Dominierende Coronavirus-Variante B.1.1.7: Die wichtigsten Fragen und Antworten
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Mutationen sind Forschern zufolge bei dem Coronavirus nicht ungewöhnlich.
© Quelle: NIAID-RML/AP/dpa
Die Corona-Fallzahlen in Deutschland steigen wieder. Ein Grund für diesen erneuten Anstieg – trotz Lockdowns – dürfte die ansteckendere und wohl auch etwas gefährlichere Coronavirus-Variante B.1.1.7 sein, die das Infektionsgeschehen in Deutschland mittlerweile dominiert. Zunächst hatten Forscher die neue Variante des Coronavirus B.1.1.7 – auch VOC 202012/01 genannt – nur in Großbritannien nachgewiesen. Mittlerweile taucht sie auch in anderen Ländern auf. Doch um was für eine Mutation handelt es sich – und wie gefährlich ist sie? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wodurch zeichnet sich die Coronavirus-Variante B.1.1.7 aus?
Erstmals nachgewiesen wurde der neue Virusstamm B.1.1.7 Ende September 2020 in Proben aus Südengland und London. Ungewöhnlich ist, dass die neue Virusvariante nicht nur einzelne, sondern zahlreiche Mutationen aufweist. Forschern der University of Edinburgh zufolge unterscheidet sich der neue Stamm durch 14 ausgetauschte Aminosäuren und drei komplett weggefallene Proteinbausteine vom ursprünglichen Virus Sars-CoV-2.
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Dabei sollen mehrere genetische Veränderungen das Spike-Protein betreffen, das auf der Oberfläche des Virus sitzt und ihm sein stacheliges Aussehen verleiht. Mithilfe des Spike-Proteins kann das Virus an die Zellen des menschlichen Körpers andocken und in sie eindringen. Mutationen könnten das Eindringen in die Zellen womöglich erleichtern.
Wie verbreitet ist B.1.1.7 in Deutschland?
B.1.1.7 ist in Deutschland zur dominierenden Coronavirus-Variante geworden. Ihr Anteil beträgt inzwischen rund 88 Prozent, wie aus einem aktuellen Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) hervorgeht. Seitdem sich die britische Mutante immer mehr in Deutschland ausbreitet, steigen auch die Corona-Fallzahlen und die Sieben-Tage-Inzidenz wieder an. Das RKI rechnet mit einem exponentiellen Wachstum der Covid-19-Fälle.
„Mit steigender Inzidenz erhöht sich unser Ansteckungsrisiko ganz allgemein“, sagte Virologe Marco Binder vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Und darum ist es, gerade jetzt mit der neuen Variante, umso wichtiger, dass jeder einzelne darauf achtet, nicht zur weiteren Ausbreitung des Virus beizutragen.“
Erstmals in Deutschland nachgewiesen, wurde B.1.1.7 im Dezember vergangenen Jahres. Eine Frau, die aus Großbritannien nach Baden-Württemberg einreiste, hatte sich mit der britischen Mutante infiziert. Die Virusvariante könnte aber auch schon eher in Deutschland aufgetreten sein. Nachträgliche Probenuntersuchungen wiesen darauf hin, dass eine Familie aus Niedersachsen bereits im November an der britischen Corona-Variante erkrankt war. Die Tochter soll sich in Großbritannien infiziert und später ihre Eltern angesteckt haben. Der Vater der Familie ist inzwischen verstorben.
Ist das veränderte Virus ansteckender als die Ursprungsvariante?
Dies gilt inzwischen als gesichert. Zum einen scheint sich die neue Variante im Süden Englands besonders schnell ausgebreitet zu haben. Zum anderen deuten Studien darauf hin, dass die genetischen Veränderungen am Spike-Protein es dem Virus erleichtern, in Körperzellen einzudringen und diese zu infizieren.
Nach Ansicht britischer Experten ist B.1.1.7 30 bis 70 Prozent leichter übertragbar als der Coronavirus-Wildtyp. Erste Daten aus dem Vereinigten Königreich deuten ferner darauf hin, dass die Reproduktionszahl in Gebieten, in denen der neue Virustyp zirkuliert, erhöht sei, hieß es bereits Ende Dezember von der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Britische Corona-Variante löst fast 90 Prozent der Neuinfektionen aus
In Deutschland war die britische Corona-Variante erstmals im Dezember nachgewiesen worden. Gut drei Monate später hat sie die Ursprungsvariante fast verdrängt.
© Quelle: dpa
Schon Ende vergangenen Jahres hatten zudem britische Experten darauf hingewiesen, dass sich vor allem Jüngere häufiger mit der Mutante infizieren könnten. Damals war die Datenlage aber noch zu dünn, um eine Kausalität festzustellen. Eine Analyse der Mathematikerin Sarah D. Rasmussen von der Universität Cambridge kommt jetzt, rund vier Monate später, ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sich B.1.1.7 bevorzugt unter Kindern und Jugendlichen verbreitet.
Tatsächlich ist die Sieben-Tage-Inzidenz in der Altersgruppe der unter 14-Jährigen in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen. Ob dies daran liegt, dass jüngere Menschen anfälliger für die britische Virusvariante sind oder dass vermehrte Testungen in den Bildungseinrichtungen einfach die Fallzahlen verzerrt haben, ist noch nicht abschließend geklärt.
Wie verläuft eine Infektion mit B.1.1.7?
Die auftretenden Symptome bei einer Infektion mit der Virusvariante ähneln stark denen des Coronavirus-Wildtypen. Einer Studie der britischen Statistikbehörde ONS (Office for National Statistics) zufolge treten Husten, Müdigkeit, Gliederschmerzen und Halsschmerzen bei einer Infektion mit B.1.1.7 etwas häufiger auf. Der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns hingegen etwas seltener. Keinen Unterschied gibt es demnach bei der Häufigkeit von Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Durchfall oder Erbrechen. Befragt wurden 6000 zufällig ermittelte Personen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden.
Wird das Coronavirus durch die Mutation gefährlicher?
Dazu gibt es in der Wissenschaft unterschiedliche Einschätzungen. Erste Untersuchungen hatten darauf hingedeutet, dass die britische Corona-Variante zwar ansteckender als die ursprüngliche Virusform ist, aber keinen schwereren Covid-19-Krankheitsverlauf verursacht. Zu diesem Ergebnis war unter anderem eine Studie der Gesundheitsbehörde PHE in London gekommen.
Die „New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group“ (Nervtag), die die britische Regierung berät, warnt hingegen davor, dass eine Infektion mit B.1.1.7 „wahrscheinlich“ mit einem erhöhten Sterbe- und Hospitalisierungsrisiko einhergeht. Hintergrund sind zwölf veröffentlichte Studien – unter anderem von der London School of Hygiene & Tropical Medicine, des Imperial Colleges London und der University of Exeter. In den Untersuchungen zeigte sich teilweise ein Anstieg der Case-Fatality-Rate (CFR) – also des Anteils an Covid-19-Patienten, die an der Erkrankung sterben.
Eine Studie des dänischen Gesundheitsinstituts SSI war zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen: Demnach birgt B.1.1.7 ein 64 Prozent höheres Risiko für Krankenhausaufenthalte. Insgesamt wurden 35.887 Personen in der Untersuchung berücksichtigt, die im Zeitraum vom 1. Januar bis 6. Februar positiv getestet wurden.
Jetzt, Anfang April, stützen zwei neue Studien wiederum die Ergebnisse der Gesundheitsbehörde PHE. Demnach sei die britische Mutante zwar ansteckender, aber nicht tödlicher. Die beiden Untersuchungen sind in den Fachmagazinen „The Lancet Infectious Diseases“ und „The Lancet Public Health“ erschienen. Während die eine Studie die Viruslast von Corona-Infizierten mithilfe von PCR-Tests untersuchte, wertete die andere Symptome von Covid-19-Patienten aus, die diese über eine App des Gesundheitssystems meldeten.
Wirken die neuen Corona-Impfstoffe auch bei B.1.1.7?
Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es so, dass die Corona-Impfstoffe auch gegen die britische Virusvariante wirksam sind. Eine Studie von Pfizer und der University of Texas kam Anfang Januar zu dem Ergebnis, dass der Biontech-Impfstoff auch vor der in Großbritannien und Südafrika aufgetauchten Mutation des Virus, N501Y, schützt. Die Untersuchung muss allerdings noch von Experten überprüft werden.
Spahn: „Unser wichtigster Baustein ist Biontech“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn betonte am Donnerstag, dass Arztpraxen zunächst den Biontech-Impfstoff erhalten werden.
© Quelle: Reuters
Nur wenige Wochen später veröffentlichten Biontech und Pfizer eine weitere Preprint-Studie, die zu einem ähnlichen Ergebnis kam. Darin konnten die Forscher zeigen, dass die Antikörper von insgesamt 16 Geimpften die Pseudoviren mit mutiertem Spike-Protein praktisch genauso wirkungsvoll ausschalten wie solche mit nicht-verändertem Spike-Protein. Es sei deshalb „sehr unwahrscheinlich“, dass der Impfstoff nicht vor Erkrankungen durch die Variante B.1.1.7 schütze, heißt es in der Studie.
Auch der zweite in der EU zugelassene Corona-Impfstoff von Moderna soll gegen die Virusvariante schützen, gab der Hersteller bekannt. In einem Laborexperiment zeigte sich, dass gegen B.1.1.7 ähnlich viele neutralisierende Antikörper gebildet werden wie gegen die herkömmlichen Varianten. „Wir sind durch die neuen Daten ermutigt, und sie bestärken unsere Zuversicht, dass der Covid-19-Impfstoff von Moderna gegen diese neu entdeckten Varianten schützt“, sagte Unternehmenschef Stephane Bancel. Die Studie muss ebenfalls noch von Experten überprüft werden.
Der Corona-Impfstoff von Astrazeneca sei ebenfalls wirksam gegen die britische Virusvariante. Das teilte die Universität Oxford mit, die das Vakzin entwickelt hatte. Der Schutz vor einer symptomatischen Infektion sei laut einer bislang nur im Preprint veröffentlichten Studie ähnlich hoch wie bei der bislang vorherrschenden Virusvariante.
Es ist aber nicht auszuschließen, dass neue Mutationen die Wirksamkeit der Impfung zumindest abschwächen könnten – diese zielt nämlich genau auf das Spike-Protein ab. Ändert sich der Aufbau des Spike-Proteins, dann kann das Immunsystem den Erreger nach einer Impfung womöglich nicht mehr erkennen. Allerdings dürften einzelne Mutationen noch nicht dazu führen, dass die Impfung gänzlich wirkungslos wird. Erst wenn nach und nach immer mehr Veränderungen des Virus auftreten, ist zu erwarten, dass der Impfschutz mit der Zeit deutlich schwächer ausfällt.
In welchen Ländern ist die Virusmutation B.1.1.7 bisher aufgetaucht?
Bislang konnte die neue Virusvariante in 130 Ländern nachgewiesen werden, berichtet die Weltgesundheitsorganisation in ihrem „Covid-19 Weekly Epidemiological Update“ von Ende März. Darunter sind unter anderem die USA, Kanada, Brasilien, Australien, China, Russland und Deutschland.
In mehreren, aber nicht in allen Fällen waren die Infizierten aus Großbritannien in diese Länder eingereist. Es ist also davon auszugehen, dass sich schon innerhalb der anderen Länder Menschen untereinander angesteckt haben. In Südafrika und Brasilien entdeckten Forscher ebenfalls neue Varianten des Coronavirus. Diese sind nach bisherigen Erkenntnissen aber nicht identisch mit B.1.1.7.
Wie sind die Corona-Mutationen entstanden?
Dass Viren zufällig mutieren, ist ein relativ normaler Vorgang und kommt ständig vor. Unterschiedliche Varianten von Sars-CoV-2 hat es auch schon vorher gegeben. Bei dem neuen Virusstamm haben Wissenschaftler der University of Edinburgh eine Vermutung dazu, wie er entstanden sein könnte.
Ihre Theorie: Menschen mit geschwächtem Immunsystem könnten über einen längeren Zeitraum hinweg mit Coronaviren infiziert gewesen sein, die sich bereits in einigen genetischen Merkmalen unterschieden. Nach einer Antikörpertherapie könnten dann die besonders vermehrungsstarken Viren überdauert haben und an andere Menschen weitergegeben worden sein. Belegt ist diese Hypothese aber noch nicht.
Wir haben diesen Artikel am 13. April aktualisiert.
RND/tmo/ih/lb