Experten warnen: Corona-Krise belastet die Psyche mehr als gedacht

Das neuartige Coronavirus macht vielen Menschen Angst, was langfristige Folgen für die psychische Gesundheit haben kann.

Das neuartige Coronavirus macht vielen Menschen Angst, was langfristige Folgen für die psychische Gesundheit haben kann.

Berlin. Die Corona-Krise kann für viele Menschen zur persönlichen Krise werden - auch psychisch. Denn Ausgangsbeschränkungen und deren Folgen können sowohl Menschen mit psychischen Erkrankungen als auch Gesunde massiv belasten.

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Die Tübinger Psychologin Ursula Gasch, spezialisiert auf Notfälle, sieht die Lage für viele Menschen einengend: „Ich kann nicht mehr bestimmen, wie ich mich bewege, mit wem ich mich in einem Raum aufhalte. Das meiste ist jetzt vorbestimmt und geografisch limitiert.“ Dazu befänden sich Familien plötzlich in einem ungewohnten und erzwungenem 24/7-Modus. Zugleich fehlten tägliche Routinen und Ausweichmöglichkeiten. Dazu kommt die Sorge um die eigene Gesundheit - nach Umfragen beschäftigt sie mehr als die Hälfte der Bundesbürger.

Corona-Krise birgt Konflikte

„Diese Lage birgt Konfliktpotenzial“, urteilt auch Iris Hauth, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Die übliche Reaktion auf Angst in der menschlichen Entwicklung sei: wegrennen oder kämpfen. „Das funktioniert hier aber beides nicht.“ Solche Situationen habe es bisher kaum gegeben. „Da haben wir auch keine Bewältigungsstrategien.“

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In Krisenplänen müsse deshalb unbedingt auch die psychische Belastung der Bevölkerung berücksichtigt werden, fordert Hauth. „Es geht um zeitnahe Angebote. Diese Pandemie ist nicht in drei Wochen abgehandelt.“ Erfahrungen aus der chinesische Stadt Wuhan zeigten, dass dabei Krisentelefone helfen können. Tausende hätten dort angerufen.

Psychologen warnen: Auch Gesunde werden Ängste bekommen

Die Berliner Seniorenhotline Silbernetz registriere jetzt schon viel mehr Anrufe, sagt Initiatorin Elke Schilling. An einzelnen Tagen wollten fünfmal mehr Menschen reden als früher. Die Kapazitäten würden nun aufgestockt. Unter den Ratsuchenden seien mehr fitte und jüngere Senioren und auch mehr Männer als zuvor. Die Hauptthemen? „Die Unberechenbarkeit der weiteren Entwicklung und die Angst, selbst mit dem Coronavirus infiziert zu sein“, antwortet Schilling.

Fachleute müssten sich darauf einstellen, dass sowohl eine Welle von Gesunden kommen werde, die plötzlich behandlungsbedürftige Ängste habe, sagt Psychiaterin Hauth. Dazu komme die Verschlechterung der Symptomatik von bereits psychisch Erkrankten. Diese zweite Gruppe benötige ein noch fester geknüpftes Hilfenetz.

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Obdachlose: Corona-Krise bringt Nothelfer in Not

Der Leiter der Bahnhofsmission am Berliner Bahnhof Zoologischer Garten, Wilhelm Nadolny, schildert, wie sich die Arbeit durch die Corona-Krise verändert.

Kurz und mittelfristig könne die Lage zu Angst und Schlafstörungen, aber auch zu Langeweile, Einsamkeit und Depression mit Gefühlen der Ausweglosigkeit führen, meint Psychologin Gasch. Wut, Ärger, Frustration und Verunsicherung böten Potenzial für Aggressionen und Suchtmittelmissbrauch - zu viel Alkohol oder Schlaf-, Schmerz- und Beruhigungsmittel.

Rechtsmediziner befürchten Anstieg von Kindesmisshandlungen

In der Berliner Gewaltschutzambulanz befürchten Rechtsmediziner einen starken Anstieg von Kindesmisshandlungen. „Die soziale Kontrolle ist derzeit nicht da - der Bereich, wo sonst häusliche Gewalt gegen Kinder auffällt, also in Schulen, Kitas oder bei Tagesmüttern, ist ja gerade weggefallen“, sagt Vizechefin Saskia Etzold. Bei eingeschränkter Öffentlichkeit würden Verletzungen jetzt weniger bemerkt. „Wir müssen wohl davon ausgehen, dass innerfamiliäre Gewalt in den nächsten Wochen deutlich ansteigt“, ergänzt die Ärztin.

„Wir stellen uns in dieser Zeit darauf ein, dass Straftaten der häuslichen Gewalt deutlich zunehmen werden“, sagt auch Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Das zeigten auch Erfahrungen aus China und Italien. Psychologin Gasch hält die Sorge für berechtigt. Häusliche Gewalt werde zunehmen. „Da, wo dies ohnehin schon der Fall ist, kann es jetzt lebensbedrohlich werden für Betroffene“, sagt sie. Sich Hilfe zu suchen, sei derzeit besonders schwierig.

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Für Menschen mit psychischen Problemen sei die momentane Anspannung schwerer zu bewältigen als für andere, betont Psychiaterin Hauth. „Sie sind stressempfindlicher und bekommen möglicherweise mehr Symptome - also auch mehr Angst, mehr Panik und Depressionen.“ Auch im Sinne der Suizidprävention sei derzeit viel Achtsamkeit gefragt.

Die Berliner Psychiaterin Iris Hauth, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, hat ein paar Tipps, um eine persönliche Corona-Krise zu vermeiden:

Richtig informieren

Ganz ohne Nachrichten geht es nicht, gerade heute. Die Flut von teils beängstigenden Neuigkeiten und immer neuen Zahlen kann die Anspannung aber noch vergrößern, warnt Hauth. Ihr Tipp: Nachrichten nicht ständig verfolgen, sondern zum Beispiel nur einmal am Tag.

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Der Hamster in uns: Panikkäufe und Corona

„Hamstern“ beschreibt das Horten von Lebensmitteln oder knapp werdenden Dingen. Das Horten von Dingen hat eine lange Tradition.

Den Alltag bewahren

Morgens aufstehen, duschen, anziehen - das muss im Homeoffice vielleich nicht sein, ist aber weiter sinnvoll. Dazu ist es hilfreich, Alltagsrituale bewusst positiv zu erleben: das gemeinsame Essen mit der Familie oder die Gelegenheit, in Ruhe den Kleiderschrank aufzuräumen. So geht man abends mit dem guten Gefühl ins Bett, sich sinnvoll beschäftigt zu haben.

Platz für Positives

Schöne Musik oder Lieblingsfilme können jetzt eine große Hilfe sein. Sport hilft beim Abbau von Anspannung, im Idealfall und bei entsprechendem Wetter vielleicht sogar am offenen Fenster oder auf dem Balkon. Und ein Spaziergang an der frischen Luft macht den Kopf frei.

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In Kontakt bleiben

Besuche bei Freunden sind jetzt gerade nicht möglich, Kontakt kann man aber trotzdem halten - per Videochat oder ganz klassisch per Telefon. So vermittelt man sich gegenseitig: Du bist nicht allein.

Nicht verdrängen

Die Krise ist ernst und betrifft alle. Das lässt sich nicht verdrängen - und das sollte man auch nicht tun. Gleichzeitig kann man aber versuchen, positive Gefühle zu stärken. Und wenn alles zu viel wird, sollte man sich auch nicht scheuen, professionelle Hilfe zu holen - zum Beispiel bei der Telefonseelsorge oder den regionalen Krisendiensten. Auch der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) hat eine anonyme und kostenlose Corona-Hotline geschaltet. Die Hotline mit der Nummer 0800 777 22 44 ist täglich von 8 bis 20 Uhr geschaltet.

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RND/dpa/hb

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