Ob China oder Ischgl – woher ein Virus kommt, ist eigentlich egal
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/NCGRYRBPHVCNLG5HDJYTL3SQZQ.jpg)
Stau an der Grenze: Leisten Schuldzuweisungen gegenüber dem Ausland einem Nationalismus Vorschub, der am Ende in riskanten Grenzschließungen mündet?
© Quelle: imago images/Bernd März
Geht es um die Corona-Pandemie, schwingt immer öfter die Schuldfrage mit: US-Präsident Donald Trump etwa spricht hartnäckig von einem “chinesischen Virus” – so oft, dass in Chinas Staatsmedien mittlerweile zu lesen ist, das Virus könnte ja auch von der CIA ins Reich der Mitte eingeschleust worden sein. Derweil ärgern sich tausende Deutsche über die Verantwortlichen in Österreichs Skigebieten, die Corona-Ausbrüche womöglich zu spät gemeldet haben. Und italienische Ärzte äußern Vermutungen, dass das Coronavirus aus Deutschland nach bella Italia kam.
Schuld sind nach dieser Logik also die anderen. Oder konkreter: Irgendwelche Ausländer, die wahlweise wegen ihrer Essgewohnheiten, Sorglosigkeit oder aus Geldgier die Katastrophe über die einheimische Bevölkerung gebracht haben. Das wäre skurril, wenn es nicht reale Probleme mit sich bringen würde: Über rassistische Ausfälle etwa gegenüber Asiaten auch in Deutschland ist in den vergangen Wochen genug berichtet worden.
Nationalismus erschwert Umgang mit Pandemie
Noch dramatischer ist allerdings, dass derartige Rhetorik einem Nationalismus Vorschub leistet, der den Umgang mit der Pandemie massiv erschweren könnte. Denn aus den nationalistischen Tönen ist längst konkrete Politik geworden: Mittlerweile zoffen sich EU-Staaten um Lieferungen mit Schutzausrüstung, jüngst machte ein möglicher Versuch der US-Regierung, einen deutschen Impfstoffentwickler nach Nordamerika zu locken, Schlagzeilen.
Grenzschließungen bergen Risiken
Dass der Rückzug in den eigenen Nationalstaat Gefahren birgt, zeichnet sich auch bei den Grenzschließungen ab. Die sind aus Sicht vieler Politiker derzeit das Mittel der Wahl – auch wenn es kaum Virologen gibt, die sich von geschlossenen Grenzen eine effektive Eindämmung versprechen. Schließlich ist das Virus in mindestens 140 Staaten schon angekommen.
Dem gegenüber stehen knallharte Risiken: Die ganze Welt – und vor allem Europa – setzen seit Jahrzehnten darauf, dass Waren und Arbeitnehmer möglichst ungehindert Grenzen überqueren können. Sind die geschlossen, gerät das ins Wanken. Landwirte in Deutschland beklagen einen Mangel an Erntehelfern, Speditionen fehlen die meist osteuropäischen Fahrer. Und die EU-Kommission befürchtet, dass Staus an Grenzübergängen den Warenverkehr beeinträchtigen könnten.
Wenn das passiert, könnte sich die Coronakrise doch noch zu dem auswachsen, was es eigentlich zu verhindern gilt: einer handfesten Wirtschaftskrise, in der auch Versorgungsengpässe drohen. Die Schuld daran hätten allerdings nicht irgendwelche Ausländer. Sondern diejenigen, die die Verantwortung für die Corona-Pandemie stets beim Ausland gesucht haben – anstatt auf international koordinierte Gegenmaßnahmen zu setzen.