Infektiologe über Corona-Therapie: „Covid-19 lässt sich medikamentös nicht heilen“

Eine Gesundheits- und Krankenpflegerin steht in einem Zimmer der Corona-Intensivstation des Universitätsklinikums Essen und behandelt einen Patienten.

Eine Gesundheits- und Krankenpflegerin steht in einem Zimmer der Corona-Intensivstation des Universitätsklinikums Essen und behandelt einen Patienten.

Clemens Wendtner hat im Januar 2020 die ersten Covid-19-Patienten in Deutschland behandelt. Er ist Chefarzt der Klinik für Infektiologie an der München-Klinik Schwabing. Im RND-Gespräch berichtet der Mediziner davon, wie sich inzwischen das Spektrum der Therapieansätze bei Covid-19 verändert hat, auf welche Substanzen Ärztinnen und Ärzte Hoffnung setzen - und worauf eher nicht.

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Herr Prof. Wendtner, die Therapie von schwerem Covid-19 bestand zu Beginn der Pandemie darin, zu inhalieren, Flüssigkeit über die Vene und Sauerstoff über die Nase zu bekommen. Wie sieht die medikamentöse Behandlung in der Klinik inzwischen aus?

Etabliert und zugelassen ist Dexamethason, ein Medikament, das bei intensivpflichtigen Erkrankten mit Sauerstoffgabe oder künstlicher Beatmung das Sterberisiko senken kann. Auch Remdesivir ist zugelassen. Der gemeinsame Bundesausschuss hat aber nur einen geringen Zusatznutzen feststellen können. Die Sterblichkeit konnte nicht gesenkt werden, nur die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus – und das auch nur, wenn das Mittel bereits in der ersten Woche nach Erkrankungsbeginn verabreicht wurde. Im Einzelfall kann die Gabe von Remdesivir Sinn machen, aber nicht in der Breite.

Clemens Wendtner ist Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing.

Clemens Wendtner ist Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing.

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Nach einem großen Durchbruch hört sich das nicht an.

Das stimmt, es gibt nach wie vor keinen großen Durchbruch. Covid-19 lässt sich medikamentös nicht heilen. Die therapeutischen Möglichkeiten sind marginal. Es wäre deshalb ein Trugschluss zu denken, dass es keine Impfung braucht, weil es im Notfall noch wirksame und gute Medikamente gäbe. Das ist wirklich nicht der Fall. Die beste Medizin bei Covid ist die Prophylaxe. Und das ist die Impfung.

Immerhin prüft die Europäische Arzneimittelbehörde gerade einige neue Substanzen. Kliniken können darauf auch schon bei der Behandlung einzelner Patientinnen und Patienten zugreifen.

Die organspezifischen Ansätze haben versagt. Aber ein paar immundämpfende Medikamente wie Tocilizumab und Baricitinib eignen sich für die späte Phase der Erkrankung. Damit soll die Entzündungsreaktion im Körper gestoppt oder zumindest besser kontrolliert werden. Die eigentliche Innovation der letzten Monate sind zudem eine Reihe neutralisierender Antikörper - Casirivimab, Regdanvimab, Sotrovimab, Bamlanivimab und Etesevimab.

Wie entsteht ein Impfstoff?

Nach einem Impfstoff gegen Covid-19 wird unnachgiebig geforscht. Innerhalb von nur einem Jahr war bereits der erste Kandidat in der Zulassungsphase.

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Welchen Nutzen kann so eine Antikörper-Therapie haben?

Antivirale Antikörper machen Sinn in der frühen Phase der Erkrankung, also drei bis fünf Tage nach Symptombeginn. Ein Patient oder eine Patientin muss sich schon zu einem frühen Zeitpunkt in die Klinik begeben, damit wir helfen können. Die Substanzen werden per Infusion übertragen und können im Körper bei der Immunantwort unterstützen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass das gut funktioniert. Das Risiko einer intensivpflichtigen Behandlung bis hin zum Tod konnte oft verringert werden. Aber unsere Erfahrung zeigt, dass viele an Covid-19 Erkrankte zu spät in Behandlung kommen. Die Antikörper liegen bereit, werden aber nur selten genutzt.

Das sind keine Mittel, die man sich kurzfristig in der Apotheke besorgt und einwirft, wenn man Symptome verspürt.

Gibt es weitere Nachteile, die so eine Antikörper-Therapie hat?

Es könnte sein, dass einige Antikörper resistent gegen Virusvarianten werden. Viele Antikörper sind im ersten Pandemiejahr bei Genesenen entdeckt worden, die mit der ursprünglichen Viruslinie aus Wuhan infiziert waren. Bei der Delta-Variante sind die Substanzen noch nicht flächendeckend im Einsatz gewesen. Wir wissen auch nicht, welche Virusvarianten demnächst noch kommen.

Man muss auch bedenken, dass pro Infusion rund 2000 bis 4000 Euro zusammen kommen. Das sind sehr teure Medikamente, die man in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung unter ärztlicher Aufsicht einsetzen muss. Das sind keine Mittel, die man sich kurzfristig in der Apotheke besorgt und einwirft, wenn man Symptome verspürt.

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Wäre ein niederschwelliger Zugang denn grundsätzlich denkbar mit diesem Therapieansatz?

In den USA gab es den Versuch, Antikörper in einer sehr frühen Phase der Erkrankung bei Hausarzt oder Hausärztin unter die Haut zu spritzen. Studienteilnehmerinnen und Teilnehmer erkrankten seltener und mussten weniger häufig ins Krankenhaus. Denkbar wäre so ein Einsatz zum Beispiel bei Personen, die mit Corona-Patienten in einem Haushalt leben und selbst noch nicht infiziert sind – im Altenheim etwa. Weit fortgeschritten sind solche Ansätze aber noch nicht.

Können Ärztinnen und Ärzte denn schon in einer frühen Phase feststellen, wie wahrscheinlich ein schwerer Verlauf ist?

Es gibt ein paar Hinweise wie hohe Entzündungswerte bei Infektbeginn und niedrige Blutplättchen. Aber präzise lässt sich das nicht vorhersagen. Jedes Immunsystem reagiert ein bisschen anders auf das Virus. Wir beobachten zum Teil junge Erkrankte, von denen wir nicht erwartet hätten, dass sie so schwer erkranken. Gerade bei der Delta-Variante zeigen sich vermehrt Entzündungsreaktionen, stärkere und schwere Krankheitsverläufe. Das ist im Einzelfall nur schwer abzuschätzen.

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Ein Hoffnungsträger ist der antivirale Arzneistoff Molnupiravir.

Zuletzt gab es einen großen Hype um Ivermectin. Ist das noch ein Hoffnungsträger?

Bloß nicht! Die Hoffnung war, dass man das Mittel oral einnehmen kann und es relativ billig ist. Aber es bringt eine Reihe schwerwiegender Nebenwirkungen mit sich, schädigt beispielsweise die Leber. In den USA haben sich einige Leute von Tierärzten Ivermectin besorgt, weil das auch ein Mittel gegen Parasiten ist. Zum Teil sind Menschen an der Überdosierung gestorben oder haben schwere Schäden erlitten.

Mehrere kleinere Studien haben zwar Hinweise geliefert, dass Ivermectin bei Covid-19 helfen kann. Das Studiendesign war aber in jedem Fall fragwürdig. Ein Nutzen ist wissenschaftlich nicht belegt. In Deutschland kommen alle Fachgremien zum Schluss, dass der Wirkstoff keine Vorteile hat.

Gibt es Medikamente, auf die Sie für die kommenden Monate noch Hoffnung setzen?

Ein Hoffnungsträger ist der antivirale Arzneistoff Molnupiravir. Der ist als Tablette verfügbar und wird oral eingenommen. In frühen Testungen war das sicher, verträglich und auch effektiv. Aber der harte Beweis fehlt noch. Es hemmt die Vermehrung von RNA, und damit auch Coronaviren, weil es einen falschen Baustein einbaut. Mit endgültigen Ergebnissen ist Ende des Jahres zu rechnen. Wenn die positiv sind, kann ich mir hier auch eine schnelle Zulassung vorstellen. Aber bei Corona muss man immer bis zum Schluss abwarten. Was hatten wir für einen Hype um Substanzen wie Lopinavir, Chloroquin, Azithromycin – das ist alles im Sande verlaufen.

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Wie steht es um die Entwicklung von Medikamenten gegen Long Covid?

Wir wissen noch nicht, was genau bei Long Covid im Körper abläuft. Es gibt zum Beispiel Untersuchungen, die noch Wochen bis Monate nach der Infektion Virus im Darm von Genesenen nachgewiesen haben. Man würde dann natürlich kein Cortison geben wollen, wenn das Virus noch irgendwo im Verdauungstrakt schlummert. Dann könnten Entzündungen erst recht explodieren. Man ist sich beim Krankheitsbild also noch sehr unsicher, weshalb auch die Entwicklung von Medikamenten schwierig ist.

Wenn die Pandemie einmal unter Kontrolle ist, braucht es da überhaupt noch Medikamente und die Forschung daran?

Die Entwicklung von Medikamenten wird auch 2022 noch ein Thema sein. Es wird immer Menschen geben, die sich mit dem Coronavirus infizieren. Zum Beispiel, weil sie sich nicht impfen lassen oder weil die Impfung zu lange zurückliegt. Denken Sie auch an die Immunsupprimierten: Es gibt Millionen Menschen mit Rheuma und Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn, Krebserkrankte. Für diese große Gruppe mit hohem Risiko für Covid-19 brauchen wir Medikamente.

Was hatten wir für einen Hype um Substanzen wie Lopinavir, Chloroquin, Azithromycin – das ist alles im Sande verlaufen.

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Zumal die Virusvarianten ein unsicherer Faktor bleiben.

Wir haben bisher keine Killervirusvariante, die Impfungen und Medikamente mit einem Schlag wirkungslos macht. Die Molekularbiologie ist glücklicherweise technisch in der Lage, der Natur einen Streich zu spielen. Sie kann Impfstoffe und auch antivirale Mittel an Virusvarianten anpassen. Ich gehe deshalb fest davon aus, dass wir in einem Jahr andere Impfstoffe zur Verfügung haben werden und auch andere neutralisierende Antikörper. Weil Corona in der Welt bleibt, muss auf lange Sicht geforscht und entwickelt werden.

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