Diagnose Long Covid: Wenn Kinder und Jugendliche unter Corona-Spätfolgen leiden

Auch bei Kindern und Jugendlichen können Corona-Spätfolgen auftreten.

Auch bei Kindern und Jugendlichen können Corona-Spätfolgen auftreten.

Im März vergangenen Jahres erkrankte Joelle an Covid-19. Die 16-Jährige aus dem Vogtland hatte damals leichte Atemprobleme und litt unter Geruchs- und Geschmacksverlust. „Wenn ich gekocht habe und mir ist etwas angebrannt ist, habe ich das nicht gerochen“, erzählt sie. Angesteckt hatte sie sich wahrscheinlich bei ihrer Mutter, die eineinhalb Wochen zuvor positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Während diese einen schweren Krankheitsverlauf entwickelte, ging es Joelle schnell wieder besser.

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Doch nur wenige Monate später wendete sich das Blatt: „Ich hatte plötzlich wieder mit Atemproblemen zu kämpfen – und die halten bis heute an“, sagt die 16-Jährige. Anfang dieses Jahres ist auch der Geschmacks- und Geruchsverlust wiedergekehrt. Und noch weitere Symptome sind hinzugekommen: Joelle ist schnell erschöpft und außer Atem, hat Konzentrationsschwierigkeiten, Wortfindungsstörungen und Gedächtnisprobleme. „Früher konnte man mir etwas erzählen und ich habe es zwei Tage später immer noch gewusst. Jetzt habe ich es manchmal zwei Minuten später schon wieder vergessen.“

Uniklinikum Jena richtet Kinder-Long-Covid-Ambulanz ein

Dass Covid-19-Erkrankte teilweise noch Monate nach überstandener Krankheit Symptome aufweisen, ist Medizinerinnen und Medizinern nicht mehr fremd. Sie sprechen dann vom Post-Covid-Syndrom, auch Long Covid genannt. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) schätzt, dass in Deutschland rund 350.000 Menschen an Spätfolgen einer Corona-Infektion leiden. „Ich finde, das ist eine unglaublich hohe Zahl“, sagte sie am Montag in der Bundespressekonferenz. Wissenschaftliche Studien zu Long Covid umfassen bisher vor allem Erwachsene. Untersuchungen mit Kindern und Jugendlichen gibt es nur wenige. Dabei können auch sie in seltenen Fällen Post-Covid-Symptome entwickeln, weiß Daniel Vilser.

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Der Kinderkardiologe leitet am Uniklinikum Jena eine Kinder-Long-Covid-Ambulanz. Dort stellen sich junge Patientinnen und Patienten vor, die nach ihrer Corona-Infektion unter Spätfolgen leiden. „Die Symptomatik ist diffus“, sagt Vilser. „Jedes Organ kann betroffen sein.“ Deshalb sind in der Spezialambulanz mehrere Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen tätig – von der Radiologie bis zur Psychologie. Sie führen mit den Kindern und Jugendlichen Erstgespräche, nehmen Blut ab, machen Ultraschalluntersuchungen und weitere Tests, um abzuklären, ob sich die Symptome auf organische Erkrankungen zurückführen lassen.

Long Covid ist eine „Ausschlussdiagnose“

Sechs bis sieben Stunden verbringen die Patientinnen und Patienten im Durchschnitt in der Long-Covid-Ambulanz. Auch Joelle hat diesen Untersuchungsmarathon hinter sich. Eine organische Ursache haben die Ärztinnen und Ärzte bei ihr nicht feststellen können – wie bei den meisten Patientinnen und Patienten. Jetzt wartet die 16-Jährige auf den abschließenden Arztbericht. „Wenn die Ärzte schreiben würden, dass ich Long Covid habe, dann wüsste ich wenigstens, was los ist“, sagt sie.

Was ist Long Covid? Und wer ist gefährdet?

Treten drei Monate nach einer Coronavirus-Infektion noch Symptome auf, spricht man vom Long Covid Syndrom. Betroffene werden zunehmend jünger, berichten Ärzte

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Doch Long Covid zu diagnostizieren ist nicht einfach. Besonders, wenn es um Symptome wie Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisprobleme und Wesensveränderungen geht, mit denen sich die Kinder und Jugendlichen häufig an das Team der Kinder-Long-Covid-Ambulanz in Jena wenden. „Es ist nicht möglich zu beweisen, dass diese Symptome tatsächlich mit Corona zusammenhängen“, so Vilser. Bei Long Covid handele es sich immer um eine Art „Ausschlussdiagnose“. Oder anders gesagt: „Die Diagnose Long Covid oder Post-Covid-Syndrom ist das Fehlen von Erklärungen, die wahrscheinlicher sind“, fasst der Kinderkardiologe zusammen.

Vor allem Teenager von Long Covid betroffen

Kinder- und Jugendmedizinerinnen und -mediziner haben im Zuge der dritten Welle vor einer steigenden Zahl von Corona-Spätfolgen bei Heranwachsenden gewarnt. Denn Kinder und Jugendliche haben sich während dieser Phase des Infektionsgeschehens besonders häufig mit dem Coronavirus infiziert. „Das Problem wird derzeit eher größer als kleiner, wir sehen schon jetzt deutlich mehr Post-Covid-Fälle“, hatte Markus Hufnagel vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsklinik Freiburg Ende März gegenüber der dpa gesagt. „Das sind eher Patienten im Jugendalter; Fälle in den ersten zehn Lebensjahren sind deutlich seltener.“

In der Long-Covid-Ambulanz in Jena behandeln Vilser und sein Team derzeit rund 35 Kinder und Jugendliche mit Corona-Spätfolgen. Der jüngste Patient ist neun Monate alt, der älteste 18 Jahre. Der Kinderkardiologe bestätigt, dass es „eine klare Häufung der Fälle im Teenageralter“ gebe. Seitdem es die Spezial-Ambulanz gibt, ist das Patientenaufkommen deutlich gestiegen: „Wir haben aktuell mehr Nachfragen, als wir behandeln können.“

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Long Covid oder doch eher „Long Lockdown“?

Um sich einen Überblick über die Häufigkeit und Komplexität von Post-Covid-Symptomen zu verschaffen, hat die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) unterdessen eine Datensammlung eingerichtet. Darin will die Fachgesellschaft Fälle von Long Covid bei Kindern und Jugendlichen erfassen.

Es ist inzwischen sehr schwierig, zwischen Long Covid und ‚Long Lockdown‘ zu unterscheiden.

Prof. Arne Simon, 2. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie

Bislang sei die Datenlage aber noch zu gering, um erste Schlussfolgerungen zu ziehen, sagte Prof. Arne Simon, 2. Vorsitzender der DPGI, auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland. „Es ist inzwischen – was die negativen Auswirkungen auf die Entwicklung, die Psyche und die Psychosomatik der Kinder und Jugendlichen angeht – sehr schwierig, zwischen Long Covid und ‚Long Lockdown‘ zu unterscheiden.“

Mit „Long Lockdown“ meint Simon die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen. Denn inzwischen ist klar: Auch der Lockdown kann physische und psychische Folgen für die Heranwachsenden haben – und womöglich zu Long-Covid-ähnlichen Symptomen führen. Das legt auch eine noch nicht von unabhängigen Experten begutachtete Studie der Technischen Universität Dresden nahe, die Mitte Mai auf dem Preprint-Server med Rxiv erschienen ist. Diese umfasst 1560 Schülerinnen und Schüler von 14 weiterführenden Schulen in Ostsachsen, die zum Testzeitpunkt durchschnittlich 15 Jahre alt waren. Sie wurden von den Forschenden auf das Coronavirus getestet und mussten einen Fragebogen zu Post-Covid-Symptomen ausfüllen.

Studie: Long Covid kommt möglicherweise weniger häufig vor als gedacht

Von 1553 Schülerinnen und Schülern – sieben waren bereits gegen Covid-19 geimpft und wurden von der Studie ausgeschlossen – hatten sich 12 Prozent zuvor mit dem Virus infiziert. Bei der Mehrheit von ihnen (88 Prozent) fiel der Corona-Antikörper-Test negativ aus. Jedes der angekreuzten Symptome sei bei mindestens 35 Prozent der Kinder und Jugendlichen sieben Tage vor der Befragung vorhanden gewesen, heißt es in der Studie.

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„Es gab jedoch keinen statistischen Unterschied beim Vergleich der berichteten Symptome zwischen seropositiven und seronegativen Schülern“, schreibt das Forscherteam. Dies deute darauf hin, „dass Long Covid möglicherweise weniger häufig vorkommt als bisher angenommen und unterstreicht die Auswirkungen von pandemieassoziierten Symptomen auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit von jungen Heranwachsenden“.

Long-Covid-Symptome klingen meist mit der Zeit ab

Joelle ist sich sicher, dass ihre Symptome auf die Corona-Infektion zurückgehen. „Ich habe mich inzwischen an sie gewöhnt“, sagt die 16-Jährige. Ihren Alltag haben sie aber dennoch verändert: „Ich gehe nicht mehr so oft die Treppen hoch und runter. Wenn ich oben im Zimmer bin und meine Mutter etwas fragen möchte, die unten in der Küche ist, bin ich sonst einfach zu ihr gegangen, jetzt rufe ich sie manchmal lieber an. Das sind Dinge, wo ich früher immer gedacht hätte: Das mache ich niemals freiwillig.“

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Es gibt aber Grund zur Hoffnung: Bei den meisten Kindern und Jugendlichen mit Corona-Spätfolgen würden die Symptome mit der Zeit abklingen, weiß Vilser. Um Long Covid zu therapieren, können Ärztinnen und Ärzte zurzeit nur symptom-orientiert vorgehen. „Eine Pille im Sinne von Anti-Long-Covid-300 würde ich gerne verschreiben“, sagt der Kinderkardiologe. „Leider gibt es sie nicht. Es wäre schön, wenn ich sagen könnte: Eine Woche lang mit viel Wasser regelmäßig einnehmen und dann ist alles wieder gut.“

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