Geimpft oder ungeimpft – Wie unterscheiden sich die Inzidenzen?
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Vor allem die Bundesländer mit hohen Fallzahlen sind dazu übergegangen, unter anderem die Sieben-Tage-Inzidenz getrennt für Geimpfte und Ungeimpfte zu erheben.
© Quelle: Behrens
Die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland steigt seit Tagen unaufhaltsam und liegt inzwischen über einem Wert von 300. In den vergangenen Wochen ist darüber eine Diskussion entbrannt – handelt es sich um eine Pandemie der Ungeimpften, welchen Anteil haben Geimpfte am Infektionsgeschehen? Der Virologe Christian Drosten sagte jüngst der „Zeit“, er finde es falsch, wenn derzeit von einer „Pandemie der Ungeimpften“ gesprochen wird. „Wir haben eine Pandemie, zu der alle beitragen – auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger.“ Doch was sagen die Daten – und wie aussagekräftig sind diese?
Vor allem die Bundesländer mit hohen Fallzahlen sind dazu übergegangen, unter anderem die Sieben-Tage-Inzidenz getrennt zu erheben. Die Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen je 100.000 Einwohner werden derzeit in Berlin, Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen separat nach Impfstatus ausgewiesen.
Sachsen: deutlicher Unterschied bei den Inzidenzen
Die deutlichsten Unterschiede zeigen sich in Baden-Württemberg und Sachsen. Im Südwesten lag die Inzidenz unter Ungeimpften bei 829 und unter Geimpften bei 44. Ein positiver Test gehört dort also mit 20-mal höherer Wahrscheinlichkeit zu einem Ungeimpften als zu einem Geimpften. Ein vergleichbares Gefälle offenbart sich sonst nur in Sachsen. Die Inzidenz der Ungeimpften betrug dort zuletzt 1389, die Geimpften kamen auf 73.
Hinweis: Die Inzidenzen werden von den Bundesländern wöchentlich bekannt gegeben. Deshalb kann es zu Abweichungen zur aktuellen Gesamt-Inzidenz kommen.
Nicht ganz so extrem fallen die Unterschiede in Bayern und Sachsen-Anhalt aus. In Bayern betrug die Inzidenz zum Zeitpunkt der Messung unter Ungeimpften 953 und unter Geimpften 98. Die geringsten Unterschiede bestehen in Thüringen und Berlin. Dort gibt es bei Ungeimpften dreimal so viele positive Tests wie für Geimpfte.
Hinweis: Die Inzidenzen werden von den Bundesländern wöchentlich bekannt gegeben. Deshalb kann es zu Abweichungen zur aktuellen Gesamt-Inzidenz kommen.
Eingeschränkte Aussagekraft
Allerdings muss man die Zahlen mit Vorsicht interpretieren: Zum Beispiel liegt es nahe, dass sich Ungeimpfte häufiger testen lassen als Geimpfte, weil die derzeit geltenden Regeln es von ihnen verlangen. Die Unterschiede werden deshalb sehr wahrscheinlich überschätzt. Außerdem werden einige Fälle gar nicht in der Statistik berücksichtigt: Wer erst eine einzige Impfung erhalten hat, fällt durchs Raster, weil er weder als Geimpfter noch als Ungeimpfter gewertet wird.
Das Landesgesundheitsamt in Baden-Württemberg weist darüber hinaus darauf hin, dass der Impfstatus manchmal erst verzögert gemeldet wird. Das kann dazu führen, dass ein positiver Test zunächst fälschlicherweise der Gruppe der Ungeimpften zugeordnet wird. Das sächsische Sozialministerium schreibt, die Auswertung der getrennten Inzidenzen erfolge aktuell noch unter Vorbehalt. Anpassungen seien nicht ausgeschlossen. Auch die Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern ist derzeit nicht ohne Weiteres möglich: „Derzeit existieren noch keine bundesweit einheitlichen Berechnungsregelungen für diese beiden Indikatoren.“
Bundesländer im Norden erheben getrennte Inzidenzen nicht
Nachdem Baden-Württemberg eine Zeit lang die getrennten Inzidenzen erhoben hat, ist das Land nun wieder etwas zurückgerudert. Um die Gesundheitsämter zu entlasten, werden positiv auf das Coronavirus getestete Personen künftig nicht mehr routinemäßig kontaktiert. Auch der Impfstatus wird also nicht mehr abgefragt. Zwangsläufig kann es deshalb auch keine getrennten Inzidenzen mehr geben.
Niedersachsen und einige andere Bundesländer haben erst gar nicht angefangen, die getrennten Werte auszuweisen. „Die Berechnung ist recht komplex und aufwendig, weil es verschiedene Faktoren gibt, die man berücksichtigen muss“, begründet dies Holger Scharlach, Sprecher des Landesgesundheitsamtes in Niedersachsen. Auch Nordrhein-Westfalen sieht von der Ausweisung getrennter Inzidenzen ab. Ein Grund seien Fälle mit fehlenden oder unvollständigen Angaben zum Impfstatus.
Thüringen erhebt Hospitalisierungen getrennt
Etwas näher an der Wirklichkeit dürfte sich im Gegensatz zu den Inzidenzen die Zahl der schweren Verläufe in Verbindung mit Covid-19 bewegen. Allerdings ist die Datengrundlage hier deutlich dünner als im Fall der positiven Tests.
Zu den Bundesländern, die die Hospitalisierungsinzidenz getrennt nach Impfstatus ausweisen, gehört Thüringen. Bei den Ungeimpften gab es demnach 10,7 Krankenhauseinweisungen nach positivem Covid-Test in den vergangenen sieben Tagen je 100.000 Einwohner. Das sind etwas weniger als doppelt so viele wie unter Geimpften. Auch Baden-Württemberg hat Zahlen zu den Hospitalisierungen veröffentlicht: Der Wert für Ungeimpfte lag dort sechsmal so hoch wie der Wert für Geimpfte.
Durchbrüche unter älteren Intensivpatienten
Auch das Robert Koch-Institut (RKI) hat bundesweite Zahlen über den Impfstatus der Krankenhauspatienten und -patientinnen veröffentlicht. Unter den Zwölf- bis 17-Jährigen sind schwere Verläufe äußerst selten, das gilt erst recht für geimpfte Jugendliche. Nur 3 Prozent der Hospitalisierungen in den vier Wochen bis Ende Oktober hatten einen vollständigen Impfschutz. In der Altersgruppe 18 bis 59 Jahren waren es knapp 23 Prozent, und unter den über 60-Jährigen entfällt ein Anteil von 45 Prozent auf Impfdurchbrüche. Das heißt, fast die Hälfte der Älteren im Krankenhaus verfügt über einen doppelten Impfschutz. Auch unter den Intensivpatienten und -patientinnen stellt diese Gruppe 36 Prozent, unter den Verstorbenen sogar 42 Prozent.
Daraus sei aber nicht zu folgern, dass die Impfungen wirkungslos seien, betont das RKI. Dass es mit steigender Impfquote zu mehr Impfdurchbrüchen kommt, sei zu erwarten gewesen. Denn die Wirksamkeit der Covid-19-Impfungen beträgt weniger als 100 Prozent.
Das bedeutet: Die Krankheit wird nicht in jedem Fall verhindert, sondern Infektionen und schwere Verläufe sind nur weniger häufig. Wenn alle Personen einer Population geimpft wären, läge auch der Anteil der Impfdurchbrüche an den Erkrankten bei 100 Prozent.
In Deutschland waren zum Zeitpunkt der Erhebung 85 Prozent der über 60-Jährigen geimpft. Wäre die Impfung komplett wirkungslos, wäre also mit rund 85 Prozent Geimpften unter den Intensivpatienten und Verstorbenen zu rechnen gewesen. Tatsächlich beträgt der Anteil weniger als die Hälfte davon.