Experte: „Das Impfen wird die Epidemie vorerst nicht beeinflussen“

Am Sonntag sollen europaweit Impfungen gegen das Coronavirus beginnen.

Am Sonntag sollen europaweit Impfungen gegen das Coronavirus beginnen.

Kiel. Der Corona-Impfstart am Sonntag in ganz Deutschland wird nach Einschätzung des Kieler Infektionsmediziners Prof. Helmut Fickenscher die Epidemie vorerst nicht beeinflussen. „Dies liegt daran, dass wir einfach viel zu viele Leute zu impfen haben und noch längere Zeit nicht genügend Impfstoff zu Verfügung haben werden“, sagte Fickenscher der Deutschen Presse-Agentur. Er ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) und Präsident der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten.

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Impfen ist nur ein Faktor zur Eindämmung des Virus

Als Erste sollen am Sonntag Bewohner von Pflegeheimen geimpft werden. Es sei extrem sinnvoll, alte Menschen in Heimen mit hoher Priorität zu impfen und zugleich das Pflegepersonal mit, sagte Fickenscher. „Denn der Eintrag in die Altersheime kommt ja gewöhnlich von außen.“

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Ob das Eindämmen des Coronavirus im Jahr 2021 gelingen wird, hängt laut Fickenscher von mehreren Faktoren. Ein Faktor sei das Impfen. Unklar sei, wann Impfstoffe im ausreichenden Maßstab vorhanden sein werden. Schleswig-Holstein will über die Impfzentren rund 300.000 Impfungen pro Monat schaffen. Spätestens nach sechs Monaten sollen die Hausarztpraxen die Aufgabe übernehmen.

Mehrere Impfstoffe würden die Chancen auf eine breite Immunisierung erhöhen

„Je mehr Impfstoffe auf den Markt kommen und zugelassen werden, desto mehr Chancen gibt es für eine schnellere und breitere Anwendung“, sagte der Experte. Und gerade die unterschiedlichen Vektorimpfstoffe, also genbasierte Impfstoffe, und auch die neuen Lebend-Impfstoffe nach dem Vorbild der Ebola-Vakzine hätten das Potenzial, in wesentlich größerem Umfang auch in Arztpraxen fürs Impfen verwendet werden zu können. Der jetzt zugelassene erste Impfstoff von Biontech/Pfizer sei wegen der Lagerung bei minus 70 Grad für die Anwendung in Arztpraxen kaum geeignet.

Dass die unter anderem in England aufgetretene Mutation des Coronavirus die Wirksamkeit der Impfstoffe stark beeinträchtigen könnte, dieses Risiko sieht Fickenscher eher nicht. „Bisher gibt es dazu keine konkreten Erkenntnisse. Man kann aber aus vielen unterschiedlichen Überlegungen daraus schließen, dass diese leichten Veränderungen die Antigen-Eigenschaften des Impfstoffs hier nicht verändern und der Schutz dadurch unverändert erhalten bleibt“.

Eine glückliche Corona-Entwicklung 2021 hängt laut Fickenscher davon ab, ob die weitgehende Durchimpfung der Bevölkerung - seien es nun 60 oder 80 Prozent - in dieser Größenordnung gelingt. „Der kritische Punkt ist, dass diese Durchimpfung vor dem kommenden Winter abgeschlossen ist, bis in den Bereich Oktober. Dann hätten wir gute Chancen, dass die Pandemie uns im kommenden Winter 2021/22 im Großen und Ganzen in Ruhe lässt. Das wäre das ganz wesentliche Ziel. Ob es realistisch ist, bleibt derzeit noch offen. Das kann man noch nicht richtig beurteilen.“

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Keine Besserung der Situation vor Ostern

Vor Ostern rechnet Fickenscher, der auch die Landesregierung berät, nicht mit deutlichen Lockerungen der Corona-Auflagen. „Vielleicht können einige Branchen vorher schon wieder öffnen.“ Aber eine relevante Lockerung im Alltag erwarte er erst, wenn es deutlich wärmer wird. „Daher wünsche ich mir zu Weihnachten, dass der Frühling warm und frühzeitig beginnt.“

Im Sommer erwarte er - wie in diesem Jahr - eine eher entspannte Corona-Situation. Es bleibe aber die Unwägbarkeit, dass sich Virusvarianten verbreiten, „die uns vielleicht das Leben noch schwerer machen. Derzeit gibt es aber diesbezüglich keine echten Fakten.“

Tourismus bleibt wohl auch im kommenden Jahr schwach

Beim Tourismus rechnet Fickenscher auch im neuen Jahr eher mit Einschränkungen. Denn im vergangenen Sommer habe es den Haupteintrag an Corona zunächst über den Tourismus gegeben. Vielleicht müssten die Regeln mit Risikogebieten effizienter angewandt werden. „Ich fürchte, dass es dem Tourismus im Jahr 2021 weiterhin schlecht gehen wird.“

Dass manche Länder einen Impfpass von Touristen verlangen könnten, sieht Fickenscher wissenschaftlich kritisch: „Derzeit wissen wir noch zu wenig, inwiefern die Impfung tatsächlich zuverlässig das Weiterverbreiten des Virus verhindert. Es ist zwar aus Analogie zu anderen Fragestellungen anzunehmen. Aber bevor man einen Impfpass im Sinne "Wer geimpft ist, braucht sich nicht mehr drum zu scheren" ausgeben kann - bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“

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Impfen ist das Beste, was wir derzeit tun können

Eine Alternative zum Impfen sieht Fickenscher derzeit nicht. Man habe zwar noch nicht die Erfahrung, wie gut die Impfstoffe die sehr alte Bevölkerung schützen. „Wir wissen auch noch nicht, wie lange der Impfschutz anhält, denn diese Impfstoffe sind ja erst vor kurzem entwickelt worden und haben jetzt gerade die Phase III der Studien und die Zulassung überstanden. Insofern bleiben viele Aspekte offen. Es ist auch denkbar, dass wir in Zukunft jährlich oder, wenn wir Pech haben, halbjährlich eine Coronavirus-Impfung benötigen.“ Dennoch sei Impfen „das Beste, was wir derzeit machen können.“

Auf die Frage, welche Hausaufgaben die Bürger zu machen hätten, antwortete Fickenscher: „Die wesentliche Hausaufgabe für uns alle ist, die Regeln so gut wie möglich zu befolgen: Kontakte zu vermeiden, wo es nur geht und alle weiteren Regeln, die wir alle jetzt schon sehr, sehr gut kennen, einfach wirklich sehr ernst zu nehmen. Das schützt uns alle insgesamt.“ Impfen sei „einfach die Strategie für die Zukunft und da können wir uns allen sehr die Daumen drücken, dass das möglichst schnell vonstatten gehen kann.“

RND/dpa

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