Je früher, desto sicherer: HPV-Impfung hält lebensbedrohliche Tumore auf
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Erfolgte die Impfung schon vor dem Alter von 17 Jahren, sinkt das Tumorrisiko einer Studie zufolge um knapp 90 Prozent.
© Quelle: Robert Günther/dpa
Experten hatten es vermutet, doch der abschließende Nachweis stand noch aus: Eine Langzeitstudie aus Schweden zeigt erstmals auf großer Datenbasis, dass die HPV-Impfung bei Frauen viele Gebärmutterhalstumore verhindert. Das Ausmaß des Schutzeffekts hängt demnach stark vom Alter ab, in dem die Impfung erfolgt: Erhielten die Teilnehmerinnen sie im Alter von 17 bis 30 Jahren, sank das Erkrankungsrisiko binnen elf Jahren im Mittel um gut die Hälfte, wie das Team um Jiayao Lei vom Stockholmer Karolinska-Institut im “New England Journal of Medicine” (“NEJM”) berichtet. Erfolgte die Impfung schon vor dem Alter von 17 Jahren, sank das Tumorrisiko sogar um knapp 90 Prozent.
Impfung schützt nicht nur vor den Vorläufern von Gebärmutterhalskrebs
Bislang hatten große Studien lediglich gezeigt, dass die Impfung Vorstufen von Gebärmutterhalstumoren verhindern kann. “Wir zeigen zum ersten Mal auf Bevölkerungsebene, dass die HPV-Impfung nicht nur vor Zellveränderungen schützt, die Vorläufer von Gebärmutterhalskrebs sind, sondern vor Gebärmutterhalskrebs selbst”, wird Erstautorin Lei in einer Mitteilung ihres Instituts zitiert.
“Jetzt haben wir den Nachweis dafür, dass die HPV-Impfung auch lebensbedrohliche Karzinome verhindert”, betont Michael Wojcinski vom Berufsverband der Frauenärzte (BVF), der nicht an der Arbeit beteiligt war. Die Resultate seien auf Deutschland übertragbar, sagt der Gynäkologe.
Tumore werden häufig bereits früh diagnostiziert
Hierzulande erkranken pro Jahr etwa 4400 Frauen an einem sogenannten Zervixkarzinom. Etwa 1500 Patientinnen sterben jährlich an der Erkrankung, die oft schon früh beginnt: Diagnostiziert werden solche Tumore im Frühstadium in Deutschland nach Angaben des Krebsinformationsdienstes (KID) im Alter von durchschnittlich 35 Jahren.
Verursacht wird der Großteil dieser Karzinome durch Humane Papillomviren (HPV). Von diesen Viren sind mehr als 200 Varianten bekannt: Manche von ihnen verursachen normale Hautwarzen, etwa 40 befallen vor allem Genitalbereich und After und werden hauptsächlich durch Sexualkontakte übertragen.
Rauchen und die Anti-Baby-Pille können das Risiko erhöhen
Manche HP-Viren können Gebärmutterhalskrebs auslösen – insbesondere die beiden Hochrisiko-Varianten HPV16 und 18, die etwa 70 Prozent dieser Karzinome verantworten. Allerdings tragen auch andere Einflüsse zu solchen Tumoren bei: Risikofaktoren sind etwa Rauchen, die langjährige Einnahme der Anti-Baby-Pille, ein geschwächtes Immunsystem sowie andere Erreger wie Viren vom Typ Herpes simplex 2 und Chlamydien.
In Deutschland bieten Kinder- und Frauenärzte derzeit zwei HPV-Impfungen an: einen Zweifach-Impfstoff gegen HPV16 und 18 sowie einen Neunfach-Impfstoff, der sich gegen sieben weitere HPV-Typen (6, 11, 31, 33, 45, 52 und 58) richtet.
Vierfach-Impfstoff aus Schweden soll höhere Schutzwirkung bieten
In Schweden wurde 2006 ein Vierfach-Impfstoff gegen die HPV-Typen 16 und 18 sowie 6 und 11 zugelassen. Um die Schutzwirkung dieser Impfung zu klären, werteten die Forscher nun die Daten von rund 1,7 Millionen Frauen in Schweden im Zeitraum von 2006 bis 2017 aus. Knapp 528.000 Teilnehmerinnen, die zu Beginn der Studie 10 bis 30 Jahre alt waren, hatten mindestens eine der gewöhnlich insgesamt zwei Impfungen bekommen, 83 Prozent von ihnen vor dem Alter von 17 Jahren.
In Schweden wird Frauen eine Früherkennung auf Gebärmutterhalskrebs ab dem Alter von 23 Jahren angeboten. Gleichzeitig führt das skandinavische Land ein Krebsregister, was solche großen Studien ungemein erleichtert: Von den geimpften Frauen erkrankten im Untersuchungszeitraum 19 an Gebärmutterhalskrebs, bei den ungeimpften waren es 538.
Risiko bei früh geimpften Frauen wurde um 88 Prozent reduziert
Berücksichtigten die Wissenschaftler mögliche Einflussfaktoren wie Ernährung, Tabakkonsum, Bewegung oder das Krebsrisiko in der Familie, so senkte eine Impfung zwischen dem 17. und 30. Lebensjahr das Erkrankungsrisiko um 53 Prozent. Bei den Frauen, die schon früher geimpft worden waren, war das Risiko um 88 Prozent reduziert.
Diesen deutlichen Unterschied erklären die Autoren damit, dass die Impfung bei einer erfolgten HPV-Infektion keinen therapeutischen Effekt hat. Daher sei sie am sinnvollsten vor dem ersten Geschlechtsverkehr. Das unterstreicht auch Nobila Ouédraogo von der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg: “Die Wirkung der Impfung ist dann optimal, wenn sie vor dem ersten Sexualkontakt erfolgt, da HP-Viren hauptsächlich über sexuelle Kontakte übertragen werden.”
Tumor entsteht häufig erst Jahre nach der Infektion
Weil die Entstehung eines Tumors nach einer Infektion Jahrzehnte dauern kann, erwartet der deutsche Gynäkologe Wojcinski, dass der Schutzeffekt bei längerer Beobachtungsdauer sogar noch deutlicher ausfällt. Davon geht auch der DKFZ-Experte Ouédraogo aus: “Gebärmutterhalskrebs entsteht über einen Zeitraum von meist zehn bis deutlich über 20 Jahren. Der Beobachtungszeitraum von elf Jahren liegt im unteren Bereich.” Bei längerer Beobachtungszeit, so erwartet der Forscher, würde nicht nur die Zahl der erfassten Fälle deutlich steigen, sondern vermutlich auch die Stärke des Schutzeffekts.
Aber auch so werten die schwedischen Autoren die Studienresultate als klaren Beleg für den Erfolg der Impfung: “Unsere Daten deuten stark darauf hin, HPV-Impfungen für Kinder und Jugendliche als Teil nationaler Impfprogramme fortzuführen”, sagt Studienleiter Pär Sparén.
Herdenimmunität bei Impfraten über 50 Prozent
Ende 2019 hatten den Forschern zufolge 124 Länder und Territorien nationale HPV-Impfpläne umgesetzt. Die schwedischen Forscher schreiben, dass sich bei Impfraten über 50 Prozent bereits eine Herdenimmunität bemerkbar macht – dass also auch Menschen davon profitieren, die selbst nicht geimpft sind. In Schweden und Australien liegt die Impfrate nach Angaben von Wojcinski bei 70 bis 80 Prozent der Mädchen.
Eine gewisse Herdenimmunität sei in Schweden bereits in Hinsicht auf Genitalwarzen erkennbar, schreibt das Team um Lei – allerdings noch nicht mit Blick auf Gebärmutterhalstumoren selbst. Da diese oft erst nach Jahrzehnten entstünden, sei der bisherige Zeitraum dafür noch zu kurz.
Impfung noch vor dem 18. Geburtstag – auch für Jungen
In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) die HPV-Impfung für das Alter von 9 bis 14 Jahren, möglichst aber vor dem 18. Geburtstag. Hierzulande sind nach Angaben des DKFZ-Experten Ouédraogo zufolge zurzeit lediglich 43 Prozent der Mädchen im Alter bis 15 Jahren vollständig geimpft. “Das ist ein Manko”, sagt er. Wünschenswert wären ihm zufolge mindestens 70 Prozent. “Dann würde die Häufigkeit von HPV-Infektionen in der Bevölkerung deutlich sinken.”
Zudem verweist der Forscher auf deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern: Relativ hohe Impfquoten haben demnach in der Altersgruppe bis 15 Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit etwa 61 und 56 Prozent. Schlusslichter sind Baden-Württemberg und Bayern mit etwa 34 und knapp 36 Prozent.
Seit 2018 wird die Impfung auch für Jungen empfohlen, die die Erreger vor allem sexuell übertragen. Bei ihnen können HPV-Infektionen zwar auch Karzinome verursachen, betroffen sind aber eher seltene Tumorarten wie Anal-, Penis-, Mund- und Rachenkrebs.
Impfstoffe gelten als sicher
Etwaige Nebenwirkungen der Impfung untersuchte die Studie nicht. Der Krebsinformationsdienst nennt “Rötungen, leichte Schmerzen, Schwellung und ähnliche Folgen, wie sie viele Menschen von Spritzen und Impfungen ganz allgemein kennen”. Hinzukommen könnten Kopfschmerzen, selten auch Übelkeit, Schwindel, Fieber und Abgeschlagenheit. “Die Impfstoffe gelten als sicher und gut verträglich”, so das Fazit.
Eine Auswertung der Cochrane Collaboration von mehr als 20 Studien fand 2018 keinen Hinweis darauf, dass die Impfung zu ernsthaften Nebenwirkungen führt. Wojcinski bestätigt das: “Bleibende Schäden sind bisher nicht gesehen worden.”
RND/ dpa