Virus mit Vorwarnung: So könnte ein Corona-Alarm funktionieren
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Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) hat einen Frühindikator für eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems entwickelt, in den auch die Bettenauslastung auf den Intensivstationen einfließt.
© Quelle: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dp
Hannover. Bislang richten sich Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus allein an der Zahl der gemeldeten Infektionen aus – und nicht daran, wie viele Menschen wirklich erkranken. Dabei haben die allermeisten Infizierten nur milde oder keine Symptome. Momentan sterben in Deutschland pro Tag durchschnittlich etwa zehn Menschen an dem Virus. All das sollte beim Beschluss neuer Maßnahmen berücksichtigt werden, fordern Experten.
Bei der bloßen Orientierung an den Fallzahlen gibt es noch ein Problem: Wenn mehr getestet wird, wie zuletzt in Deutschland, werden auch mehr Fälle entdeckt, die sonst unbemerkt geblieben wären. Zu welchem Anteil steigende Fallzahlen durch eine Zunahme der Tests verursacht werden, lässt sich daher nicht eindeutig sagen.
Neue Lagebewertung soll Krankenhauskapazitäten berücksichtigen
Unter anderem hatte nun der Bonner Virologie Professor Hendrik Streeck einen “Strategiewechsel” im Umgang mit Corona gefordert. Man dürfe sich “bei der Bewertung der Situation nicht allein auf die reinen Infektionszahlen beschränken”, hatte Streeck im September gegenüber der “Welt am Sonntag” gesagt. Streeck ist auch Mitglied im Expertenrat von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet.
Wie das “Handelsblatt” berichtet, empfiehlt dieser Expertenrat ein neues, mehrstufiges Modell zur Steuerung von Corona-Regeln, das Laschet gern umsetzen würde. Für die Risikobewertung solle nicht nur die Zahl der Neuinfektionen berücksichtigt werden. In die Lagebewertung müssten vielmehr auch die Kapazitäten der Krankenhäuser und die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten mit einbezogen werden, hatte Laschet gegenüber dem “Handelsblatt” gesagt.
Österreichs Ampelwarnsystem als Vorbild
Vorbild soll das österreichische Ampelwarnsystem sein. Dieses sieht vier verschiedene Warnstufen von Grün (niedriges Risiko) über Gelb und Orange bis Rot (sehr hohes Risiko) vor. Wie in Deutschland werden dafür die gemeldeten Fallzahlen der letzten Tage herangezogen – aber nicht nur. Zusätzlich werden die Auslastung der Krankenhäuser, die Nachverfolgbarkeit von Ansteckungsketten und das Verhältnis durchgeführter Tests zur Zahl der positiven Nachweise berücksichtigt. Ein Frühwarnsystem, das die Auslastung der Krankenhäuser mit berücksichtigt, gibt es dabei auch in Deutschland bereits. Nur wurde dies von der Politik bisher kaum beachtet.
Vorwarnzeit aus aktuellem R-Wert und freien Betten
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) hat einen Frühindikator für eine drohende Überlastung des Gesundheitssystem entwickelt. In die Berechnungen fließen die Meldezahlen des RKI, aber auch die Bettenauslastung auf den Intensivstationen mit ein, die täglich über das DIVI-Intensivregister abrufbar sind. Mit ausgewertet wird bei der Zi-Formel zudem die Reproduktionszahl R, also die Zahl der Personen, die ein Infizierter durchschnittlich ansteckt. Aus dem aktuellen R-Wert und den freien Betten berechnet das System eine Vorwarnzeit – den Zeitraum, der noch für Maßnahmen zur Verfügung steht, ehe eine Systemüberlastung drohen könnte.
Wie ein Blick in das DIVI-Intensivregister zeigt, ist die Bettenauslastung auf den Intensivstationen jedoch gering. Nur etwa 373 von über 30.000 Intensivbetten (Stand 2. Oktober) sind derzeit von Covid-19-Patienten belegt, und fast 8700 stehen leer. Selbst zu Hochzeiten des Ausbruchs waren nur maximal 2700 Intensivbetten für Corona-Patienten benötigt worden. Entsprechend lang sind die Vorwarnzeiten, die das Zi angibt, sie betragen meist mehr als zwei Monate und werden täglich aktualisiert.
Politik setzt weiterhin auf Zahl der Neuinfektionen
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte der Politik schon Ende August vorgeschlagen, ihr System zu nutzen. “Anders als der tagesaktuelle R-Wert oder die Zahl der Neuinfizierten gibt der Frühindikator Vorwarnzeit der Politik einen Anhaltspunkt für den noch bestehenden zeitlichen Handlungsspielraum, um die Risiken weitergehender Maßnahmen des Pandemiemanagements abzuwägen”, heißt es in einer Erklärung.
Bei der Politik fand das aber offenbar kein Gehör. Auch Laschets Ideen konnten sich bisher nicht durchsetzen. Der Bund hat vor wenigen Tagen neue, regionale Maßnahmen gegen das Coronavirus beschlossen. Grundlage soll weiterhin die Zahl der Neuinfektionen sein.