Gefährliches, krankes Afrika: Wie die Corona-Politik Stereotype bedient
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Urlaub am Malawisee – das geht derzeit für Deutsche nur mit zweiwöchiger Quarantäne bei Rückkehr.
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Am Strand des Malawisees ist nicht viel los in diesen Tagen. Eigentlich schon seit zwei Jahren nicht mehr, man kann hier stundenlang spazieren gehen und keine Menschen aus dem nicht afrikanischen Ausland treffen. „Die Deutschen kommen nicht mehr“, sagt Bester Louis, „generell kommen keine Touristen mehr.“
Normalerweise, erzählt er, habe er in seinem Job täglich verschiedene Währungen in der Hand. Er ist Rezeptionist in einer der größten Hotelketten Malawis in Salima. Reisende aus Europa, Amerika und Asien bleiben weitestgehend aus, manchmal kommen noch Konferenzgäste oder Urlaubende aus anderen afrikanischen Ländern. „Aber ich glaube, in den letzten zwei Jahren habe ich keinen Euroschein, keinen Dollarschein angefasst.“
Hilferuf aus Malawi: „Wir sind auf euch Touristen angewiesen“
In Malawi, wo viele vom Tourismus leben, haben es viele schwer seit Corona: Hotelangestellte, Tourguides, Souvenirverkäufer. „Viele haben ihre Jobs verloren. Und wir leben in einem ohnehin sehr sehr armen Land“, berichtet Bester Louis dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) am Telefon. Firmen mussten schließen, Selbstständige aufgeben, Menschen wurden entlassen. „Die Pandemie hat die Welt beeinflusst, nicht nur Afrika und Malawi. Aber hier ist es ein wenig stärker, weil viele arm sind. Wir sind, einfach gesagt, auf euch angewiesen, darauf, dass ihr uns besuchen kommt.“ Jetzt sei der Tourismus tot.
Malawi hat eine Sieben-Tage-Inzidenz von 7,0. Als Malawi am 7. Februar 2021 vom Robert Koch-Institut und der deutschen Regierung zum Virusvariantengebiet erklärt wurde, lag die Inzidenz bei 17,7 – in Deutschland zum damaligen Zeitpunkt bei 79,1. 0,19 Prozent der Bevölkerung Malawis haben sich in den vergangenen anderthalb Jahren mit Covid-19 infiziert, in Deutschland sind es 4,49 Prozent. Waren im Januar noch knapp 50 Prozent der Corona-Tests positiv, sind es aktuell nur noch 13 Prozent.
Einstellige Inzidenzen – aber das Stigma Virusvariantengebiet bleibt
Malawi, eines der wirtschaftlich ärmsten Länder der Welt, steht in der Corona-Pandemie nicht so schlecht da. Weil das Gesundheitssystem begrenzte Kapazitäten hat, wurden nach der achten bestätigten Corona-Infektion im Land Maßnahmen ergriffen: Konferenzen wurden abgesagt, Menschenansammlungen verboten, an jedem Eingang zu Gebäuden fanden sich Spender mit Desinfektionsmittel. Die zweite Welle Anfang des Jahres mit der Beta-Variante traf Malawi hart, aber auch diese Phase ist überstanden.
Nur eines bleibt: Malawi ist Virusvariantengebiet. Von den elf Ländern, die derzeit als Virusvariantengebiet eingestuft sind, liegen neun in Subsahara-Afrika. Die meisten stehen seit Monaten auf der Liste, weil sie im Zuge der Ausbreitung der Beta-Variante, die zunächst in Südafrika entdeckt wurde, als Gefahrengebiet eingestuft wurden. Dort stehen sie nun, unabhängig davon, was vor Ort passiert. Ob Sambias Inzidenz auf 1,4 sinkt oder generell monatelang einstellig ist, ob die Anzahl der positiven Tests auf unter 5 Prozent fällt – es wirkt, als hätte man in Deutschland vergessen, dass da noch ein paar subsahara-afrikanische Länder als Virusvariantengebiet gelistet sind. Denn Portugal, Russland, Großbritannien und andere Staaten sind trotz deutlich höheren Inzidenzen am Montag spontan wieder herabgestuft worden.
Wirtschaftswissenschaftler Kappel sieht „wirtschaftliche, politische Gründe“ für Einstufung
Für Afrika-Wirtschaftswissenschaftler Robert Kappel hat das einen Grund: „Diese Entscheidung hat wirtschaftliche, politische Gründe“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) und verweist auf die EU-Ratspräsidentschaft Portugals. „Europa will hervorheben, wie gut man dasteht, was nicht einmal zutrifft, weil die EU wahrlich kein Vorbild in der Pandemiebekämpfung ist“, sagt er. Die Einstufung einzelner afrikanischer Staaten als Virusvariantengebiet passe in das Bild von Afrika, das die meisten haben: ein Kontinent der Gefahr und Krankheit. „Das ist eine Art Afrika-Bashing – da werden Entscheidungen ohne genaues Hinschauen getroffen und europäische Leitlinien gelten nur, wenn es passt. Der Kontinent Afrika wird permanent abgewertet.“
Zweite Impfung verhindert laut Studie Klinikaufenthalt bei Delta-Variante
Zwei Impfungen von Biontech/Pfizer oder Astrazeneca verhindern einer britischen Studie nach schwere Krankheitsverläufe bei der Delta-Variante des Coronavirus.
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Südafrika trifft es gleich doppelt: Nicht nur, dass das Land nach wie vor als Virusvariantengebiet gilt, auch die in Südafrika entdeckte Beta-Variante trug zum Imageschaden bei – monatelang war nur von der „Südafrika-Mutation“ die Rede. Die Folge: Der Tourismus ist tot, das Image zerstört. Das liegt nicht nur daran, dass Reiserückkehrer und Reiserückkehrerinnen aus Virusvariantengebieten für 14 Tage in Quarantäne müssen, unabhängig des Impf- oder Genesenenstatus. Sondern: Wer möchte schon Urlaub machen in einem Land, in dem sich Virusmutationen bilden und verbreiten, in einem Land, das synonym für Krankheit steht? Wer Südafrika – aber auch Botswana, Sambia, Simbabwe, Malawi, Mosambik, Namibia, Lesotho und Eswatini – noch nicht von eigenen Reisen kennt und damit ein realistischeres Bild hat, zieht aktuell eher keinen Urlaub im vermeintlichen Mutationsgebiet in Betracht.
Die falsche Darstellung von Afrika als „Ort allen Unheils und aller Krankheiten“
Der Umgang des globalen Nordens mit Afrika in der Corona-Pandemie ist für den südafrikanischen Politiker Mcebo Dlamini nicht überraschend. „Seit langer Zeit muss Afrika die Last der falschen Darstellung durch den Westen ertragen“, schreibt er in einem Aufsatz für „Eyewitness News“, „die Welt hat kein Problem damit, diesen Kontinent als Ort allen Unheils und aller Krankheiten darzustellen.“
Die gefürchtete, ansteckendere Beta-Variante, gegen die Impfstoffe weniger wirksam sein sollen, gab es in den meisten Staaten Subsahara-Afrikas kaum bis nicht. Es gab, mit Ausnahme von Südafrika, kein Massensterben, „in vielen Teilen Afrikas sieht man auf den ersten Blick nicht, dass Pandemie ist“, sagt Kappel. Heute spielt Beta, weshalb die neun subsahara-afrikanischen Staaten noch als Virusvariantengebiete gelten, nur noch eine geringe Rolle. Im Mai fand sich in zwei von drei sequenzierten Proben in Südafrika die Beta-Mutation, ein Monat später war es nur noch eine von drei. Gleichzeitig stieg der Anteil der Delta-Mutation auf über 50 Prozent, berichtet das ZDF.
Delta hat die Beta in Subsahara-Afrika verdrängt
In Sambia sagen Behörden ebenfalls, dass Delta für deutlich mehr Infektionen zuständig ist als Beta – und daran auch mehr Menschen sterben würden. Denn im Gegensatz zu den Delta-Gebieten in Europa zeigt sich nun das Ausmaß der ungerechten Verteilung der Impfstoffe: In vielen Ländern Subsahara-Afrikas liegt die Impfquote bei 1 bis 5 Prozent. Aktuell steigen die Zahlen wieder in vielen Ländern Subsahara-Afrikas.
Es kommen mehrere Faktoren zusammen, die das begünstigen: niedrige Impfquote, Ausbreitung von Delta und der Wintereinbruch auf der Südhalbkugel. In Deutschland wird das gerne auf eine Sache heruntergebrochen: „Man argumentiert gerne mit fehlenden Testkapazitäten“, sagt Kappel. Dabei habe Afrikas Wissenschaft enorm aufgeholt. Gab es zu Beginn der Pandemie auf dem gesamten Kontinent nur sechs Labore, die Covid-19 diagnostizieren konnten, verfügen inzwischen alle Länder über flächendeckende Testkapazitäten.
Die Pandemie trifft die Wirtschaft – die Stigmatisierung verstärkt die Probleme
„Wenn falsche Darstellungen nicht überprüft und infrage gestellt werden, werden sie zu Tatsachen“, sagt Dlamini. Wissenschaft sei hochpolitisch und habe viel mit Wirtschaft zu tun. Südafrika hat nicht nur aufgrund der Pandemie als solche, die weltweit zu Wirtschaftsproblemen geführt hat, zu kämpfen, sondern zusätzlich durch die Stigmatisierung: „Vom Tourismus bis hin zum Handel besteht das Potenzial, unsere bereits hinkende Wirtschaft zu lähmen. Aber die Folgen sind nicht nur wirtschaftlicher Natur, sie betreffen uns auch gesellschaftlich und die Art und Weise, wie die Welt mit uns umgeht“, schreibt Dlamini.
Dabei werden viele Probleme, die Subsahara-Afrika aufgrund der Pandemie erlebt, verstärkt. 120 Millionen Menschen mehr, die in Armut leben müssen. Der Wegfall von bis zu 22 Millionen Jobs – in Gebieten, in denen die Arbeitslosigkeit ohnehin enorm hoch ist. Das Wirtschaftswachstum gemessen am Bruttosozialprodukt könnte um bis zu 10 Prozent zurückgehen, es läge dann bei –3,9 Prozent. Alleine die Tourismusbranche hatte 2018 in Subsahara-Afrika 35 Milliarden US-Dollar an Einnahmen.
Portugal wehrt sich gegen Einstufung – Afrikas Länder haben keine Stimme
Kappel sieht ein Aufflammen von Vorurteilen in der Krise – und fügt einen weiteren Punkt an: „Wir sehen, wie gering der Einfluss afrikanischer Länder ist.“ Die Deklarierung als Virusvariantengebiet sei auch deshalb problematisch, weil sich in Afrika kaum jemand dagegen wehrt. Und selbst wenn, werden sie nicht gehört: „Da können Botschafter Sturm laufen und Regierungen beim Auswärtigen Amt vorstellig werden. Man nimmt das zur Kenntnis, aber eigentlich interessiert es in den Entscheiderrunden niemanden“, so Kappel, „die Interessen Afrikas spielen keine Rolle.“
Er beobachtet seit Jahren ein Phänomen – das der zunehmenden Ignoranz. „Es gibt eine große Ignoranz des Westens gegenüber Afrika. Schlimme Dinge wie der Ebola-Ausbruch kommen auf die Agenda, aber ansonsten wird weitestgehend nicht berichtet, weder positiv noch negativ.“ So habe es nur vereinzelt Aufmerksamkeit etwa über die frühen und weitreichenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie gegeben. Viele Länder beschlossen Hygienemaßnahmen wie Maskenpflicht auch im Freien, die Einschränkung von Kontakten, die Schließung von Schulen, als eine Handvoll Infektionen bekannt waren.
Corona, Klima, Kriege – Afrika verschwindet von der Agenda
Für die deutsche Gesellschaft sei Afrika nur in zwei Fällen relevant: Wenn es um eigene Interessen ginge oder wenn der globale Norden sich als Helfer und Retter stilisieren könne. „Corona, Klimakrise, EU-Konflikte – das alles hat dafür gesorgt, dass Afrika auf der Agenda nach hinten rückt“, sagt Kappel – und prognostiziert: „Das wird erst dann wieder ein Thema in Europa, wenn die nächste Migrationswelle einsetzt.“
An Migration denkt Bester Louis nicht. Eher ans Gegenteil. Er hat zwar seit 2014 seinen Job als Rezeptionist, aber das reichte ihm nicht. Er machte sich selbstständig mit einem Zeltverleih, plant, einen Campingplatz zu eröffnen, wenn die Pandemie vorbei ist. Er arbeitet mit Festivalveranstaltern zusammen und hat große Pläne – auch wenn er glaubt, dass er noch mindestens ein Jahr auf das nächste kulturelle Event warten muss. „Es ist, als hätte jemand die Stopptaste gedrückt. Aber wenn wir die Pandemie im Griff haben – und mit Impfungen ist das auch bei uns in Malawi möglich –, dann ist es, als würden wir von den Toten auferstehen.“