Medikament gegen Covid-19: Welche Forschungsansätze gibt es bislang?
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Sars-CoV-2 wandert unsichtbar durch die Welt. So kann man sich das neuartige Coronavirus vorstellen. Die Illustration wurde von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zur Verfügung gestellt.
© Quelle: Cdc/ZUMA Wire/dpa
“Frühestens im nächsten Jahr” – so lautet die Antwort der meisten Experten auf die Frage, wann ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus zur Verfügung steht. Schneller könnten Medikamente erhältlich sein, die zwar nicht vor einer Ansteckung schützen, aber immerhin den Verlauf der vom Virus verursachten Erkrankung Covid-19 abmildern können. Experten setzen vor allem darauf, Medikamente einzusetzen, die bereits für andere Anwendungen erprobt sind. Diese müssten dann vor ihrer Zulassung nicht mehr so aufwendig getestet werden.
Die meisten Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 anstecken, benötigen keine Medikamente. Etwa 80 Prozent der Infizierten erholen sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ohne besondere Behandlung. Bei etwa 15 von 100 Infizierten komme es zu einem schweren Krankheitsverlauf mit Atemproblemen.
Schwere Lungenentzündung bei Covid-19
Sie werden behandelt wie ein Patient, der eine schwere Lungenentzündung hat – nur dass wir eben kein Antibiotikum haben wie bei einer bakteriellen Infektion.
Susanne Herold,
Justus-Liebig-Universität Gießen
Meist sind das Menschen aus Risikogruppen wie Krebskranke in Chemotherapie, ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen. Für diese stehen momentan keine spezifisch gegen Sars-CoV-2 wirkenden Medikamente zur Verfügung. “Sie werden behandelt wie ein Patient, der eine schwere Lungenentzündung hat – nur dass wir eben kein Antibiotikum haben wie bei einer bakteriellen Infektion”, erläutert Susanne Herold, die an der Justus-Liebig-Universität Gießen eine Professur für Infektionskrankheiten der Lunge hat. Die Patienten würden etwa mit Sauerstoff versorgt oder künstlich beatmet.
Ein spezifisch wirkendes Medikament könnte helfen, schwere Verläufe abzumildern oder gar zu verhindern. Schaut man bei ClinicalTrials.gov, der größten Datenbank zu klinischen Studien, nach Studien zu Covid-19, die in Vorbereitung sind oder bereits Teilnehmer aufnehmen, landet man derzeit mehr als 50 Treffer.
Helfen bereits bestehende Medikamente gegen Coronavirus?
Viren brauchen die menschliche Zelle, um sich zu vermehren, und da gibt es Interaktionsstellen, die man dann mit neuen Wirkstoffen auch blockieren kann.
Susanne Herold,
Justus-Liebig-Universität Gießen
In zahlreichen dieser Untersuchungen werden Medikamente oder Wirkstoffe getestet, die bereits im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen entwickelt und untersucht wurden – darunter etwa der eigentlich für Malaria eingesetzte Wirkstoff Chloroquin, das Hepatitis-Präparat Ribavirin und ein Mittel gegen Multiple Sklerose (Fingolimod).
“Repurposing” nennen Fachleute diese Herangehensweise, bei denen bereits für einen bestimmten Zweck getestete Mittel für einen anderen Zweck umgewidmet werden. Die meisten der klinischen Studien laufen in China, weil es dort die größte Anzahl an Patienten gibt, die daran teilnehmen können.
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© Quelle: RND
Für die Prüfung infrage kommen nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) Substanzen, die die Vermehrung von Viren hemmen oder die verhindern, dass sie in die Zellen eindringen, sogenannte Virostatika. “Viren selbst können nicht sehr viel”, erläutert Herold. “Viren brauchen die menschliche Zelle, um sich zu vermehren, und da gibt es Interaktionsstellen, die man dann mit neuen Wirkstoffen auch blockieren kann.”
Vielversprechende Substanz Remdesivir
Eine zweite Gruppe von Medikamenten sind die Immunmodulatoren, also Wirkstoffe, die überschießende Reaktionen des Immunsystems der Patienten und damit mögliche Schädigungen verhindern. Schließlich können Medikamente getestet werden, die speziell für Lungenkranke entwickelt wurden und die Aufnahme von Sauerstoff in der Lunge aufrechterhalten sollen.
Große Hoffnungen setzen Fachleute auf die Substanz Remdesivir. Sie wurde ursprünglich gegen Ebola-Infektionen entwickelt, brachte aber in der klinischen Prüfung keine guten Ergebnisse. Eine gewisse Wirksamkeit zeigte sich gegen das Mers-Coronavirus, das 2012 entdeckt wurde. Nun wollen Mediziner prüfen, ob sich der Wirkstoff möglicherweise auch zur Behandlung von Covid-19 einsetzen lässt.
Derzeit laufen drei Studien – in China und den USA – mit dem Mittel, zwei weitere sind angekündigt. Erste Patienten haben Remdesivir bereits erhalten, in den USA sind darunter Covid-19-Patienten von Bord der “Diamond Princess”, jenem Kreuzfahrtschiff, das zwei Wochen lang wegen des Coronavirus im Hafen von Yokohama in Japan unter Quarantäne gestellt worden war. Anfang April könnten erste Ergebnisse vorliegen. Am Klinikum Weilheim soll ein schwer kranker Patient mit dem Präparat behandelt werden.
Bekämpfung von Covid-19: Interessanter Ansatz aus Göttingen
Einen weiteren möglichen Ansatzpunkt für ein Medikament gegen Covid-19 hat ein Forscherteam unter Leitung des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) in Göttingen entdeckt. Die Wissenschaftler identifizierten ein Enzym, das in menschlichen Zellen vorkommt und das das Virus benötigt, um in die Zellen hineinzukommen – das wiederum ist ein unerlässlicher Schritt für die Vermehrung des Virus. “Wir wussten aufgrund unserer Vorarbeiten an anderen Coronaviren, dass sie auf dieses Enzym angewiesen sind”, erläutert Stefan Pöhlmann, Leiter der Abteilung Infektionsbiologie am DPZ.
Die Entdeckung ist umso interessanter, weil es bereits ein Medikament gibt, welches genau dieses Enzym – eine Protease mit der Bezeichnung TMPRSS2 – hemmt. Es heißt Camostat Mesilate und ist in Japan unter anderem zur Behandlung von Entzündungen der Bauchspeicheldrüse zugelassen. “Wir wünschen uns jetzt, dass die Verbindung auf ihre Wirksamkeit gegen Sars-CoV-2 in der Klinik getestet wird”, sagt Pöhlmann. Ein besonderer Vorteil der Protease sei, dass sie auch von anderen Viren, etwa anderen Coronaviren und Influenza-A-Viren, genutzt wird. Ein entsprechendes Medikament könnte theoretisch gegen mehrere Arten von Viren eingesetzt werden.
Klinische Studien bleiben trotz Zeitdruck notwendig
In einem Zulassungsverfahren werden drei grundlegende Dinge geklärt, nämlich die Wirksamkeit, die Verträglichkeit und die technische Qualität eines Medikaments.
Rolf Hömke,
VFA-Sprecher
Neben den genannten werden zahlreiche weitere bereits bekannte Mittel auf eine mögliche Wirksamkeit gegen Sars-CoV-2 geprüft. Um klinische Studien kommt man auch bei diesen nicht herum. Man spart allerdings bei der Zulassung eines Präparats im besten Fall Zeit.
“In einem Zulassungsverfahren werden drei grundlegende Dinge geklärt, nämlich die Wirksamkeit, die Verträglichkeit und die technische Qualität eines Medikaments”, erläutert VFA-Sprecher Rolf Hömke. “Ist ein Medikament bereits für eine andere Anwendung zugelassen, ist die Verträglichkeit geprüft und die technische Qualität belegt. Nachgewiesen werden muss nach wie vor, dass das Mittel gegen die Krankheit wirkt.”
Bereits erforschte Wirkstoffe können also unter Umständen schneller in die Phase der klinischen Prüfung eintreten, in der das Mittel an größeren Patientengruppen getestet wird – und dann bei erfolgreicher Testung auch schneller zugelassen werden.
Ganz neue Ansätze zur Bekämpfung von Covid-19 mit Tiermodellen
Ungeachtet dessen arbeiten Wissenschaftler auch an der Entwicklung gänzlich neuer Medikamente. Sie bauen dabei auf Erkenntnisse auf, die sie bei der Erforschung des ersten Sars-Coronavirus gewonnen haben, das 2002/2003 zu einer weltweiten Epidemie mit etwa 800 Todesopfern führte. Der damalige Erreger ist eng verwandt mit dem jetzigen Coronavirus. Bis aus diesen Forschungsarbeiten ein Medikament resultiert, dürften viele Jahre vergehen, für den derzeitigen Ausbruch werden sie keine Rolle mehr spielen.
Dennoch lohnen sich diese Arbeiten, betont Rolf Hilgenfeld, Direktor des Instituts für Biochemie der Universität Lübeck. “Nach dem Sars-Ausbruch 2003 gab es unglücklicherweise viele Spezialisten, (...) die gesagt haben, diese Situation war so einmalig, das kommt nie wieder. Dann war es relativ schwierig, Forschungsgelder zu bekommen”, sagt der Biochemiker, der Coronaviren schon seit vielen Jahren erforscht. Erst als das Mers-Virus 2012 auftrat, habe sich die Situation geändert.
Das Team um Hilgenfeld arbeitet an einer Substanz, die ein Enzym des Coronavirus hemmen soll. Nach den bereits geleisteten Vorarbeiten wäre der nächste Schritt, die Substanz in einem Tiermodell für das neue Coronavirus zu testen, sagt Hilgenfeld. Bislang gibt es ein solches Tiermodell nicht, es werde intensiv daran gearbeitet.
Arzneimittel für die nächste Epidemie
Der Wissenschaftler hofft, dass letztlich Pharmaunternehmen den Wirkstoff in klinischen Studien testen werden. “Aber das wird nicht in diesem Jahr fertig und auch nicht im nächsten Jahr”, betont Hilgenfeld. “Uns geht es darum, uns unabhängig zu machen von diesen, ich sag mal Hyperaktivitäten während und nach Ausbrüchen, die dann zwei Jahre später wieder vergessen werden.” Man wolle eine kontinuierliche Entwicklung eines Arzneimittels erreichen, das dann beim nächsten Ausbruch zur Verfügung stehe.
Er macht dabei auf ein besonderes Problem der Forschung in diesem Bereich aufmerksam: “Das Hauptproblem bei der Entwicklung von Wirkstoffen gegen neu aufkommende Viren ist, dass es dann, wenn man so weit ist, um in die klinische Prüfung zu gehen, keine Patienten mehr gibt. Dann ist der Ausbruch vorbei und man wartet vielleicht jahrelang auf die nächsten Patienten.”
Fördermittel für die Coronavirus-Forschung
Um die Erforschung des neuartigen Erregers voranzutreiben und schnell Behandlungsmöglichkeiten entwickeln zu können, startete das Bundesforschungsministerium Anfang des Monats einen Förderaufruf. Bis zu 10 Millionen Euro sollen bereitgestellt werden und Projektmittel schneller als üblich an die Forscher verteilt werden. “Um die Medizin möglichst rasch in die Lage zu versetzen, das neue Virus effektiv zu bekämpfen, bauen wir unsere Forschungsanstrengungen aus und beschleunigen sie”, begründetet Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU).
Einige Tage später kündigte sie auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Forschungs- und Gesundheitsministerium an, weitere 145 Millionen Euro zur Erforschung des Virus bereitzustellen. Ein Großteil davon – 140 Millionen Euro – fließt an die internationale Impfstoffinitiative CEPI. Mit den verbleibenden 5 Millionen Euro wird der Förderaufruf aufgestockt.