Alexander Kekulé über Corona-Maßnahmen: „Es fehlt eine kontinuierliche Strategie“
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Der Virologe und Biochemiker Alexander Kekulé pocht auf eine einheitliche Strategie zur Pandemiebekämpfung.
© Quelle: Imago
Eine Verschärfung der Maßnahmen sei in der derzeitigen Situation unumgänglich, sagt der Epidemiologe Alexander Kekulé, der einen Lehrstuhl an der Abteilung Mikrobiologie und Virologie an der Universität Halle innehat. Am Mittwoch entscheiden Bund und Länder über deren Fortbestand – und wie es mit dem Teil-Lockdown bis nach Silvester weitergeht. So hat es Bundeskanzlerin Angela Merkel zuletzt angekündigt.
Im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland erklärt Kekulé, wieso er die Maßnahmen bislang für zu schwach hält – und wieso er einen Lockdown zukünftig für nicht mehr nötig hält. Details dazu sind auch in seinem neuen Buch nachzulesen, das am 23. November im Ullstein-Verlag erscheint: „Corona-Kompass – wie wir mit der Pandemie leben und was wir daraus lernen können“ (22 Euro).
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Die Pandemie und wir
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Herr Kekulé, in Ihrem neuen Buch „Corona-Kompass“ schreiben Sie, ein Lockdown richte auf Dauer mehr Schaden an als Nutzen. Was lässt Sie da so sicher sein?
Der Wechsel zwischen Bremsen und Beschleunigen ist ein Konzept, auf das im Moment viele Länder setzen. Das funktioniert aber aus mehreren Gründen nicht auf Dauer. Erstens, die Bevölkerung macht so etwas nach einer Weile nicht mehr mit, weil der durch strikte Maßnahmen hervorgerufene Warnreflex keinen langfristigen Bestand hat. Zweitens, der Wirtschaft schadet das – weil sie nicht mehr planen kann. Drittens klappt das auch epidemiologisch nicht, weil nach einem Lockdown immer ein paar Infektionsfälle übrig bleiben und unerkannt in der Bevölkerung weiterlaufen. Dieses Hintergrundrauschen führt dann irgendwann zu einem diffusen Infektionsgeschehen, wie wir es jetzt auch in Deutschland haben.
Wie beurteilen Sie denn den in Deutschland eingeläuteten Teil-Lockdown im November?
Der jetzt geltende Lockdown mit seinen Maßnahmen ist zu schwach, um die Infektionen ausreichend unter Kontrolle zu bringen. Das wissen auch die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten. Sie können sich aber nicht einigen, wie genau verschärft werden soll. Es ist sehr unbefriedigend, dass in dieser Situation die Entscheidungen noch einmal eine gute Woche verschoben wurden. Die Kanzlerin hat Vorschläge, jeder Ministerpräsident und jeder Kulturminister hat aber seine eigenen Prioritäten.
Diese Problematik langwieriger Abstimmungen ist im Moment in allen westlichen Demokratien zu beobachten. Dazu suchen sich Politiker bei von Wissenschaftlern erarbeiteten Empfehlungen oft die ihnen bequemsten Positionen heraus. Im Ergebnis fehlt dadurch aber eine kontinuierliche Strategie. Und das Virus wartet nicht auf die Politik.
Corona-Plan bis Silvester: Schulen, Tests, Masken
Ich plädiere dafür, dass die politischen Entscheidungsträger Maßnahmen beschließen, die kontinuierlich und flächendeckend in Deutschland gelten.
Bundeskanzlerin Merkel hat in Aussicht gestellt, nach der nächsten Sitzung mit den Ministerpräsidenten einen Plan für bis nach Silvester erarbeitet zu haben. Was sollte der aus Ihrer Sicht enthalten?
Es sollten auf jeden Fall so schnell wie möglich der Nachschub bei den Antigenschnelltests sichergestellt und die Kapazitäten bei den PCR-Tests hochgefahren werden. Die PCR-Tests in den Laboren werden derzeit unter marktwirtschaftlichen Kriterien betrieben, da könnte der Staat finanziell und strukturell deutlich nachhelfen. In Schulen sollten, wo es geht, die Klassen im Sekundarbereich halbiert werden – wenn die Eltern und Lehrer das wollen. Zusätzlich schlage ich vor, die Weihnachtsferien eine Woche vor den Feiertagen zu beginnen, um Risikokontakte vor dem Besuch der Verwandten zu minimieren.
Und auf lange Sicht pochen Sie auf eine Strategie, die auf periodisches Hoch- und Herunterfahren verzichtet?
Ich plädiere dafür, dass die politischen Entscheidungsträger Maßnahmen beschließen, die kontinuierlich und flächendeckend in Deutschland gelten. Die Regeln sollten so lange Bestand haben, bis durch einen Impfstoff die Epidemie hierzulande unter Kontrolle gebracht ist. Einen konkreten Vorschlag dafür habe ich in meinem Buch gemacht. So eine Strategie könnte ab Januar im Anschluss an den derzeitigen Teil-Lockdown eingeführt werden. Ein kontinuierliches Konzept, das viele Freiheiten erlaubt und trotzdem die Infektionszahlen kontrolliert, kann auch viel besser der Bevölkerung vermittelt werden.
Was sollte den Kern so eines langfristigen Konzeptes ausmachen?
Vor allem müssen ältere Menschen und andere Risikopersonen einen besonderen Schutz bekommen, weil dadurch die hohe Sterblichkeit und viele schwere Krankheitsverläufe vermieden werden können. Der Staat muss also zuerst dafür sorgen, dass es in Kliniken, Alten- und Pflegeheimen keine Ausbrüche mehr gibt. Konkret heißt das: Regelmäßige PCR-Tests für das Personal samt ihrer Familien, Schnelltests und FFP2-Masken für Besucher. Deutschland ist da im Prinzip auf dem richtigen Weg, allerdings sehr schleppend.
Maskenpflicht und Partykodex auch im Jahr 2021
Damit antipandemische Maßnahmen langfristig funktionieren und akzeptiert werden, muss man die Menschen in die Entscheidungen einbinden, statt wie in China Polizei und Militär loszuschicken.
Welche Bausteine sind noch von zentraler Bedeutung?
Die Infektionen müssen auch in der Gesamtbevölkerung konstant auf niedrigem Niveau bleiben. Dafür schlage ich eine „SMART“ genannte Strategie vor: Schutz der Alten, Masken, aerogene Infektionen vermeiden, reaktionsschnelle Nachverfolgung von Infektionen und Schnelltests für jedermann. Mit diesen fünf Instrumenten können wir eine Strategie fahren, die essenzielle Lebensbereiche schützt, ohne das soziale und wirtschaftliche Leben unnötig einzuschränken.
Es gibt ja auch Menschen mit erhöhtem Risiko, die nicht im Altenheim wohnen. Und manche Menschen wollen sich besonders schützen, auch wenn sie nicht zu einer Risikogruppe gehören. Deshalb muss der Staat einheitliche Schutzmaßnahmen in essenziellen Lebensbereichen verordnen. Hier gilt bis zum Ende der Pandemie Maskenpflicht in geschlossenen Räumen – ob im Taxi, im Bus, beim Einkaufen oder in der Kirche.
Was sollte für nicht essenzielle Bereiche gelten – also bei Privatpartys, Hochzeiten, im Sportverein, bei Konzerten, im Restaurant?
Damit antipandemische Maßnahmen langfristig funktionieren und akzeptiert werden, muss man die Menschen in die Entscheidungen einbinden, statt wie in China Polizei und Militär loszuschicken. Mein Vorschlag ist deshalb, von staatlicher Seite – außerhalb der essenziellen Lebensbereiche – nur dann Regeln vorzuschreiben, wenn über 20 Personen zusammen sind. Damit können wir die Superspreading-Ereignisse verhindern, auf die es bei dieser Pandemie entscheidend ankommt.
Ab dieser Teilnehmerzahl müssen dann grundsätzlich drei Dinge beachtet werden: Erstens, die Veranstalter sind verpflichtet, die Kontaktdaten der Besucher zu registrieren. Zweitens, alle müssen vorab einen Schnelltest durchgeführt haben – oder alternativ beim Treffen Maske tragen. Ich befürworte grundsätzlich, Schnelltests für jedermann gegen eine geringe Schutzgebühr in der Apotheke abzugeben.
Und wer Symptome verspürt oder positiv getestet ist, informiert dann wen?
Die Registrierung erfolgt privat – und bleibt auch privat. Ich setze auf die Eigenverantwortung jedes Einzelnen, der in der Pflicht ist, den jeweiligen Veranstalter zu informieren. Der wiederum ist dann dazu verpflichtet, alle anderen Personen der Zusammenkunft sofort in Kenntnis zu setzen. Die Information kommt dadurch viel schneller bei allen Teilnehmern des potenziellen Superspreading-Events an, weil nicht auf das Gesundheitsamt gewartet wird.
Alle sollen dann für einige Tage Kontakte meiden und danach einen Test machen. Parallel zu diesem „privaten“ Meldesystem machen die Gesundheitsämter natürlich ihre Arbeit weiter. Dadurch wird die Nachverfolgung insgesamt wesentlich effektiver und schneller.
Impfstoff könnte Corona-Welle im Winter 2021 aufhalten
Wir müssen uns jetzt noch mehr am Riemen reißen, um nicht kurz vor dem absehbaren Ende der Pandemie weitere Menschen durch das Virus zu verlieren.
Solche Regeln, sagen Sie, müssten dann so lange gelten, bis ein großer Teil der Bevölkerung geimpft ist. Sind Sie mit Blick auf die vorläufigen Daten der mRNA-Impfstoffe von Moderna und Biontech zuversichtlich?
Ich rechne damit, dass mindestens einer der gerade entwickelten Impfstoffe funktionieren wird. Die Zeichen stehen gut, dass die Pandemie durch eine Vakzine zu Ende gebracht werden kann. Wenn alles gut geht, könnten wir bereits im Winter 2021 keine weitere schwere Corona-Welle bekommen. Trotz Aussicht auf einen Impfstoff dürfen wir aber in der jetzigen Situation auf keinen Fall bei Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen nachlässig werden. Wir müssen uns jetzt noch mehr am Riemen reißen, um nicht kurz vor dem absehbaren Ende der Pandemie weitere Menschen durch das Virus zu verlieren.
Wie entsteht ein Impfstoff?
Nach einem Impfstoff gegen Covid-19 wird unnachgiebig geforscht. Innerhalb von nur einem Jahr war bereits der erste Kandidat in der Zulassungsphase.
In Ihrem Buch schreiben Sie aber auch, dass entgegen einer weit verbreiteten Hoffnung die Pandemie noch lange nicht vorbei sein wird, selbst wenn demnächst wirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen.
Die Herstellung der Impfdosen, deren Verteilung und Aufbereitung in Impfzentren – das ist ein enormer logistischer Aufwand. Die WHO rechnet damit, dass es mindestens ein Jahr braucht, um ausreichend Menschen zu impfen, damit sich eine künstlich hergestellte Herdenimmunität entwickelt. Erst wenn diese eintritt, kann auf Maske, Abstand und Schnelltests ganz verzichtet werden.
Klar ist aber auch, dass das Virus wahrscheinlich auch weiter durch importierte Infektionen aus dem Ausland in Deutschland eingeschleppt wird – weil nicht alle Länder auf der Welt gleichzeitig solche Impfkampagnen durchführen können. Theoretisch ist es möglich, dass das Virus eines Tages wieder komplett verschwindet. Für sehr wahrscheinlich halte ich eine solche globale „Eradikation“ jedoch nicht.
Bei all den Ungewissheiten für 2021 – welche Chancen sehen Sie für die Zukunft nach Corona?
Bei dieser Pandemie haben wir schmerzlich gelernt, dass vorhergesagte Katastrophen auch wirklich eintreten. Die Pandemieerfahrung ist auf die Klimakrise und die Umweltverschmutzung übertragbar. Trotz fundierter Prognosen hat die Welt auch in diesen Bereichen Scheuklappen auf. Ich wünsche mir, dass die Politik einen wissenschaftlich fundierten Umgang mit diesen Themen findet. Wir haben zudem gelernt, dass der Faktor Mensch und sein persönliches Verhalten entscheidend sein können. Und dass solche Krisen gemeinsam bekämpft werden müssen, über die Ländergrenzen hinaus.