Immunologe Steve Pascolo: Wir haben viel Erfahrung mit mRNA-Impfstoffen
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Die mRNA lässt sich schnell im Labor herstellen und auf jeden Virus anpassen. Das ist der große Vorteil dieses Verfahrens.
© Quelle: Sakchai Lalit/AP/dpa
Hamburg. Im Videogespräch zeigt Steve Pascolo Spuren der Grundlagenforschung an der Uni Tübingen – kreisrunde Narben auf der Innenseite der Wade. 2005 ließ sich der Immunologe erst mRNA von „leuchtenden“ Fliegen spritzen und dann Gewebeproben entnehmen. Und siehe da: Dort fanden sich tatsächlich Eiweiße, die sein Körper nach Vorbild der gespritzten mRNA hergestellt hatte und nun leicht leuchteten – wenigstens für kurze Zeit.
Seit ersten Versuchen mit Mäusen und Waden sind zwei Jahrzehnte intensiver Forschung vergangen. Vor allem im Kampf gegen Krebs galten mRNA-Impfstoffe lange als Heilsbringer. Diese großen Hoffnungen wurden zunächst enttäuscht. Dafür trugen diese Erfahrungen dazu bei, innerhalb von neun Monaten äußerst wirksame Corona-Impfstoffe zu entwickeln.
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Der Immunologe Steve Pascolo forscht seit 1999 zu mRNA mit dem Ziel, Immuntherapien und Chemotherapien zur Behandlung von Krebs zu kombinieren. Seit 2006 arbeitet er als Oberassistent in der Dermatologischen Klinik am USZ.
© Quelle: Steve Pascolo
So wirken mRNA-Impfstoffe
Noch eine kurze Erklärung ihrer Wirkweise: Viele „herkömmliche“ Impfstoffe enthalten ungefährliche Viruseiweiße oder lebendige, aber abgeschwächte Viren. Durch das Impfen entwickelt unser Immunsystem Antikörper und lernt, die Viren zu bekämpfen. Die mRNA-Impfstoffe geben dagegen nur den „Bauplan“ dieser Eiweiße an unsere Zellen weiter. Unsere Körperzellen selbst stellen die Eiweiße der Viren her und unser Immunsystem reagiert darauf. Im Falle des Coronavirus wird der Bauplan der Spikes auf der Oberfläche genutzt. Sie dienen dem Virus als Andockmöglichkeit an unseren Körperzellen.
Der große Vorteil dieses Verfahrens: mRNA lässt sich schnell im Labor herstellen und an jedes Virus anpassen. Außerdem ist es ein sehr sicheres Verfahren. Die injizierte mRNA verschwindet nach ein paar Stunden, maximal ein paar Tagen, vollständig aus unserem Körper und hinterlässt keine Spuren.
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Die Pandemie und wir
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Herr Pascolo, waren Sie und ihre Kollegen an der Uni Tübingen die Entdecker der mRNA-Methode?
Steve Pascolo: Nein, es gab schon vorher einzelne Studien dazu. Bereits 1990 konnten US-Wissenschaftler zeigen, dass Mäuse passendes Eiweiß bilden, wenn man ihnen im Labor hergestellte mRNA spritzt. 1993 gab es sogar eine Studie mit einem möglichen mRNA-basierten Grippeimpfstoff. Der Bauplan eines Grippevirus wurde dafür in eine Fetthülle verpackt, den Mäusen gespritzt, und wieder gab es eine Immunreaktion. Allerdings wurden diese Erkenntnisse nur prominent veröffentlicht, aber nicht in klinischen Studien weiterverfolgt. Wir waren die Ersten, die fest von einer sinnvollen Anwendung in der Medizin überzeugt waren.
Von Genveränderungen zu sprechen ist „völlig falsch“
Was genau hat sie überzeugt?
Die mRNA-Impfstoffe waren damals noch nicht sehr wirksam. Wir mussten den Mäusen große Mengen spritzen. Auch die Herstellung der mRNA im Labor war ziemlich teuer. Gleichzeitig konnte man die mRNA innerhalb weniger Tage und Wochen anpassen. Und das Verfahren war sicher. Einmal im Körper, wird die mRNA schnell und auf natürliche Weise zerstört. Wenn man einem Menschen DNA spritzt, bleibt immer die kleine Gefahr einer Genveränderung. Bei einem mRNA-Impfstoff besteht genau diese Gefahr nicht. Die Botenstoffe kommen nur mit dem Zellenplasma in Kontakt, nicht aber mit dem Zellkern. Dazu kam die große Erfahrung, die wir mit natürlichen mRNA-Impfstoffen haben.
Das ist auch der entscheidende Vorteil gegenüber allen anderen Impfstoffen. Die Entwicklung ist einfach schneller. Die Herstellung ist auch vegan!
Steve Pascolo
Entschuldigung, darf ich Sie kurz unterbrechen, was meinen Sie mit natürlichen mRNA-Impfstoffen?
Wir impfen seit vielen Jahren gegen Krankheiten wie Masern oder Mumps auch mit mRNA-Impfstoffen. Allerdings stellen wir die nicht künstlich her, sondern benutzen lebende, aber abgeschwächte mRNA-Viren. Auch sie liefern ihre mRNA an unsere Zellen und sorgen so für eine Immunantwort. Leider ist dieser Umstand selbst vielen Ärzten nicht bewusst. Anders kann ich mir nicht erklären, dass manche Mediziner im Zusammenhang mit den Impfstoffen von Biontech und Moderna von Genveränderung sprechen. Das ist völlig falsch und zeugt von großem Unwissen. Der größte Unterschied zu diesen bisherigen Varianten ist die künstliche Herstellung der heutigen mRNA-Impfstoffe. Darin liegt ein großer Vorteil und keine Gefahr.
Vorteil: mRNA-Entwicklung ist schneller
Welcher Vorteil?
Bei den natürlichen mRNA-Impfstoffen spritzen wir ein abgeschwächtes Virus. Ein ganzes Virus im Labor nachzubauen wäre selbst heute höllisch aufwendig und kompliziert. Auch bei der Nutzung von abgeschwächten Viren als Impfgrundlage ist das Verfahren deutlich komplizierter und zeitaufwendiger. Bei einem mRNA-Impfstoff nehmen wir nur einen kleinen Teil des Virus und erstellen dazu einen Bauplan, der unseren Körper erst zur Nachbildung und dann zur Immunantwort anregt. Im Fall des Coronavirus werden dafür die Spikes genutzt, also die Andockstellen an unseren Körper.
Im Prinzip lässt sich so in zwei oder drei Monaten ein Impfstoff gegen jedes Virus finden. Das ist auch der entscheidende Vorteil gegenüber allen anderen Impfstoffen. Die Entwicklung ist einfach schneller. Die Herstellung ist auch vegan!
Erfahrung aus Krebsforschung spielte in die Karten
Ursprünglich wollten Sie mRNA-Impfstoffe in der Krebstherapie anwenden. Wie erfolgreich war dieses Vorhaben?
Genau, wir können theoretisch für jeden bösartigen Tumor einen individuellen Impfstoff entwickeln. Dafür nehmen wir eine Gewebeprobe, suchen gezielt nach den Mutationen in der Gensequenz und erstellen einen auf jeden Patienten individuell abgestimmten Impfstoff. Dafür brauchen wir weniger als drei Monate.
Diese Erfahrung aus der Krebsforschung ist ein wichtiger Grund dafür, warum die Impfstoffentwicklung bei Biontech und Moderna so schnell ging. Die Wirksamkeit des Verfahrens wurde im Laufe der Zeit immer besser. Ein kleines Beispiel: 1998 haben wir bis zu 300 Mikrogramm mRNA-Impfstoff in eine 25 Gramm schwere Maus gespritzt, um eine Immunantwort zu bekommen. Heute hat eine Impfdosis gegen den Coronavirus nur 30 Mikrogramm. Das ist ein immenser Fortschritt.
Corona-Impfungen: Arztpraxen ab Anfang April bereit
Noch braucht man in Deutschland Geduld, wenn man sich gegen Corona impfen lassen will.
© Quelle: dpa/TNN
Von der hohen Wirksamkeit gegen den Coronavirus waren selbst Experten überrascht. Wie wirksam sind denn mRNA-Impfstoffe gegen Krebs?
Wir forschen seit Mitte der 2000er in klinischen Studien an den mRNA-Impfstoffen gegen Krebs. Leider sind die Erfolge bei Weitem nicht so groß wie bei dem Corona-Impfstoff. Wir können zwar mit unseren Impfstoffen eine Immunantwort auslösen. Leider reicht das nicht aus, um dem Krebs großartig zu schaden. Die meisten Tumoren finden schnell neue Wege, um sich zu verbreiten. Gleiches gilt übrigens auch für HIV.
Ganz umsonst war die Forschung allerdings nicht: Die individualisierten mRNA-Impfstoffe werden nun mit einer Chemo- oder Strahlentherapie kombiniert und verstärken ihre Wirkung gegen die Tumorzellen. Trotz dieser kleinen Erfolge steckt das größere Potenzial in anderen Anwendungen.
Therapieansätze bei vielen Krankheiten möglich
Und in welchen?
Theoretisch gibt es zu jeder Krankheit Therapieansätze auf mRNA-Basis. Zum Beispiel könnten wir mithilfe von mRNA neue Blutgefäße im Herzen wachsen lassen und so abgestorbenes Gewebe ersetzen. Das wäre ein großer Fortschritt im Kampf gegen Herzkrankheiten. Auch bei der Ideopathischen Lungenfibrose könnte das regelmäßige Einatmen von modifizierten mRNA-Mitteln fehlende Genfunktionen ausgleichen und der vernarbten Lunge ihre Funktion zurückgeben. Und wir könnten die Narbenbildung nach Eingriffen minimieren. Das wäre vor allem für die Schönheitschirurgie sehr interessant.
Allerdings ist der Weg zu all diesen Anwendungen noch weit. Wir brauchen im Moment noch sehr viel mRNA, um die gewünschte Wirkung zu erzeugen, außerdem ist nicht geklärt, wie wir langfristig eine Immunantwort unterdrücken. Anders als bei einem Impfstoff wäre die nämlich bei Medikamenten absolut kontraproduktiv.