So sind Kinder während der ersten Lebenswochen meist noch durch Antikörper geschützt, die von der Mutter während der Schwangerschaft und durch die Muttermilch auf sie übertragen werden. Fällt der erste Kontakt mit dem Virus in diese Phase, erkranken Babys ohne Risikofaktoren so gut wie nie schwer – gefährdet sind höchstens Frühgeborene, die wegen der kürzeren Schwangerschaft weniger vom Immunschutz durch die Mutter profitieren. Nun aber hatten viele Säuglinge in den Wochen nach der Geburt keine Chance auf einen Kontakt mit dem Erreger und werden ihm dafür erst später ausgesetzt, wenn der mütterlicherseits vermittelte Immunschutz bereits nachgelassen hat.

Hygienemaßnahmen keine Dauerlösung

Eine Zunahme der RS-Virus Infektionen war auch in Deutschland erwartet worden und hatte sich bereits im Sommer angedeutet. So hatte die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) schon Ende Juli einen „für die Sommerjahreszeit untypischen“ Anstieg an Krankenhausaufnahmen von Kindern mit RSV bedingten Atemwegsinfektionen beobachtet. Auch das Robert Koch-Institut hatte bereits davor gewarnt, dass wegen einer „reduzierten Grundimmunität“ auch hierzulande ein „Nachholeffekt“ bei den Infektionen droht.

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Eine Impfung gegen das RS-Virus gibt es nicht. Für Kinder, die besonders früh geboren wurden oder Frühgeborene mit weiteren Risikofaktoren empfehlen Leitlinien aber eine vorbeugende Behandlung mit monoklonalen Antikörpern. Diese soll die mütterlichen Antikörper ersetzen, die vielen Frühgeborenen fehlen und dadurch den Immunschutz verbessern. Das weitere allgemeine Aufrechterhalten strenger Hygienemaßnahmen hingegen würde das Problem der RSV-Infektionen nicht dauerhaft lösen, sondern nur weiter aufschieben und womöglich verschlimmern – in der nächsten Saison wären dann noch weniger Kinder geschützt.

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