Verlegung von Covid-Intensivpatienten: So funktioniert das Kleeblattsystem
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Die Verlegung von Intensivpatienten aus überlasteten Regionen wird in Deutschland nach dem Kleeblattsystem organisiert. Dieses Foto zeigt die Verlegung eines niederländischen Covid-19-Patienten von Rotterdam ins St.-Elisabeth-Hospital in Herten (Niedersachsen).
© Quelle: Fabian Strauch/dpa
Berlin. Die Überlastungsgrenze auf den Intensivstationen ist in der vierten Pandemiewelle in einigen Landkreisen erreicht. Am Dienstagabend haben deshalb die Bundesländer Bayern, Thüringen, Sachsen, Berlin und Brandenburg das sogenannte Kleeblattkonzept zur strategischen Verlegung von Covid-19-Patienten und ‑patientinnen aktiviert, wie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) mitteilte. Bund und Länder hatten das System im Frühjahr 2020 entwickelt, damit schwer an Corona Erkrankte im Fall von regionalen Engpässen weiterhin intensivmedizinisch behandelt werden können.
Wie funktioniert das Kleeblattsystem?
Die Idee: Um Überforderungen bei einzelnen Krankenhäusern zu vermeiden, sollen innerhalb eines Kleeblatts, dem meist noch Nachbarbundesländer angehören, unkompliziert Patientenverlegungen möglich sein. Die Bundesländer werden dabei in insgesamt fünf sogenannte Kleeblätter unterteilt, die jeweils von einer zentralen Stelle (Single Point of Contact, SPoC) aus koordiniert werden:
- Süd: Bayern
- Südwest: Baden-Württemberg, Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen
- West: Nordrhein-Westfalen
- Ost: Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin
- Nord: Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern
Die bevölkerungsreichsten Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen bilden je ein eigenes Kleeblatt. In einer Grundstufe können Verlegungen innerhalb der Kleeblätter koordiniert werden. Dies geschehe schon seit Anfang Oktober, teilt die Divi auf Anfrage mit. „Wenn die Kapazitäten das nicht mehr zulassen, dann ist eine Verlegung über die Kleeblattgrenzen hinaus möglich“, erklärte der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, Sebastian Gülde, am Montag in der Bundespressekonferenz.
Tritt in einer Region also eine Überlastung auf, kann die SPoC von den Landesregierungen aktiviert werden und die Stellen in anderen Regionen in Deutschland um Hilfe bitten.
Wie wird das Kleeblattsystem koordiniert?
Bei der Koordinierung werden die zentralen Stellen der Kleeblätter durch eine Fachgruppe des Robert Koch-Instituts sowie durch das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum (GMLZ) des Bundes unterstützt. Diese stellen etwa Informationen über freie Intensivbettenkapazitäten zur Verfügung oder koordinieren die Bereitstellung von Transportmitteln. Diese Kleeblattkonferenz tauscht sich alle zwei Tage aus, um die bundesweite Verlegung von Patientinnen und Patienten zu organisieren. Ziel des Kleeblattsystems ist es, dass auch bei lokalen Engpässen alle Patientinnen und Patienten adäquat versorgt werden können und damit eine Priorisierung von Behandlungen zu verhindern.
Von wo nach wo wird nun verlegt?
In der aktuellen Situation haben die Kleeblätter Süd und Ost das System aktiviert. Es gehe nun darum, eine größere Zahl von Patienten und Patientinnen in andere Bundesländer zu verlegen. Die Rede ist von rund 80 Covid-19-Erkrankten. Die ersten Transporte seien in den nächsten Tagen geplant, so das Divi.
Aus Bayern werden in den kommenden Tagen voraussichtlich 50 Corona-Intensivpatientinnen und ‑patienten verlegt. Etwa zehn davon könnten allein aus München kommen. Wann und wohin sie verlegt werden, war nach Angaben des bayerischen Kleeblattkoordinators am Mittwoch noch unklar. Aus Thüringen sollen in den kommenden Tagen zehn Erkrankte nach Schleswig-Holstein kommen. Weitere Anfragen in Richtung Hamburg, Bremen und Niedersachsen seien gestellt worden, hieß es aus dem dortigen Gesundheitsministerium. Betroffen seien vor allem der Südwesten und die Mitte des Freistaats. Aus Sachsen sollen 20 Patientinnen und Patienten, vorzugsweise aus dem Krankenhauscluster Chemnitz, verlegt werden. Berlin plante zunächst keine Verlegungen.
Wieso wurde die Aktivierung nötig?
In den Gebiten der betroffenen Kleeblätter sind die Intensivstationen in den vergangenen Wochen vollgelaufen. In Bayern, Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt war am Mittwoch weniger als jedes zehnte Intensivbett noch frei. In Bayern, Sachsen und Thüringen waren obendrein je rund ein Drittel der Betten mit Covid-19-Patientinnen und ‑Patienten belegt. „Es ist jetzt wirklich Alarmstufe Rot“, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums von Sachsen-Anhalt, an das die Koordination des Kleeblatts Ost angedockt ist. Zwar seien in einigen Kreisen noch Intensivbetten frei, hieß es aus Thüringen – diese müssten aber auch frei gehalten werden, um weiter Unfallpatientinnen und ‑patienten versorgen zu können.
Wer ist von Verlegungen betroffen?
Von den ersten rund 80 geplanten Verlegungen entfällt der Großteil auf Covid-19-Patientinnen und ‑Patienten, wie der Vorsitzenden des Arbeitskreises der Innenministerkonferenz für Feuerwehrangelegenheiten, Rettungswesen, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung, Hermann Schröder, mitteilte. Nur in Ausnahmefällen könnten Patientinnen und Patienten mit anderen Erkrankungen verlegt werden. Generell sieht das Kleeblattkonzept laut einem Kriterienkatalog der Divi nur die Verlegung von an Covid Erkrankten vor. Die Patienten und Patientinnen sollen auch in einem stabilen Zustand sein und nicht bereits länger an einer künstlichen Lunge liegen. Etwa schwer Erkrankte, die in Bauchlage beatmet würden, seien nicht transportfähig, sagte die Leiterin der Krankenhauskoordinierung in München, Viktoria Bogner-Flatz.
Wie läuft der Transport ab?
Angesichts der weiten Strecke müssen sich beispielsweise Thüringer Patientinnen und Patienten wohl auf einen Transport per Helikopter einstellen, hieß es aus dem dortigen Gesundheitsministerium. Das sei aber vom Zustand der Personen abhängig. Auch in Bayern werden zum Ende der Woche oder zum Wochenende erste Transporte per Hubschrauber, mit Bundeswehrmaschinen oder zu Lande erwartet.
Nicht immer werde über den Luftweg verlegt, teilte eine Sprecherin des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit. Bei schlechtem Wetter könne auch ein Transport auf dem Landweg sinnvoll sein. Dafür gibt es speziell ausgestattete Intensivtransportwagen, die in der Regel nicht weiter aufgerüstet werden müssen. Werden irgendwo zusätzliche Transportkapazitäten benötigt, können die Länder das über das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ) abfragen.
Wo gibt es noch freie Intensivbetten?
In ganz Deutschland sind derzeit laut Divi-Intensivregister noch knapp 2400 Intensivbetten frei (Stand 23. November, 13 Uhr). Eine Notfallreserve von 9173 Betten könnte innerhalb von sieben Tagen aktiviert werden. Überlastet sind derzeit viele Intensivstationen in Thüringen, Brandenburg und Bayern. In den bayerischen Landkreisen Landshut, Straubing und Erding, aber auch in Brandenburg im Landkreis Oberspreewald-Lausitz oder im Landkreis Sömmerda in Thüringen sind alle Intensivbetten belegt.
Freie Kapazitäten auf den Intensivstationen gibt es dagegen noch im Westen und im Norden Deutschlands. Besonders in Schleswig-Holstein, etwa in den Landkreisen Rendsburg-Eckernförde, Plön und Segeberg, aber auch in den niedersächsischen Kreisen Leer und Friesland sind laut Divi-Register noch über 25 Prozent der Intensivbetten frei.
RND mit Material der dpa