Übergang zur Endemie: Wie wir nun mit dem Virus leben müssen
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Die Maskenpflicht ist eine der letzten Maßnahmen gegen die Pandemie.
© Quelle: dpa
Während andere Länder schon länger zur Normalität übergegangen sind, könnte das nun bald auch in Deutschland der Fall sein. Doch es gibt weiterhin Menschen, die Angst vor dem Virus haben – und am liebsten noch länger an Maßnahmen festhalten würden. Für einige fühlt es sich so an, als sei der Kampf gegen Sars-CoV-2 verloren. Doch das ist ein Missverständnis. Die endemische Lage bedeutet zwar tatsächlich nicht, dass der Erreger verschwindet. Infektionswellen wird es wohl auch weiterhin geben. Zwei Virologen erklären, warum das nicht schlimm ist, sondern sogar notwendig, um den Immunschutz in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten.
Martin Stürmer ist Virologe an der Uni Frankfurt. Auch aus Stürmers Sicht kann man derzeit schon von einem Übergang zur endemischen Lage sprechen: „Wir gehen davon aus, dass uns Sars-CoV-2 über die nächsten Jahre weiter begleiten wird und wir müssen lernen, damit umzugehen. Wir haben jetzt die Situation, dass uns das Virus in immer neuen Varianten heimsucht, aber nicht mehr so massive Wellen auslöst, die auch nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führen“, so Stürmer gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Und das liege keinesfalls nur daran, dass Varianten wie Omikron leichtere Verläufe auslösen. Sondern daran, dass das Virus eben für einen Großteil der Bevölkerung nicht mehr neu ist.
Durch die vielen Wellen und aus Stürmers Sicht auch durch die Impfkampagnen sei eine gewisse Immunität aufgebaut worden. Dadurch, dass das Virus nun weiterhin regelmäßig in der Bevölkerung zirkuliert, werde diese Grundimmunität aufrechterhalten, so der Experte. Umgekehrt sei jetzt in China zu sehen, was selbst eine Variante wie Omikron noch anrichten könne, wenn der Immunschutz in der Bevölkerung fehlt. Nach strengsten Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen hatte die Regierung dort ihre No-Covid-Politik aufgegeben. Wodurch nun in China umso mehr Menschen auf einmal erkranken.
Auseinandersetzung mit Erregern für Immunsystem wichtig
„China hat auch gezeigt: Wenn man zu viel zu stark schützt, fliegt es einem irgendwann um die Ohren. No Covid ist ganz klar gescheitert. Ein ständiger Kampf gegen das Virus mit dem Ziel, so viele Infektionen wie möglich zu verhindern, ist nicht die Lösung“, sagt Stürmer. Deutschland habe zwar nie die No-Covid-Strategie verfolgt. Aber auch hier sehe man derzeit, dass Maßnahmen zukünftig besser gegen mögliche Folgeschäden abgewogen werden müssen. So sei die aktuelle schwere Erkältungswelle bei Kindern eine Folge der verringerten Abwehr gegen viele Erreger. „Dem Immunsystem fehlte die regelmäßige Auseinandersetzung mit vielen Erregern von Atemwegserkrankungen, die normalerweise dafür sorgt, dass ein Schutz aufrechterhalten bleibt. Dadurch gelingt es nun weniger gut, diese abzuwehren“, sagt Stürmer.
Es sei wichtig, aus solchen Erfahrungen zu lernen: „Mit Schul- und Kindergartenschließungen würde man in Zukunft wahrscheinlich vorsichtiger umgehen.“ Die aktuelle Erkältungswelle bei Kindern und auch bei Erwachsenen sind für Stürmer ein Grund, aus dem er auch das Maskentragen noch für zwei weitere Monate für vertretbar hält – als Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass auch wieder vermehrt Corona-Infektionen hinzukommen.
Maßnahmenende spätestens nach Winter
Spätestens nach dem Winter rechnet Stürmer aber mit dem Ende der restlichen Maßnahmen: „Über kurz oder lang werden wir das Virus wie andere Krankheiten auch behandeln, und das ist auch legitim“, sagt Stürmer. Es sei dann auch „absolut gerechtfertigt, wieder Normalität zu etablieren.“ Wie genau die Normalität mit dem Virus aussehen werde, wisse man noch nicht genau, so Stürmer. So sei aus seiner Sicht noch nicht klar, ob die Zirkulation des Virus ausreicht, um die Immunität aufrechtzuerhalten. „Ich gehe momentan davon aus, dass man für die vulnerablen Gruppen auch weiterhin Impfungen anbieten wird.“
Der Virologe Klaus Stöhr hat 15 Jahre lang für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gearbeitet und unter anderem zu Sars- und Influenzaviren geforscht. Seiner Einschätzung nach folgt die Entwicklung der Sars-CoV-2-Pandemie in Richtung Endemie dem klassischen Muster. „Pandemien enden, nachdem sich das Virus durch Anpassung abgeschwächt hat und praktisch alle Menschen eine Immunität haben. Die verhindert zwar nicht in jedem Fall die Neuansteckung und Virusausscheidung, aber die Krankheitsverläufe werden milder und seltener, so wie man es von anderen Atemwegserkrankungen kennt. Daran infizieren sich Kinder pro Jahr in der Regel acht- bis zwölfmal und Erwachsene vier- bis sechsmal“, sagt Stöhr. „Das Sars-CoV-2 Virus wird sich zu den bereits bekannten etwa 200 Atemwegserkrankungen ‚dazugesellen‘ und dann genauso vor allem im Winter zu vielen Erkrankungen und seltenen Todesfällen führen.“ Für vulnerable Personen bleibe weiterhin eine jährliche Impfung vor dem Winter verfügbar, genau wie bei Influenza.