Kinderarzt zur Corona-Impfempfehlung: „Wir sind gut beraten, auf die Stiko zu hören“
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Eine Kinderärztin impft einen Jungen mit dem Corona-Impfstoff Comirnaty von Biontech-Pfizer.
© Quelle: David Young/dpa
Die Gesundheitsministerinnen und -minister von Bund und Ländern wollen allen Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren ein Corona-Impfangebot unterbreiten. Und das, obwohl die Ständige Impfkommission (Stiko) bislang keine allgemeine Impfempfehlung ausgesprochen hat. Stiko-Chef Thomas Mertens begründet diese Entscheidung mit einer noch unzureichenden Datenlage: „Wir sagen, wir können nicht eine generelle Empfehlung aussprechen, solange wir diesbezüglich nicht die notwendige Datensicherheit haben”, sagte er am Montag dem Sender NDR Info.
Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, befürwortet die Vorgehensweise der Stiko. Im RND-Interview spricht er über die Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz und erklärt, welche Herausforderungen eine Nutzen-Risiko-Abwägung birgt.
Herr Rodeck, wie bewerten Sie die Entscheidung der Gesundheitsministerinnen und -minister?
Zwar gibt es bislang noch keine allgemeine Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche von zwölf bis 17 Jahren, trotzdem kann sich diese Altersgruppe schon jetzt nach einem Aufklärungsgespräch und individueller Risikoakzeptanz gegen Covid-19 impfen lassen. So empfiehlt es die Stiko. Das heißt, ein Impfangebot liegt bereits vor. Insofern ist der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz eigentlich überflüssig. Denn entweder geht es um ein Impfangebot, was schon existiert, oder es geht um eine Impfempfehlung. Letztere können und sollten die Gesundheitsministerinnen und -minister nicht aussprechen, weil ihnen die fachliche Kompetenz und auch die Zuständigkeit fehlen.
Das ist dann die Aufgabe der Stiko.
Genau. Und gerade bei Impfungen ist es notwendig, dass Nutzen und Risiken sehr sorgfältig abgewogen werden. Kinder und Jugendliche erkranken – wenn überhaupt – nur leicht. Es kann zwar in sehr seltenen Fällen zu einer überschießenden Immunreaktion, auch als PIMS bekannt, kommen, aber diese ist in der Regel gut behandelbar. Auch zu Long Covid bei Kindern und Jugendlichen sind noch viele Fragen offen. Auf der anderen Seite gibt es auch noch offene Fragen zum Risikoprofil der Impfung bei Kindern. Das heißt, wir wissen noch gar nicht, ob der Nutzen oder die Risiken überwiegen. Insofern sind wir gut beraten, auf die Stiko zu hören.
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Burkhard Rodeck ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.
© Quelle: Privat
Das heißt, Sie können die Impfempfehlung der Stiko nachvollziehen?
Ja, kann ich. Die Stiko prüft die Daten, die zu Impfkomplikationen vorliegen, laufend unter strengen wissenschaftlichen Kriterien und sehr sorgfältig. Seit der ersten Empfehlung liegen mittlerweile acht Aktualisierungen vor. Deshalb wäre es besser gewesen, die Empfehlung des Gremiums abzuwarten.
Genau das Gegenteil haben jetzt aber die Gesundheitsministerinnen und -minister gemacht.
Ihre Entscheidung ist vielleicht politisch nachvollziehbar, ist aber nicht das Richtige. In der Stiko arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Aufgabe haben, eine Empfehlung zu den Impfungen auszusprechen. Warum soll man ihrer Neubewertung vorgreifen? Das ist nicht notwendig. Es führt eher zu Verwirrung, da es als Misstrauensvotum gegenüber der Stiko interpretiert werden kann.
Ich rechne damit, dass wir in den kommenden Wochen Ergebnisse der Prüfung der Stiko sehen werden.
Wann ist denn mit einer aktualisierten Impfempfehlung zu rechnen?
Ich rechne damit, dass wir in den kommenden Wochen Ergebnisse der Prüfung der Stiko sehen werden. Welche Empfehlung sie am Ende abgibt, kann ich nicht sagen. Ich persönlich glaube, dass die Impfkomplikationen auch bei den Kindern überschaubar sein werden, sodass eine allgemeine Impfempfehlung in den kommenden Wochen ausgesprochen werden könnte.
Bundesgesundheitsministerium plant Impfangebote für Jugendliche
Obwohl die Ständige Impfkommission noch keine Empfehlung ausgesprochen hat, will das Bundesgesundheitsministerium nun auch Jugendlichen Impfangebote machen.
© Quelle: dpa
Der Nutzen der Impfung überwiegt also Ihrer Meinung nach am Ende?
Wenn wir etwas für die Kinder tun wollen, dann sollten wir nicht fordern, dass diese sich impfen lassen, sondern dann sollten wir uns selbst impfen lassen.
Das ist genau die Frage, die geklärt werden muss. Es gibt Erfassungssysteme für Impfkomplikationen, zum Beispiel vom Paul-Ehrlich-Institut, die entsprechende Daten sammeln. Man muss dabei aber berücksichtigen, dass es sich nicht um bevölkerungsbezogene Daten handelt, sondern lediglich um gemeldete Komplikationen. Diese unterliegen immer dem sogenannten „Underreporting-Problem”. Das heißt: Es werden weniger Komplikationen gemeldet, als tatsächlich vorhanden sind. Wenn man sich allein auf diese Daten verlassen würde, würde man das Problem von Risiken nach einer Impfung möglicherweise unterschätzen. Deshalb müssen diese Daten sehr sorgfältig bewertet werden.
Das Robert Koch-Institut geht davon aus, dass sich im Herbst/Winter wieder vermehrt Kinder und Jugendliche infizieren werden. Wie wichtig sind dann Impfungen für die jüngeren Altersgruppen?
Damit sprechen Sie auch die Altersgruppe der unter 12-Jährigen an, für die es noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt. Gerade für diese sind Impfungen bei Erwachsenen nahezu unverzichtbar, weil sie verhindern würden, dass Infektionen in die Kindergruppen hineingetragen werden. Aber dieses Argument höre ich zu selten. Wenn wir etwas für die Kinder tun wollen, dann sollten wir nicht fordern, dass diese sich impfen lassen, sondern dann sollten wir uns selbst impfen lassen. Ich sehe da auch ein Stück weit eine moralische Verpflichtung. Denn wir haben den Kindern zu unserem eigenen Schutz in der Pandemiebewältigung schon viel zu viel zugemutet.