„Heidi Klum macht sich schuldig“

„‚Germany’s Next Topmodel‘ ist eine Katastrophe“: Burkhard Jäger ist Ambulanzchef der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover.

„‚Germany’s Next Topmodel‘ ist eine Katastrophe“: Burkhard Jäger ist Ambulanzchef der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Herr Jäger, woran leiden die instagramsüchtigen Mädchen und Jungen, die zu Ihnen in die Klinik kommen?

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Zu uns kommen unter anderem junge Menschen mit Essstörungen, die versucht haben, einem vorgegebenen Schönheitsideal zu entsprechen. Wissenschaftlich ist eindeutig belegt: Werbung hat Wirkung, und die Promotion eines bestimmten Körperbildes wirkt ebenfalls. Diesem Bild eifern die jungen Menschen mit großem Aufwand nach, bis sie krank werden. Wir kennen das aus Gegenden der Welt, in denen Fernsehen neu eingeführt wurde: Sobald ein Schönheitsideal neu etabliert ist, orientiert sich die Gesellschaft daran.

Nimmt dieses Krankheitsbild im Instagram-Zeitalter bei Kindern und Teenagern zu?

Wir kennen das Phänomen, seit Werbung gemacht wird. In den letzten Jahren hat es aber tatsächlich eine neue Dimension erreicht. Das liegt vor allem an der Ausbreitung der sozialen Medien. Das ist eine ganz neue Qualität. Bei Angeboten wie Tik Tok etwa geht es ja inhaltlich um nichts anderes mehr als hübsche Menschen, die läppische Darbietungen zeigen. Ganz sicher: Diese Medien haben negativen Einfluss. Es gibt auch wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung von Magazinen: Nach dem Durchblättern von typischen Frauen- und Modezeitschriften fühlen sich junge Menschen schlechter, nicht besser. Beim Durchblättern neutraler Zeitschriften passiert das nicht.

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Der Wunsch, optisch mitzuhalten, ist massenhaft verbreitet. Was hat das für Folgen?

Es kann zu Essstörungen kommen oder auch zu einem Krankheitsbild mit dem Namen Dysmorphophobie. Das ist das starke Empfinden, in einem bestimmten Körperbereich auffällig oder entstellt zu sein – zum Beispiel Hängebacken zu haben oder eine zu große Nase oder zu kleine Lippen –, was objektiv nicht nachvollziehbar ist. Die Patienten mit dieser Körperbildstörung unternehmen sehr viel, um den vermeintlichen Makel zu korrigieren. Ich hatte mal einen Patienten, der sich sozial völlig isoliert hatte, weil er glaubte, er habe eine Fehlstellung der Zähne. Die Zähne waren aber völlig in Ordnung.

Welche Rolle spielen sogenannte Schönheitsoperationen in jungem Alter?

Wir wissen von Fällen, in denen bereits im jugendlichen Alter nachdrücklich eine Operation von Brust oder Po aus rein kosmetischen Gründen angestrebt wurde. Typischerweise liegt das Problem aber meist eher im psychologischen Bereich, und hier gibt es andere Möglichkeiten der Hilfe. Jede Operation birgt Risiken. Und auch wenn diese Risiken nur im Promillebereich liegen mögen, bedeutet das doch: Eines von 1000 gesunden Mädchen, die operiert werden, kann durch eine überflüssige Operation zum Schwerstpflegefall werden. Das ist einfach zu viel.

Werden die Patientinnen jünger?

Ohne konkrete Zahlen zu kennen: Ich gehe davon aus. Schon Kindergartenmädchen im fünften oder sechsten Lebensjahr machen heute Diäten. Ein nennenswerter Teil dieser Altersgruppe äußert schon Schlankheitswünsche.

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will Werbung für sogenannte Schönheitsoperationen verbieten, die sich direkt an Jugendliche richtet. Was halten Sie davon?

Wir unterstützen diese Initiative nachdrücklich.

Minderwertigkeitsgefühle auf Knopfdruck: Vor allem die gefilterte Beautywelt bei Instagram beeinflusst Jugendliche mit geringerem Selbstwertgefühl.

Minderwertigkeitsgefühle auf Knopfdruck: Vor allem die gefilterte Beautywelt bei Instagram beeinflusst Jugendliche mit geringerem Selbstwertgefühl.

Wie genau wird aus dem Wunsch, mit den falschen Bildern etwa bei Instagram mithalten zu wollen, eine Krankheit?

Essstörungen zum Beispiel werden durch zwei Faktoren begünstigt: Das eine sind ungünstige Sozialisationsbedingungen, die zu einem mangelhaften Selbstwertgefühl führen. Aus diesem Defizitgefühl kann eine psychische Störung wie eine Depression entstehen. Wenn hier die Aufmerksamkeit auf körperliche Merkmale hinzukommt, die vielleicht nicht dem Ideal entsprechen, und die gesellschaftliche Suggestion besteht: Du musst nur an deiner äußeren Erscheinung etwas ändern, und dann wird alles gut – dann entstehen Essstörungen. Betroffen sind dabei überwiegend Mädchen.

Dieser gesellschaftliche Trugschluss wird massenhaft verbreitet. Was hilft dagegen?

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Bei einem Kind, das geliebt aufwächst und gestärkt wird, wird dieses falsche Ideal auf weniger fruchtbaren Boden fallen. Was hilft, sind auch andere Interessen. Wichtig wäre, dass der junge Mensch seinen Selbstwert auch aus anderen Quellen schöpft als aus der äußeren Erscheinung. Jeder braucht natürlich Anerkennung, aber man kann diese Anerkennung auch durch bestimmte Fähigkeiten oder Qualitäten erreichen, etwa durch Sport oder ein Musikinstrument. Aber wenn ich nur die Optik habe, um mir Anerkennung zu verschaffen, wird es eng. Und das betrifft vor allem bestimmte junge Mädchen mit – wie wir das nennen – eingeschränkten Sozialisationschancen.

Der Fetisch Schönheit ist auch im Fernsehen allgegenwärtig.

Was sicher nicht hilft, sind Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“, wo Essstörungen direkt promotet werden. Das ist eine Katastrophe. Da macht sich Heidi Klum schuldig, ohne jeden Zweifel. In der Show stehen soziale Kompetenzen im Hintergrund, und der selbstdarstellerische Anteil überwiegt bei weitem. Andere Qualitäten als gutes Aussehen und Auftreten sind bei Heidi Klum gar nicht gefragt. Ihre Show setzt junge Zuschauerinnen enorm unter Druck.

Wann sollten Eltern aufmerksam werden?

Wenn ihr Kind unangemessenen Aufwand für seine Attraktivität betreibt und bei der Beschäftigung mit sozialen Medien andere Interessen vernachlässigt. Ich habe selber Kinder in dem Alter und versuche gegenzusteuern: Ich kommentiere das, ich hinterfrage den Nutzen. Wichtig ist: Lassen Sie den endlosen Strom der Bilder nicht unkommentiert, stellen Sie Alternativen bereit. Kritisch wird es, wenn es keine Alternativen mehr gibt. Wenn Hobbys oder Sport aufgegeben werden. Wenn ihr Kind früher gern geritten ist, jetzt aber nur noch neben dem Pferd steht und Instagram-Fotos anguckt. Dann wird’s kritisch.

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Was könnte die Politik noch tun, um die Zahl Ihrer Patientinnen zu verringern?

Es gibt Beispiele für wirkungsvollen Einfluss auf Verhaltensweisen. Die Deutschen sind Weltmeister der Mülltrennung geworden. Das war eine Erziehungsmaßnahme, die funktioniert hat. Als es in Schweden 1979 verboten wurde, Kinder zu schlagen, druckte man das Gesetz auf jede Milchtüte. So ähnliche pädagogische Appelle könnte ich mir für den Umgang mit falschen Schönheitsansprüchen auch vorstellen. Im Bereich der Essstörungen gibt es Slogans wie „Leben braucht Gewicht“. Dazu ein kleiner Comic, der ein gesundes Körperempfinden propagiert – das könnte helfen. Und ich bin dafür, eine psychologische Beratung vor umstrittenen Operationen bei Kindern und Jugendlichen zur Pflicht zu machen. Das gibt es bei anderen medizinischen Maßnahmen, die nicht unumgänglich sind, auch.

Wie kommt man denn an gegen die Bilderflut?

Sehr schwer. Keine Frage. Und es ist natürlich unmöglich, den Jugendlichen vollständige Abstinenz zu verordnen. Es gilt aber dasselbe wie für den kompetenten Umgang mit Medien insgesamt: Sinnvoll ist eine zeitliche Begrenzung. Das ist die erzieherische Seite. Und wenn es zu einem echten Krankheitsbild kommt, behandeln wir die Patienten auch stationär. Es geht um Sport, Körperbildarbeit, Psychotherapie einzeln und in der Gruppe – das sind unsere Instrumente. Es gibt da eine sehr wirkungsvolle Übung, um den Patientinnen die Verzerrung ihres Körperbildes aufzuzeigen: Wir bitten sie, mit einer Schnur eine Schlaufe zu bilden, deren geschätzter Durchmesser dem ihres Hüftumfangs entspricht. Dann schlüpft das Mädchen in die Schlaufe – und stellt fest: Es ist deutlich schlanker, als es selbst dachte. Die meisten sind sehr überrascht.

Privatdozent Prof. Burkard Jäger wurde 1957 geboren und ist seit 1988 Mitarbeiter der Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. Inzwischen ist er Leiter der Ambulanz und Institutsambulanz. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Essstörungen und Krankheitsbewältigung.

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