Forscher: “Es gibt kein Kochrezept für einen wirksamen und sicheren Impfstoff”

Überall auf der Welt arbeiten Forscher unter Hochdruck an der Entwicklung eines möglichen Covid-19-Impfstoffs.

Überall auf der Welt arbeiten Forscher unter Hochdruck an der Entwicklung eines möglichen Covid-19-Impfstoffs.

Es sind Impfstoffe aus RNA, DNA, virusartigen Partikeln und Vektorviren in den Schlagzeilen - ist es sinnvoll, dass so viele verschiedene Impfstofftypen entwickelt werden?

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Forscher arbeiten weltweit an neuen Ansätzen, weil die Impfstoff-Entwicklung besonders am Anfang, damit beschleunigt werden kann. Für einen DNA- oder RNA-Impfstoff etwa muss man noch nicht einmal das Virus im Labor halten. Es reicht, die Buchstabenfolge der Erbsubstanz zu kennen - und die wurde bereits Anfang Januar veröffentlicht. Deshalb gehören die Erbsubstanz-Vakzinen zu den ersten, bei denen die klinischen Tests starten konnten. Das bedeutet aber noch längst nicht, dass sie jemals zugelassen werden.

Sind Impfstoffe aus Erbsubstanz bedenklich?

Bei einem solchen Impfstoff wird ein Teil der Erbsubstanz, die dem des Virus entspricht, in den Körper injiziert. Daraus stellen unsere Zellen die Virusproteine selbst her, die uns gegen Covid-19 schützen können. Das Risiko einer Impfung mit RNA wird gering eingeschätzt, denn sie gelangt nicht in den Zellkern und wird relativ schnell abgebaut. Anders bei DNA-Impfstoffen, wo man befürchten könnte, dass sie sich eventuell ins Genom integrieren.

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So gesehen klingt der RNA-Impfstoff recht sicher?

Bei der WHO sind 133 Impfstoff-Entwicklungen registriert - zehn werden bereits am Menschen getestet. Einer besteht aus DNA, zwei aus RNA, einer aus Proteinen, vier aus abgetöteten SARS-CoV-2-Viren und zwei aus Vektoren, also harmlosen Viren, in die das Erbgut des SARS-Co--2.Virus eingebaut wurden. Fünf von diesen Verfahren sind neu als präventiver Impfstoff gegen Infektionen beim Menschen.

Es sind bahnbrechende Technologien mit einem enormen Potenzial, aber in der klinischen Entwicklung ist es immer risikoreicher, eine Technologie anzuwenden, mit der wir keine Erfahrung haben. Und wir müssen immer im Blick behalten, dass wir manche, sehr seltene Nebenwirkungen erst werden beobachten können, wenn die Vakzine zugelassen ist und wir eine große Zahl von Menschen impfen.

Chronologie des Coronavirus

Der Beginn des verheerenden Coronavirus war vermutlich ein Tiermarkt in Wuhan/China. In nur wenigen Wochen erreichte das Virus auch Europa.

Es bleiben fünf weitere Impfstoff-Kandidaten im klinischen Test, die bessere Chancen haben?

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Das sind konventionelle Vakzine, bestehend aus Virusbestandteilen oder aus Viren, die inaktiviert und dann Probanden gespritzt werden. Bei der Inaktivierung muss man die Viren kultivieren, unschädlich machen und reinigen können. Das ist wie bei der Produktion von einem Virusprotein, ein Standardproduktionsverfahren. Da diese Impfstoffe schon getestet werden, sieht man, dass diese Herstellungsschritte sowie die Qualitätssicherung etabliert und anscheinend kein Problem sind. Außerdem kann man besser einschätzen, welche möglichen Probleme bei ihrer Implementierung für größere Impfkampagnen auftauchen könnten.

Verschiedene Impfstrategien bei Covid-19

Es gibt kein Kochrezept für einen wirksamen und sicheren Impfstoff.

Für diese Art von Impfstoffen gibt es weltweit Fabriken. Warum beschränkt man sich nicht auf diese einfachsten Verfahren, die in Tests sehr gute Ergebnisse gezeigt haben?

Covid-19 ist eine neue Erkrankung, verursacht durch ein völlig neues Virus, das sich weltweit verbreitet hat. Es stellt damit eine enorme Gefahr für die Weltbevölkerung dar. Wir brauchen schnell Interventionen, die uns erlauben, die Pandemie schnellstmöglich unter Kontrolle zu bekommen. Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, welche Impfstrategie schließlich von Erfolg gekrönt sein wird.

Außerdem könnten bestimmte Impfstoffarten nicht geeignet für bestimmte Individuen sein, zum Beispiel Lebendimpfstoffe mit abgeschwächten Viren oder Vektoren. Daher ist es sinnvoll, verschiedene Strategien parallel zu verfolgen. Es gibt keine Interventionen ohne Risiko, das heißt die Kosten-Nutzen-Abwägung muss stimmen. Bei Impfstoffen kann es auch zu Nebenwirkungen kommen, bis hin zu einer Verstärkung der Krankheit. Es gibt kein Kochrezept für einen wirksamen und sicheren Impfstoff.

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Ab wann können wir realistisch mit einem Impfstoff rechnen?

Die normale Entwicklungszeit für einen Impfstoff beträgt ungefähr zehn Jahre. Wenn man den bürokratischen Teil strafft, kann man das auf acht oder neun Jahre verkürzen. Der absolute Rekord für die Entwicklung eines Impfstoffs waren vier Jahre. Jetzt sind die Pläne - nur Pläne, es kann viel passieren - dass wir in der zweiten Jahreshälfte 2021 den Impfstoff haben. Die Zeitreduktion wäre also mehr als 80 Prozent. Das ist ohne Beispiel und nur durch die außergewöhnliche internationale Zusammenarbeit sowie die Mobilisierung enormer Ressourcen möglich.

Druck auf die Wissenschaft steigt während Corona-Pandemie

Das ist das, wovor ich Angst habe - dass so viel Druck ausgeübt wird, dass unreife Vakzine auf den Markt kommen.

Viele Menschen beschweren sich trotzdem, dass es so lange dauert.

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Der Druck der Öffentlichkeit, die Zeit bis zur Zulassung zu verkürzen, ist enorm. Ich habe eine Diskussion im TV gesehen, wo alle sich beschwert haben, dass die Impfstoffentwicklung so lange dauert. Obwohl die Prognosen schon äußerst optimistisch sind. Das ist das, wovor ich Angst habe - dass so viel Druck ausgeübt wird, dass unreife Vakzine auf den Markt kommen. Ein Mensch, der krank ist, ist gewillt, gewisse Nebenwirkungen in Kauf zunehmen, um geheilt zu werden. Aber eine Impfung verabreicht man einem Gesunden. Es darf nur eine Vakzine zugelassen werden, bei der sichergestellt ist, dass der Nutzen für den Geimpften überwiegt.

Können die Zulassungsbehörden das sicherstellen?

Sie helfen weltweit, indem sie frühzeitig Beratung für die Firmen anbieten und erlauben, dass klinische Phasen schnell und effizient gemacht werden können. Aber natürlich, besonders seltene Nebenwirkungen könnten im Rahmen der klinischen Entwicklung möglicherweise nicht erkannt werden, da sie erst zu einem späteren Zeitpunkt auftreten, wie es zum Beispiel Narkolepsie nach der Impfung gegen die so genannte Schweinegrippe aufgetreten ist. Ich vertraue den Zulassungsstellen. Sie achten nicht auf Zeitpläne, sondern wollen Studien sehen, die Sicherheit und Effektivität belegen. Es ist im Übrigen nicht nur für die Entwicklung des Impfstoffs selbst wichtig, dass nicht gehetzt wird - uns fehlen auch noch zu viele Informationen über die Krankheit Covid-19.

Warum ist das für das Impfen wichtig?

Grundsätzlich gibt es zwei Gründe zu impfen: Individuen zu schützen und die Ausbreitung einer Infektion zu verhindern. Bei Masern versucht man nicht nur Individuen zu schützen, sondern auch die Ausbreitung zu verhindern. Bei Influenza schützt man insbesondere die Risikogruppen. Im Falle einer Pandemie besteht die Möglichkeit, dass nicht genügend Impfstoff oder aber auch Ressourcen zur Verfügung stehen, um die gesamte Bevölkerung zu impfen.

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Daher ist es notwendig zu wissen, welche Bevölkerungsgruppen am stärksten gefährdet sind oder eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung spielen und daher zuerst geimpft werden sollten. Um zu entscheiden, wen wir impfen sollten, müssen wir also wissen, wie hoch die Dunkelziffer der Infizierten und wie hoch der Anteil der schweren und tödlichen Verläufe ist. Spätestens nächstes Jahr wird das bekannt sein, dann wissen wir, wie gefährlich Covid-19 für welche Bevölkerungsgruppe ist und ob es einen langanhaltenden Schutz nach einer natürlichen Infektion gibt.

Warum ist das wichtig für die Impfung?

Eine Massen-Impfkampagne ist sinnvoll, wenn es eine hohe Sterberate oder eine hohe ökonomische Belastung gibt. Falls hingegen klare Risikogruppen existieren, dann muss man vor allem diese impfen, so wie wir das in jedem Jahr gegen die Grippe machen. Und Covid-19 erscheint mir im Moment genau so eine Krankheit zu sein, wo wir gerade die Menschen schützen sollten, die das Risiko haben, schwer zu erkranken, sowie unter anderem natürlich auch das medizinische und Pflegepersonal.

Risikogruppen können im Zweifel nicht geimpft werden

Deshalb benötigen wir für diese Menschen besonders zugeschnittene Impfstoffe.

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Ältere und vorerkrankte Menschen sind besonders betroffen - und bei ihnen wirken Impfungen schlechter...

Gibt man über 65-Jährigen die Standard-Impfung gegen Grippe, dann bilden nur 20 Prozent einen ausreichenden Schutz. Diabetiker stufen wir im Moment als Covid-19-Risikogruppe ein - und auch sie haben, egal ob jung oder alt, eine schwache Immunantwort auf Impfstoffe. Deshalb benötigen wir für diese Menschen besonders zugeschnittene Impfstoffe. Wenn wir also einen Impfstoff gegen Covid-19 haben, dann müssen wir sicherstellen, dass dieser bei den Gruppen wirkt, bei denen Vakzine normalerweise nicht so gut wirken. Dies wird auch im Rahmen der klinischen Entwicklung eines Impfstoffes gegen Sars-CoV-2 untersucht.

Kann man das nicht einfach mit mehreren Impfungen hintereinander bewirken?

Impfungen mit Mehrfachgaben, wie sie bei der Grundimmunisierung üblich sind, kann eine Möglichkeit sein. Aber auch das müsste in klinischen Studien gezeigt werden - also sollten nicht nur junge, gesunde Personen getestet werden, sondern das gleiche muss auch mit älteren (wie bereits für Covid-19 geplant) und solchen mit Vorerkrankungen gemacht werden, um zu sehen, ob sie wirkt. Der Öffentlichkeit muss klar werden, dass wir bei der Impfstoff-Zulassung nicht hetzen können. Wir müssen das Problem lösen, ohne mehr Probleme zu schaffen.

Gegen Grippe wird auch das Gesundheitspersonal geimpft - dieses sollte als erstes auch von einem Impfstoff gegen Covid-19 profitieren?

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Unbedingt - in Italien wurde Covid-19 ein so großes Problem, weil vielfach das medizinische Personal infiziert wurde. Das muss als erstes geschützt werden. Zusätzlich könnte man eine Gruppe impfen, die die Krankheit besonders verbreitet. Dieses gezielte Vorgehen wäre auch deshalb wichtig, weil wir am Anfang nicht genug Impfstoff haben werden, um die ganze Welt zu versorgen.

So bekommt man keine Herdenimmunität?

Die Frage ist, ob wir die brauchen, wenn wir zum Beispiel wie bei Influenza, die Risikogruppen schützten. Wir müssen das Virus in den nächsten Monaten beobachten.

WHO - Bis zu 40 Prozent der Ansteckungen durch Symptomlose

Auch Menschen ohne Krankheitssymptome können andere mit dem neuartigen Corona-Virus anstecken. Dies macht einen signifikanten Unterschied.

Ist es besonders schwierig einen Impfstoff gegen Corona-Viren zu entwickeln?

Es gibt Beispiele aus dem Tierreich, wo gegen Corona-Viren Vakzine entwickelt wurden, zum Beispiel bei Schweinen und Geflügel - das war nicht einfach und hat einige Jahre gedauert. Außerdem verändert sich das Virus, wenn auch bisher nicht mehr als zu erwarten war. Ein möglicher Impfstoff muss also in der Lage sein, auch trotz dieser Veränderung einen Schutz zu gewährleisten. Änderungen können aber auch dazu führen, dass das Virus seine Gefährlichkeit verliert.

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Warum gibt es keinen einzigen Impfstoff gegen humanpathogene Corona-Viren?

Die schweren Infektionen mit einer hohen Sterberate bei Sars und Mers konnten zum Glück gestoppt werden, bevor sie große Pandemien wurden. Da gab es dann keinen Bedarf mehr für eine Impfung. Und die saisonalen Erkältungs-Corona-Viren sind einerseits sehr variabel, so dass es schwierig ist, eine Vakzine zu entwickeln. Andererseits verursachen sie so leichte Erkrankungen, dass Impfungen nicht nötig erschienen.

Ist es denkbar, dass es nicht möglich sein wird, einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zu entwickeln?

Ja, aber aufgrund der ersten positiven Ergebnisse und der Vielzahl an Impfstoff-Entwicklungen, bin ich optimistisch, dass es gelingen wird. Im Moment sieht es nicht so aus, als ob Sars-CoV-2 sich dramatisch schnell verändern würde - das würde bedeuteten, dass wir den Impfstoff - wenn wir ihn denn haben - viele Jahre verwenden könnten.

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