Corona-Kennzahlen: Wieso die Lockdownverlängerung in Deutschland nötig ist

Nordrhein-Westfalen, Köln: Ein Rolltor ist vor dem Schaufenster eines Geschäftes heruntergelassen.

Nordrhein-Westfalen, Köln: Ein Rolltor ist vor dem Schaufenster eines Geschäftes heruntergelassen.

Weihnachten und Silvester sind vorbei. Und Anfang 2021 steht direkt wieder eine politische Entscheidung mit großem Gewicht an. Am Dienstag beraten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Landesminister final über den Fortbestand der Corona-Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckungen mit Sars-CoV-2. Aus dem Kreis der Ministerpräsidenten hieß es gegenüber dem RND bereits, dass die Maßnahmen wohl bis zum 31. Januar verlängert werden. Auch ein Blick auf die Daten zeigt, dass Lockerungen in dieser Phase außer Frage stehen.

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Länder vor Corona-Gipfel wohl einig: Verlängerung des Lockdowns
31.12.2020, Niedersachsen, Oldenburg: Nur wenige Menschen sind in der Fu��g��ngerzone der Innenstadt unterwegs. In Deutschland ist zur Eind��mmung der Corona-Pandemie ein harter Lockdown in Kraft. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Eine Verlängerung der Corona-Beschränkungen über den 10. Januar hinaus scheint sicher zu sein.

Zwar haben die Impfungen begonnen – doch deren Effekt auf das Infektionsgeschehen wird sich wahrscheinlich erst im Laufe des Jahres 2021 bemerkbar machen. Zwar hat sich die Kurve der täglich gemeldeten Neuinfektionen zum Wochenstart hin abgeflacht. Allerdings haben die Zahlen weniger Aussagekraft als noch vor den Feiertagen. Wie ist das Infektionsgeschehen in Deutschland Anfang Januar also zu beurteilen?

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Infektionen, Kranke, R-Wert: Wie ist die Corona-Lage in Deutschland?

9847 Corona-Neuinfektionen und 302 Tote meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) beispielsweise als Momentaufnahme für diesen Montag (4. Januar). Zum Vergleich: Am Sonntag waren es noch 10.315 neue Fälle und 312 neue Todesfälle, am 30. Dezember noch ein Höchststand von 49.044. Flacht die Infektionskurve ab, kann das ein Hinweis darauf sein, dass die strengeren Maßnahmen zu wirken beginnen.

Das ist aber nur eine Momentaufnahme. Das durch Daten erfasste Infektionsgeschehen bezeichnen die Gesundheitsbehörden allerdings nach wie vor als diffus und auf hohem Niveau. Es sei weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten, heißt es im zuletzt veröffentlichten RKI-Situationsbericht vom Sonntag. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland sei weiterhin „sehr hoch“.

Wesentlich für die Beurteilung des Erfolgs der politisch festgesetzten Maßnahmen sind viele weitere Kennzahlen. Einer ist der Sieben-Tage-Inzidenzwert. Diese Zahl der Neuinfektionen pro Woche macht das Infektionsgeschehen auf regionaler Ebene sichtbar und ist ein wichtiger Richtwert für die Landkreise. Die politisch definierte Zielmarke: Erst bei einem Wert von wöchentlich 50 gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner könnten Lockerungen laut Bund und Ländern in Betracht kommen.

Davon ist Deutschland aber noch weit entfernt: Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt deutschlandweit bei 139,4 Fällen pro 100.000 Einwohner (Stand: 4. Januar). Alle 412 Kreise weisen dem RKI zufolge eine hohe Sieben-Tage-Inzidenz auf. Sie liegt in 288 Kreisen bei über 100 Fällen, davon in 41 Kreisen sogar bei 250 bis 500 Fällen. Besonders betroffen sind Sachsen und Thüringen.

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Auch der R-Wert ist noch nicht ausreichend gesunken. Er schwankt seit Tagen um den kritischen Wert von eins. Modellierer gehen davon aus, dass der Wert auf dauerhaft 0,7 gedrückt werden müsste, um auf längere Sicht in eine stabile Lage mit niedrigen Fallzahlen zu kommen und eine Aufnahme der Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter zu gewährleisten. Die täglich vom RKI ermittelte Reproduktionszahl ist Ausdruck des Gleichgewichts zwischen dem infektionsvermeidenden Verhalten der Bevölkerung und der natürlichen Infektiosität des Virus selbst. Die Zahl gibt also an, wie effektiv die Maßnahmen in der Summe wirken.

Immer stärker ins Gewicht bei der Beurteilung fällt die die Lage in den Kliniken. Aus den Kennzahlen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) geht hervor, dass aktuell 5762 Covid-19-Patienten in Klinken in Behandlung sind, 3171 von diesen werden invasiv beatmet. Allein am Sonntag gab es 465 Neuaufnahmen. 82 Prozent der 26.551 Intensivbetten in Deutschland sind bereits belegt, noch 4.657 Betten sind aktuell frei. Dabei ist zu beachten, dass viele Patienten eine wochenlange Betreuung auf der Intensivstation brauchen.

Entspannung ist dort in naher Zukunft nicht in Sicht. Lockerungen seien deshalb laut Divi keine Option. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung könne dann bei wieder steigenden Infektionszahlen nicht mehr aufrechterhalten werden, wird der Divi-Präsident Gernot Marx in einer Pressemitteilung zitiert. Wie lange der Lockdown fortgesetzt werden müsse, könne er derzeit noch nicht vorhersagen. Was den Intensivmedizinern derzeit für Prognosen fehlt, sind valide Infektionszahlen. „Die Datenbasis ist durch die vergangenen Feiertage sehr lückenhaft“, wird Marx zitiert. „Vor Mitte Januar ist die Entwicklung der kommenden Wochen für uns daher nicht sicher einschätzbar, frühestens ab dem 11. Januar.“

Anfang 2021: Wieso sind die Corona-Kennzahlen weniger aussagekräftig?

Die Aussagekraft der aktuell gemeldeten Infektionszahlen, die immerhin etwas niedriger sind als noch Ende Dezember, ist Gesundheitsbehörden und Epidemiologen zufolge noch einige Tage mit Vorsicht zu genießen. Denn während der Feiertage und zum Jahreswechsel werden Corona-Infektionen verzögert aufgespürt, von den Gesundheitsämtern erfasst und an das Robert-Koch-Institut übermittelt. Auch der R-Wert könne deshalb gegebenenfalls unterschätzt werden, betont Deutschlands oberste Gesundheitsbehörde.

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Der Grund für die Verzögerungen: Meist suchen in dieser Zeitspanne weniger Personen einen Arzt auf. Das heißt: Es werden weniger Proben genommen und weniger Laboruntersuchungen durchgeführt. „Dies führt dazu, dass weniger Erregernachweise an die zuständigen Gesundheitsämter gemeldet werden“, heißt es im RKI-Situationsbericht vom Sonntag (3. Januar). Es könne auch sein, dass nicht alle Gesundheitsämter und zuständigen Landesbehörden an allen Tagen Fälle an das RKI übermitteln.

Zudem bilden die offiziell gemeldeten Infektionszahlen nur einen Teil der Virusausbreitung in der Bevölkerung ab. Bei einem in der Gesamtbevölkerung stark zirkulierenden Virus besteht Virologen zufolge die Gefahr, dass sich das reelle Geschehen immer mehr von den Meldezahlen abkoppelt. Das RKI rechnet mit einer immer höheren Dunkelziffer. Und Studien gehen von einer vier- bis fünfmal höheren Anzahl an Corona-Infektionen in der Realität aus.

Welche Ziele verfolgt die Politik – und was empfiehlt die Wissenschaft?

Das erklärte Ziel von Bund und Ländern seit dem Einläuten der erneut verschärften Corona-Maßnahmen Mitte Dezember ist es, die Sieben-Tage-Inzidenz auf einen Wert unter 50 zu drücken – und auf diesem Niveau zu halten. Deshalb wurden die Kontaktbeschränkungen noch strenger, Schulen, Kitas, der Einzelhandel, touristische und Freizeiteinrichtungen geschlossen.

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Ein im Dezember veröffentlichtes Positionspapier, das mehr als 300 führende Wissenschaftler aus Europa unterschrieben haben, nennt allerdings einen niedrigeren Zielwert um zehn pro eine Million Menschen am Tag als zielführender. „Die oberste Prämisse sollte sein, in ganz Europa niedrige Fallzahlen zu erreichen und zu erhalten“, erläuterte Viola Priesemann, die Initiatorin des mit Virologen, Epidemiologen, Modellierern und Ökonomen erarbeiteten Papiers zuletzt bei einem Gespräch mit dem Science Media Center (SMC). Dafür brauche es seitens der Politik klar definierte Zielvorgaben – die es in der Form bislang noch nicht gebe.

Zwei Dinge seien beim Durchsetzen von Maßnahmen elementar: Nicht zu früh stoppen, weil ansonsten der Erfolg verspielt werde. Und nur mehrere Maßnahmen gebündelt zeigten bei einem hohen Infektionsgeschehen schnell Wirkung. Auch Divi-Vorsitzender Uwe Janssens spricht sich für veränderte Zielvorgaben aus. „Wir Intensivmediziner raten dringend dazu, bis zu einem Inzidenzwert von unter 25 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche keine Lockerungen in Aussicht zu stellen“, sagte er der „Rheinischen Post“.

Neue Virusmutation als Gefahr für Infektionsgeschehen?

Was aber, wenn sich die Eigenschaften des Virus selbst bald verändern – und damit die bislang geltenden Parameter zur Eindämmung der Pandemie keine Gültigkeit mehr haben? Diese Gefahr ist real, seit sich in Großbritannien eine Virusmutation, die Variante B.1.1.7, mit hoher Geschwindigkeit ausbreitet. Auch vor diesem Hintergrund sind verschärfte Maßnahmen Virologen und Pandemieforschern zufolge weiterhin erforderlich. Es brauche jetzt ein koordiniertes europäisches Vorgehen, um die Ausbreitung der Mutation zu verlangsamen.

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Das Problem: Die Variante scheint ersten Untersuchungen und Studien zufolge weitaus ansteckender zu sein als das sich bislang ausgebreitete Virus. Wie viel ansteckender B.1.1.7 genau ist, kann noch nicht eindeutig gesagt werden. Eine Studie des London Imperial College schätzt, dass die Variante einen effektiven R-Wert hat, der um etwa 0,36 bis 0,68 höher ist als die ursprüngliche Variante. Wissenschaftler fürchten deshalb, sie könnte in wenigen Wochen in ganz Europa vorherrschend sein und die Pandemie in einer neuen Phase beschleunigen.

Laut dem Robert+Koch-Institut sei noch nicht abschließend geklärt, wie sich die neue Variante auf das Infektionsgeschehen auswirkt. „In Deutschland wurden dem RKI bisher vereinzelt Fälle mit dieser Virusvariante übermittelt“, heißt es im Situationsbericht. „Es ist zu erwarten, dass weitere bekannt werden.“

RND

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