Künstliche Intelligenz im Kampf gegen Corona: „Wir wollen die Patientenversorgung revolutionieren“

Wenn Ärzte am Bett von schwer kranken Intensivpatienten stehen, müssen sie ihre Behandlungsschritte immer wieder aufs Neue überprüfen, hinterfragen und gegebenenfalls anpassen – mithilfe von KI soll die Arbeit erleichtert werden.

Wenn Ärzte am Bett von schwer kranken Intensivpatienten stehen, müssen sie ihre Behandlungsschritte immer wieder aufs Neue überprüfen, hinterfragen und gegebenenfalls anpassen – mithilfe von KI soll die Arbeit erleichtert werden.

Köln. Welche Medikamente kommen infrage – und in welcher Dosierung? Ist eine künstliche Beatmung sinnvoll – oder reicht im Einzelfall eine unterstützende Sauerstoffversorgung aus? Welche Auswirkungen könnten die Vorerkrankungen eines Patienten auf den Verlauf seiner Covid-19-Krankheit haben – und was bedeutet das für die Therapie? Wenn Ärzte am Bett von schwer kranken Intensivpatienten stehen, müssen sie ihre Behandlungsschritte immer wieder aufs Neue überprüfen, hinterfragen und gegebenenfalls anpassen.

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Veröffentlichungen brauchen viel Zeit

Dabei könnten ihnen neue Forschungsergebnisse nützlich sein. Denn fast täglich kommen Ärztekollegen und Wissenschaftler irgendwo auf der Welt zu wichtigen Erkenntnissen im Kampf gegen die Covid-19 genannte Erkrankung, die vor gut einem Jahr noch niemand kannte und deren oft tückische Verläufe einschließlich Langzeit- und Folgeschäden noch immer Rätsel aufgeben.

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„Die Publikationen benötigen jedoch oftmals eine lange Zeit bis zur endgültigen Veröffentlichung, meist wird eine Vielzahl von verschiedenen Prints herausgegeben. Das macht es für den einzelnen Arzt nahezu unmöglich, den Überblick zu behalten“, beschreibt der Frankfurter Intensivmediziner Kai Zacharowski die Krux beim Erfahrungsaustausch in der Covid-19-Therapie. Hinzu kommt eine chronische Überlastung des medizinischen Personals auf den Intensivstationen, die den behandelnden Ärzten kaum noch Zeit lässt, die Flut relevanter Studien für ihre tägliche Arbeit sinnvoll zu nutzen.

Virus ist der Medizin stets einen Schritt voraus

Auch deshalb, weil im täglichen Kampf um Leben und Tod wertvolles Wissen nicht schnell genug dort ankommt, wo es gebraucht wird, sterben noch immer zu viele Menschen an Covid-19, ist Zacharowski überzeugt. Rund 700.000 waren es bislang in Europa, weltweit mehr als 2,1 Millionen. Tendenz weiterhin steigend. Es scheint, als sei das Virus der Medizin stets einen Schritt voraus.

Künstliche Intelligenz liefert wertvolle Patientendaten

Kai Zacharowski ist Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie und zugleich stellvertretender ärztlicher Direktor des Klinikums der Frankfurter Goethe-Universität. Ein Topgesundheitsmanager in Zeiten, in denen Ärzte und Pflegende in den Krankenhäusern seit Monaten an ihre Leistungsgrenzen geraten. Er ist aber zugleich auch jemand, der sich nicht davor scheut, selbst seinen weißen Kittel bei der täglichen Arbeit auf der Intensivstation zu strapazieren. Dabei treibt den erfahrenen Mediziner und sein Team seit Ausbruch der Corona-Pandemie vor allem eine Frage um: Was können wir besser machen?

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Antworten darauf könnte der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) liefern, hofft der Arzt. Seit Kurzem arbeitet er mit Kollegen aus halb Europa daran, die Behandlung von Covid-19-Patienten digital zu verbessern.

Covid-19 ist nach unserem derzeitigen medizinischen Wissenstand noch viel zu unberechenbar. Der Krankheitsverlauf ist in vielen Fällen inhomogen und mit keinem anderen Krankheitsbild vergleichbar.

Kai Zacharowski

Mithilfe einer speziellen Software werden dabei die Daten von bis zu 400 Patienten in Echtzeit überwacht und analysiert. Neben allgemeinen Merkmalen wie Alter, Größe und Gewicht erfasst das neue Tool exakte Parameter wie Atemfrequenz und Atemvolumen, Blutdruck, Sauerstoffsättigung oder Körpertemperatur. Schließlich werden die Daten – zusammen mit Aufnahmen aus CT- oder MRT-Untersuchungen – gespeichert und von Großrechnern ausgewertet. Auf diese Weise können etwa Intensivärzte am Londoner University College ihre Kollegen in Bukarest, Coimbra oder Turin schnell und unkompliziert mit wertvollen Behandlungs­empfehlungen versorgen.

Projekt kann Versorgung „entscheidend verbessern“

Envision (zu Deutsch „Sichtbarmachen“) wurde das Projekt getauft, das wesentlich auf die Initiative von Kai Zacharowski zurückgeht und vor wenigen Wochen gestartet werden konnte. Die EU unterstützt Envision mit 4,87 Millionen Euro. Weitere 790.000 Euro stammen von daran beteiligten Unternehmen. „Envision vereint die medizinische und technologische Expertise mehrerer europäischer Länder“, umschreibt der Vorstandsvorsitzende der Uniklinik Frankfurt, Jürgen Graf, das groß angelegte Forschungsprojekt.

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Eine Investition, deren Mehrwert hoffnungsvoll klingt: „Damit können das Universitätsklinikum Frankfurt und seine Partner die Versorgung von Covid-19-Patientinnen und -Patienten entscheidend verbessern und gleichzeitig die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Intensivmedizin entlasten“, ist Graf überzeugt.

KI: Schneller und genauer als Mediziner

Künstliche Intelligenz ist im Krankenhaus nichts Neues. Vor allem im Bereich der Radiologie wird KI seit Langem erfolgreich eingesetzt: Da werden etwa Tumoren aus Röntgenbildern ausgelesen und deren Entwicklung über längere Zeiträume protokolliert. Dabei erweist sich KI oft als schneller und genauer als jeder Arzt. Auch bei der präzisen Diagnose schwerer Verletzungen, bei der jede Minute zählt, leistet KI im Krankenhaus bereits wertvolle Dienste.

Der Einsatz von KI im Krankenhaus soll keineswegs das medizinische Personal und dessen Entscheidungshoheit ersetzen, sondern ihm lediglich ein umfassendes Werkzeug an die Hand geben, welches die Qualität der Arbeitsweise verbessert, Fehler reduziert und den gesamten Vorgang beschleunigt.

Kai Zacharowski

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Doch: Können Hightech-Software und Quantencomputer auch im Kampf gegen Covid-19 etwas ausrichten? „Ja“, sagt Kai Zacharowski – und nennt dafür einfache Gründe: „Oftmals werden noch analog Dutzende Papierakten geführt, was eine Auswertung der Krankheitsbilder immens erschwert und mögliche Erkenntnisse in einem undurchsichtigen Vorhang an technischer Insuffizienz verschleiert.“ Zwischen seinen Worten klingt der Unmut des engagierten Mediziners darüber durch, dass nicht längst mehr unternommen wurde. Und zugleich auch die Ungeduld eines Wissenschaftlers, der die Lösung vor Augen hat, aber noch nicht wirklich mit Händen greifen kann.

„Covid-19 ist nach unserem derzeitigen medizinischen Wissenstand noch viel zu unberechenbar. Der Krankheitsverlauf ist in vielen Fällen inhomogen und mit keinem anderen Krankheitsbild vergleichbar“, fasst Zacharowski die derzeitige Hilflosigkeit zusammen, mit der die Medizin noch immer vor vielen Fragen steht, wenn es um das Coronavirus und seine Folgen geht. „Wir hoffen, dass uns der Einsatz von künstlicher Intelligenz mit unserer dafür eingesetzten Software Antworten auf diese Fragen geben kann.“

Digitales Tool nötig, das „Patienten­versorgung revolutioniert“

Kai Zacharowski hat sich schon einmal einen Namen mit innovativen Lösungen gemacht, die Leben retten können: Als Barack Obama und Joe Biden im Februar 2016 in Kalifornien den humanitär-medizinischen Award der Patient Safety Movement Foundation für ihre Reform des US-Gesundheits­wesens entgegennahmen, wurde Zacharowski neben ihnen geehrt – für eine Optimierung der Blutversorgung bei Operationen, mit der die Sterberate von Anämiepatienten deutlich gesenkt werden konnte. Nun sind es wieder Patienten, um deren Leben Ärzte wie er Tag für Tag kämpfen und deren Tod in vielen Fällen vielleicht vermeidbar wäre, wenn man nur mehr über die Krankheitsverläufe von Covid-19 wüsste.

„Die Medizin braucht ein digitales Tool, um die alltägliche Patienten­versorgung zu revolutionieren“, sagt Zacharowski. Länderübergreifend soll es sein, einfach zu bedienen – und vor allem schnell. Entscheidet etwa der Computer künftig darüber, ob ein Covid-19-Patient ein Antibiotikum bekommen soll oder wie viel Sauerstoff er erhält? „Nein“, wiegelt Zacharowski ab. „Der Einsatz von KI im Krankenhaus soll keineswegs das medizinische Personal und dessen Entscheidungs­hoheit ersetzen, sondern ihm lediglich ein umfassendes Werkzeug an die Hand geben, welches die Qualität der Arbeitsweise verbessert, Fehler reduziert und den gesamten Vorgang beschleunigt.“

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Patientendaten bleiben anonym

Die Handlungs­empfehlungen der eingesetzten KI-Software sind dabei als Ampelsystem in drei Kategorien eingeteilt: „Grün, gelb und rot – je nach Dringlichkeit des Handlungsbedarfs und Gefährdungsgrad des Patienten“, erläutert der Projektleiter. „Dabei spielen die Geschwindigkeit und Qualität der erhobenen Daten aus den beteiligten Kliniken eine entscheidende Rolle. Außerdem müssen wir den jeweiligen nationalen Datenschutz und die Ethik von jedem unserer Partner in diesem Projekt gewährleisten.“ Sämtliche im Projekt Envision erhobenen und verarbeiteten Daten werden anonymisiert. Niemand müsse fürchten, zum „gläsernen Patienten“ zu werden. Durchblick werde allein beim Krankheitsverlauf geschaffen.

Envision ist von „enormer Bedeutung“

Tatsächlich könnte Envision wegweisend sein, wenn es um die Zukunft der Medizin geht: Erstmals vernetzen sich 20 Kliniken in 13 Ländern bei der Behandlung einer extrem komplexen Krankheit wie Covid-19 – und zwar in Echtzeit, also in der täglichen Arbeit auf der Intensivstation. Etwas Vergleichbares gab es noch nie. Gelänge dieses länder­übergreifende Teamwork mithilfe der speziell dafür entwickelten Software namens Sandman ICU, könnte das erhebliche Auswirkungen haben – auf die Behandlung von Covid-19, auf Mutationen, auf künftige Pandemien. Und womöglich auch auf andere Krankheitsbilder und andere ärztliche Fachbereiche.

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„Envision“, davon ist Kai Zacharowski überzeugt, „ist daher von enormer Bedeutung, da es dem medizinischen Fachpersonal künftig weltweit ermöglicht, auf einem schnellen, digitalisierten Weg auf ein gemeinsames Big-Data-Kollektiv zuzugreifen und dadurch stets nach den neuesten medizinischen Erkenntnissen zu handeln.“

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