Nach dem Ende der Pandemie: Ist auch weiter mit schweren Verläufen zu rechnen?
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Findet das Virus keine Möglichkeit mehr, sich auszubreiten, weil viele Menschen bereits infiziert waren oder geimpft und zumindest vorübergehend immun sind, gibt es zwei Möglichkeiten.
© Quelle: Arne Dedert/dpa
Das Coronavirus wird nicht mehr verschwinden, darin sind sich Experten und Expertinnen inzwischen weitgehend einig. Aber was genau bedeutet das – und wie viele Menschen werden weiterhin schwer erkranken? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Veröffentlichung „Transition to endemicity: Understanding Covid-19″ von zwei amerikanischen Forschenden, die im Fachmagazin „Immunity“ erschienen ist.
Elizabeth Halloran, Epidemiologieprofessorin an der Universität Washington, und Rustom Antia, von der Emory University in Atlanta, sehen verschiedene Möglichkeiten dafür, wie sich die Pandemie weiterentwickeln könnte. In ihrem Beitrag erklären sie zunächst noch einmal die Begrifflichkeiten: Eine Epidemie bezeichnet die sprunghafte Ausbreitung eines Krankheitserregers in der Bevölkerung. Typischerweise werden Epidemien von Erregern ausgelöst, die neu in einer Population auftreten und gegen die es noch keine schützenden Immunität gibt. Als Beispiel nennen die Forschenden Krankheiten, die bei der Eroberung von Amerika eingeschleppt wurden. Die Mehrheit der dort lebenden indigenen Bevölkerung fiel solchen Seuchen zum Opfer.
Zwei Möglichkeiten: dauerhafte Zirkulation oder Verschwinden
Eine andere Variante seien Zoonosen – Erreger, die vom Tier auf den Mensch übergesprungen sind, wie Sars-CoV-2. Bei einer Epidemie, die wie das neuartige Coronavirus Länder und Kontinente übergreifend auftritt, spricht man von auch von einer Pandemie. Bei einer Epidemie oder Pandemie ist die Reproduktionszahl, also die Zahl der Personen, die Infizierte durchschnittlich anstecken, höher als eins. Es gibt dabei außerdem eine Phase, in der die Infektionen exponentiell zunehmen.
Waren jedoch viele Menschen bereits infiziert oder sind geimpft und zumindest vorübergehend immun, gibt es zwei Möglichkeiten, erklären Halloran und Antia. Es kann verschwinden, das sei vor allem in einer isolierten Population etwa auf einer Insel möglich. Oder aber es zirkuliert dauerhaft in der Bevölkerung: bei niedrigeren Infektionszahlen, wobei saisonale Schwankungen auftreten können.
Übergang in die endemische Phase erwartet
Hierbei spricht man vom Eintritt in die endemische Phase. So wie inzwischen fast alle Experten und Expertinnen gehen auch der Autor und die Autorin des „Immunity“-Beitrags davon aus, dass sich das Sars-CoV-2-Infektionsgeschehen immer stärker in diese Richtung entwickeln wird. Da weder die Impfung noch die natürlich durchgemachte Infektion dauerhaft schützen und Ansteckungen vermeiden könnten, sei ein Verschwinden des Erregers kaum zu erwarten, schreiben die Forschenden. Ein endemisches Auftreten sei hingegen wahrscheinlich.
Offen sei nun, ob und wie viele Menschen in Zukunft noch schwer an Covid-19 erkranken. Hierzu entwerfen die Forschenden mehrere Szenarien. Bei anderen Coronaviren, bei denen das Krankheitsgeschehen bereits endemisch ist, gebe es die meisten Erstinfektionen in der Kindheit. Im Fall von Sars-CoV-2 würde das bedeuten, dass mit keiner großen Krankheitslast mehr zu rechnen sei, da Infektionen bei Kindern mild verlaufen.
Reinfektionen sorgen für Boosterwirkung
Allerdings sei auch der Verlauf von Reinfektionen in den höheren Altersgruppen entscheidend: Bei Sars-CoV-2 bestehe nach einer Impfung oder durchgemachten Infektion zunächst ein guter Immunschutz, wobei der Schutz vor Krankheit länger anhalte als der Schutz vor Infektion. Erkrankungen würden in Zukunft dann verhindert, wenn sich Genesene oder Geimpfte erneut infizieren, ehe ihr Immunschutz vor schweren Verläufen nachlässt. Jede Reinfektion würde dann wie ein Booster wirken, der den Immunschutz immer wieder verlängert – ohne aber selbst schwere Symptome auszulösen.
Aber auch eine andere Entwicklung sei möglich: Wenn nämlich in der endemischen Phase nur noch sehr wenig Sars-CoV-2 zirkuliert, würde die Boosterwirkung ausbleiben. Bevor es zu einer Reinfektion kommt, hätte der Schutz vor einem schweren Verlauf dann bei vielen Menschen bereits abgenommen. Dieser Effekt sei nicht wünschenswert, schreiben Halloran und Antia. Denn es würde bedeuten, dass es zwar insgesamt weniger Infektionen gibt, diese aber weiterhin schwer verlaufen würden. Die Zahl der Infektionen mit Sars-CoV-2 dauerhaft möglichst niedrig zu halten erscheint in einem solchen Szenario wenig sinnvoll.
Offene Fragen zum Impfschutz
Wie wichtig Reinfektionen für einen dauerhaften Immunschutz sein können, zeigt sich momentan bereits beim Respiratorischen Synzytial-Virus (RS-Virus). Das RS-Virus tritt normalerweise endemisch im Winter auf und ist im Gegensatz zu Sars-CoV-2 besonders für Kinder gefährlich ist. Weil Kinder durch die Corona-Maßnahmen in den vergangenen zwei Jahren aber kaum in Kontakt mit RS-Viren kamen, entfiel der Boostereffekt und ihr Immunschutz ist nun geschwächt: Es kommt daher gleichzeitig zu vielen Erstinfektionen und Reinfektionen, die schwerer verlaufen können als sonst üblich.
In Bezug auf die Sars-CoV-2-Impfung schreiben die Forschenden, diese sei ein wichtiges Mittel, um in der Epidemie die Krankheitslast zu senken. Es gebe aber noch offene Fragen dazu, wie sich Impfungen während der endemischen Phase auswirken könnten. Bei einem endemischen Geschehen sei es wichtiger, dass die Impfung vor schweren Verläufen schützt als vor Infektionen. Besser erforscht werden müsse auch noch, wie lange der Schutz vor Krankheit abhängig vom Alter anhalte. Insgesamt gelte es, noch besser zu verstehen, wie sehr der Schutz vor Infektionen und der Schutz vor schweren Verläufen mit der Zeit nachlasse und welche Boosterwirkung durch eine Impfung oder natürliche Infektion erreicht werden können.