Wie Hunde das Coronavirus erschnüffeln – ein Konzertpraxistest
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Corona-Spürhündin Bea (Deutscher Schäferhund) schnüffelt in Pappbechern, in denen sich Schweißproben der Konzertbesucherinnen und Besucher befinden.
© Quelle: Michael Matthey/dpa
500 Zuschauer bei einem Konzert von Bosse in Hannover. Alle wurden sie vor Ort auf eine Corona-Infektion getestet – von Spürhunden. Wir waren bei dem Versuch dabei.
Fokussiert läuft Schäferhündin Bea eine lange Wand ab, an der zwölf Pappbecher befestigt sind. In jeden einzelnen steckt das Tier unter Aufsicht seines Hundeführers die lange Spürnase. Zwei, maximal drei Sekunden schnüffelt die Hündin intensiv an einem Wattebausch. Daran haften die wenige Minuten vorab abgestrichenen Schweißpartikel von Konzertbesuchern und Besucherinnen.
Auf das von der Hündin ausgewertete Testergebnis müssen ebendiese warten, wenige Meter entfernt, draußen, am Einlass. Und sie haben Glück: Die Hündin bleibt ruhig. Es riecht wohl nicht nach Corona. Einen Sars-CoV-2-Fund gibt es in diesem Durchgang nicht. Alle dürfen auf das Veranstaltungsgelände, zum Konzert mit Sänger Bosse.
Hundenase und menschlicher Schweiß: Lässt sich so Corona aufspüren?
Die Schäferhündin und weitere speziell ausgebildete Corona-Spürhunde der Bundeswehr entscheiden an diesem Abend, ob die rund 500 Besucherinnen und Besucher eingelassen werden können. Und das, obwohl alle vorab bereits PCR-Test und Antigen-Schnelltest gemacht haben. Das kostenlose Open-Air-Spektakel auf der Hannoveraner Gilde-Parkbühne steht ganz im Dienste der Forschung. Die Fans sind zwar auch zum Vergnügen da, nehmen aber gleichzeitig an einem außergewöhnlichen Experiment teil.
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Während die Corona-Spürhunde die Schweißproben in einem abgegrenzten Bereich untersuchen, warten die Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher auf Einlass.
© Quelle: RND
Vier solcher Großveranstaltungen mit Einlasskontrolle durch Corona-Spürhunde sind im Rahmen einer Machbarkeitsstudie angesetzt, zwei haben schon stattgefunden. Forschende der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) in Hannover wollen unter den realen Konzertbedingungen herausfinden, wie solide Hunde eine akute Corona-Infektion beim Menschen erkennen können. Dafür braucht es – so die Theorie – das Riechorgan des Hundes, und eine mit Stäbchen und Wattebausch genommene Schweißprobe aus der Armbeuge.
Diese Stelle des Körpers sei für die Probenentnahme besonders geeignet, erklärt Studienleiter Holger Volk. In der Armbeuge sei das Risiko am geringsten, dass Parfüm, Schminke, Creme oder Deo den Geruch verfälschen. Unter Laborbedingungen habe sein Forschungsteam bereits zeigen können, dass Hunde zuverlässig Proben von Sars-CoV-2-positiven Personen erschnüffeln und das Virus auch von anderen Erregern unterscheiden können. „Das ist jetzt der Praxistest“, betont der TiHo-Tierarzt.
Virologe Drosten warnt: Corona-Winterwelle deutet sich mancherorts an
Die deutlich ansteckendere Delta-Variante des Coronavirus dominiert in Deutschland. Dennoch war die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz zuletzt rückläufig.
© Quelle: dpa-Video
Die große Frage: Woran erkennen Hunde das Coronavirus?
Es ist unglaublich, was Hunde riechen können.
Holger Volk,
Studienleiter
Dafür wird sein Team listig: Es schmuggelt inaktivierte Sars-CoV-2-Proben über die Einlassschlange in das provisorische Konzerttestzentrum der Hunde. So seien die Besucherinnen und Besucher keinem Ansteckungsrisiko ausgesetzt, aber die Hunde unter realen Bedingungen gefordert, das Virus aufzuspüren, erläutert Volk. Wie der Hund dann Sars-CoV-2 erkennt, wisse niemand so genau. Eine Theorie hat Volk dennoch. „Wir denken, dass jedes Virus, wenn es in eine Zelle eindringt, auch die Stoffwechselprozesse verändert. Das riechen die Hunde, weil die Zelle dann eine andere Signatur hat als sonst.“
Dass Hunde ein weitaus besseres Riechorgan haben als Menschen, ist bekannt. Sie wittern verschüttete Menschen unter Trümmern, Sprengstoff, Drogen. „Es ist unglaublich, was Hunde riechen können“, betont auch Volk. Der Mensch habe rund fünf Millionen Riechzellen, Hunde bis zu 250 Millionen. Sehr viele Projekte hätten bereits versucht, Maschinen mit der Hundenase als Modell nachzubauen – ohne den gleichen Riecherfolg.
Hundetraining braucht nur wenige Wochen
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Wenn die Motivation stimmt und die Schnauze lang ist, können viele Hunderassen lernen, Sars-CoV-2 zu erschnuppern.
© Quelle: RND
Und so könnte das auch bei Sars-CoV-2 sein. Ob Labrador, deutscher Schäferhund oder Mischling: Jeder Hund mit längerer Schnauze und Motivation könne grundsätzlich lernen, Sars-CoV-2 anhand von Schweißproben zu erschnüffeln, sagt Volk. Ein erfahrener Spürhund aus dem Sprengstoffbereich brauche rund eine Woche Training, ein untrainierter Hund sechs bis acht Wochen.
Die Hundeführer arbeiteten dafür mit speziellen Geruchsmaschinen. „Der größte Fehler im System ist nicht der Hund selbst, sondern der Mensch“, berichtet Volk. „Das müssen wir bei den Experimenten beachten.“ Wenn der Hundeführer denkt, dass eine positive Probe vorhanden ist, könne der Hund das sofort spüren und werde beispielsweise durch die Körperhaltung beeinflusst. „Deshalb ist es wichtig, dass der Hund von allein lernt, das Virus zu erkennen.“
Als Volk und Team zu Beginn der Pandemie mit den ersten Tests anfingen, seien sie noch von vielen belächelt worden, erzählt Volk. Das hat sich inzwischen geändert. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur fördert das Projekt mit 1,3 Millionen Euro. Weltweit laufen inzwischen Studien, die zeigen, dass Hunde Proben Sars-CoV-2-infizierter Menschen von denen gesunder Menschen unterscheiden können – anhand von Schweiß, Speichel und Urin.
Versuche gab es beispielsweise auch in Großbritannien, Finnland und Frankreich. Das Experiment in Hannover sei aber einmalig, betont der Studienleiter. Es gehe nicht nur um die Treffsicherheit der Tiere unter Laborbedingungen, sondern auch die konkrete Umsetzung im Alltag.
Den Test in der Armbeuge finde ich viel angenehmer als in Rachen oder Nase.
Franziska Schäffner,
Studienteilnehmerin
Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer beim Bosse-Konzert zeigen sich bei einer kleinen Umfrage weitgehend überzeugt. „Die Organisation hier ist echt beeindruckend“, sagt etwa Studienteilnehmerin Annabelle Ackermann (34), selbst Hundebesitzerin. Die Abgabe einer kleinen Schweißprobe vor Konzerten könne sie sich gut vorstellen.
Ähnlich sieht das auch Franziska Schäffner. „Den Test in der Armbeuge finde ich viel angenehmer als in Rachen oder Nase“, sagt die 29-Jährige. Zeitaufwendiger, aber angenehmer – so fällt das Urteil von Marc Straub (49) aus. Ticket vorzeigen und direkter Einlass zur Bühne wie in den alten Zeiten, so sei das auch diesmal zwar nicht. Aber um überhaupt einmal wieder ein Konzert besuchen zu können, sei der Hundetest vollkommen in Ordnung.
3G + H? Hunde als Zusatzangebot zu Tests und Impfung denkbar
Eine wissenschaftliche Auswertung der Studie können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erst nach dem vierten Konzert Ende Herbst veröffentlichen. Das vorläufige Ergebnis nach den ersten beiden Konzerten stimmt die Forschenden aber zuversichtlich. „Die Hunde haben bislang alle inaktivierten positiven Sars-CoV-2-Proben entdeckt“, berichtet Studienleiter Volk. „Der interne Validationsprozess hat funktioniert.“ Heißt übersetzt: Die Hunde haben einen guten Job gemacht. Sie waren treffsicher.
Fallen die Experimente nach der Gesamtauswertung im Herbst positiv aus, könnten Hunde also womöglich beim Erkennen von Coronaviren helfen. Volk spricht allerdings davon, dass das nur „eine zusätzliche Absicherung“ sein könnte. Beispielsweise bei größeren Veranstaltungen, wenn es besonders schnell gehen müsse. „3G + H“ könne man das vielleicht nennen, sagt der Tiermediziner. Die von Hunden untersuchte Schweißprobe könne aber nicht den Schnell- oder PCR-Test beziehungsweise das Impfzertifikat ersetzen.