Blick auf die Corona-Fallzahlen: Braucht es einen härteren Lockdown?
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Bleibt es in Deutschland beim „Lockdown light“?
© Quelle: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbil
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder haben sich am Montag, nach zwei Wochen Teil-Lockdown, darauf verständigt, vorerst keine schärferen Maßnahmen zu verhängen. Stattdessen wollen Bund und Länder am Mittwoch, den 25. November, erneut zusammenkommen. Dann soll über das weitere Vorgehen beraten werden.
Ob ein härterer Lockdown folgt, ist abhängig vom Infektionsgeschehen in Deutschland. Denkbar ist das nach derzeitigem Stand, denn die Infektionslage hat sich bisher nur geringfügig verändert. Die Fallzahlen sind immer noch auf einem hohen Niveau, steigen aber nicht mehr so rasant an. „Das ist eine gute Nachricht“, sagte Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin. „Wir wissen aber nicht, ob das schon eine Trendwende ist.“ Das bleibe abzuwarten. Die Lage sei weiterhin sehr ernst, betonte er. „Die Fallzahlen sind insgesamt sehr hoch. Viel zu hoch.“
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Die Pandemie und wir
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Hohe Fallzahlen können Überlastung von Krankenhäusern bedeuten
Am Donnerstagmorgen vermeldete das Robert-Koch-Institut 22.609 neue Fälle. Das sind rund 5000 Fälle mehr als noch am Vortag. Zum Vergleich: Eine Woche zuvor, am 12. November, hatte das RKI noch 21.866 Neuinfektionen gezählt.
Unter den Infizierten seien zunehmend ältere Menschen, sagte Ute Rexroth, Leiterin des Lagezentrums am RKI. Der Anstieg von Inzidenzfällen in den höheren Altersgruppen habe zur Folge, dass immer mehr Menschen in Kliniken behandelt werden müssen. Dann könnten Krankenhäuser schnell an ihre Belastungsgrenzen kommen.
Die Deutsche Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin zählte am Mittwoch mehr als 3500 Corona-Patienten, die in 1288 Krankenhäusern intensivmedizinisch behandelt werden müssen. 56 Prozent von ihnen werden künstlich beatmet.
Dunkelziffer bei Infektionszahlen könnte steigen
Bei der Zahl der absoluten Neuinfektionen muss jedoch berücksichtigt werden, dass das RKI am 11. November seine Empfehlungen der Testkriterien geändert hat. Demnach sollen nur noch Menschen mit schwerer, coronatypischer Symptomatik sowie Kontaktpersonen von Covid-19-Patienten getestet werden. Bei Personen, die nur Halsschmerzen oder Schnupfen haben, rät das RKI von einem Corona-Test ab, weil dadurch die Testkapazitäten überlastet werden könnten.
Das bedeutet, es wird jetzt weniger getestet als noch einige Wochen zuvor, gleichzeitig könnte aber die Dunkelziffer steigen, weil Infizierte mit milden Symptomen nicht mehr erfasst werden. „Es mag sein, dass die Dunkelziffer jetzt etwas zunimmt“, sagte Wieler. „Das werden wir später genauer sehen können.“
Wieler: AHA+L+A-Regeln sind Grundpfeiler der Pandemiebekämpfung
In der vergangenen Woche sind nach RKI-Angaben mehr als 1,3 Millionen Corona-Tests durchgeführt worden – das sind rund 212.000 Tests weniger als die Woche zuvor. Gleichzeitig ist die Positivenrate gestiegen: von 7,86 Prozent in der 45. Kalenderwoche (2. bis 8. November) auf 9 Prozent in der vergangenen Woche.
Mehr Corona-Tests in Deutschland fallen also positiv aus. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Infektionsgeschehen doch weiter zunehmen könnte. „Wir sind noch lange nicht über den Berg“, sagt auch Wieler, fügt aber hinzu: „Wir sind nicht machtlos gegen das Virus. Wir haben in Deutschland eine klare und gute Strategie, um die Pandemie zu bewältigen.“
Darauf angesprochen, ob der Teil-Lockdown verlängert oder Maßnahmen sogar noch verschärft werden müssten, antwortete der RKI-Chef: „Welche Maßnahmen wie lange bleiben, vermag ich nicht zu sagen.“ Fest stehe jedoch, dass die AHA+L+A-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, Lüften und Corona-Warn-App) ein Grundpfeiler der Pandemiebekämpfung seien und zumindest solange bestehen bleiben müssten, bis ein Impfstoff gegen Sars-CoV-2 eingesetzt werden kann.
Verhalten der Bürger entscheidend
Marco Binder vom Deutschen Krebsforschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft in Heidelberg spricht sich für mehr Anstrengungen aus, um die Fallzahlen auf ein für die Gesundheitsämter und Krankenhäuser verträgliches Niveau zu bringen.
„Sollte sich das nicht abzeichnen, wird es nächste Woche tatsächlich höchste Zeit, hier mit verschärften Vorschriften nachzuhelfen“, sagte der Virologe dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Noch sieht Binder die Chance, das Coronavirus auszubremsen: „Wenn wir uns jetzt noch einmal alle Mühe geben, können wir es schaffen, dass die Adventszeit wieder etwas entspannter wird.“
Virologin Eckerle hält weitere Maßnahmen für notwendig
Isabella Eckerle, Virologin an der Universität Genf, hält es schon jetzt für riskant, weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zurückzustellen. „Wenn man die Infektionszahlen wirklich runterbekommen möchte, die Kliniken entlasten, in der Gesellschaft ein bisschen mehr Normalität haben möchte, dann wäre es besser gewesen, schon jetzt damit anzufangen“, sagte sie am Dienstag im Gespräch mit den ARD-„Tagesthemen“ mit Blick auf die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens vom Montag.
Virologen sprechen sich für vermehrten Einsatz von Schnelltests aus
Um das Infektionsgeschehen in Deutschland wieder beherrschbar zu machen, plädieren Virologen wie Christian Drosten von der Berliner Charité und Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt schon seit längerer Zeit auch für den vermehrten Einsatz von Antigen-Schnelltests. „Das Testen von Privatpersonen wird zu wenig diskutiert“, sagte Ciesek in der jüngsten Folge des NDR-Podcasts „Coronavirus-Update“.
In den USA ist bereits der erste Corona-Schnelltests zugelassen worden, der von zu Hause aus durchgeführt werden kann. Die nationale Teststrategie in Deutschland sieht hingegen vor, dass Schnelltests vor allem in Pflege- und Altenheimen sowie im medizinischen Bereich eingesetzt werden sollen. „Ich gehe aber davon aus, dass man mit diesen Tests künftig deutlich mehr Bereiche absichern könnte“, so Ciesek.