Corona-Impfungen: Wie realistisch ist eine Herdenimmunität in Deutschland?
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Die Corona-Impfkampagne in Deutschland schreitet weiter voran.
© Quelle: Matthias Bein/dpa-Zentralbild/dp
Sie gilt als Ticket zurück zur Normalität: die Herdenimmunität. Wenn sich genügend Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben oder dagegen geimpft sind, könnten auch alle anderen wieder ein normales Leben führen, verlautete es schon zu Beginn der Pandemie. Eine Herdenimmunität durch Infektionen wurde jedoch schnell als Lösungsweg ausgeschlossen. Zu groß sei das Risiko, dass dadurch das Gesundheitssystem überlastet wird, warnten Virologen. Stattdessen ruhen jetzt die Hoffnungen auf einer hohen Impfbereitschaft.
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Impfquote noch zu gering für Herdenimmunität
Mindestens 24,7 Prozent der Deutschen sind bisher einmal gegen Covid-19 geimpft worden, 7,4 Prozent haben sogar schon zwei Impfdosen erhalten. Für eine Herdenimmunität reicht diese Impfquote aber noch nicht aus. Die Einschätzungen der Experten zur Frage, wie viel Prozent der Bürger geimpft sein müssten, damit eine Herdenimmunität eintritt, reichen von 50 bis 90 Prozent.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach warnte jüngst: „Angenommen, die Herdenimmunität läge bei 70 Prozent. Der Laie denkt dann häufig, wenn sich 70 Prozent impfen lassen, kann sich der Rest nicht mehr infizieren. Das ist aber falsch.“ Selbst wenn allen Bürgern ein Impfangebot gemacht wurde, „heißt das noch nicht, dass die Bars so offen sein können wie vor der Pandemie“, sagte er der „Welt“.
Virusvarianten erschweren Weg zur Normalität
Eine Hürde auf dem Weg zur Herdenimmunität stellen zudem die neuen Coronavirus-Varianten dar. Sie sind nicht nur infektiöser und haben damit einen höheren Reproduktionswert (R-Wert), sondern beeinträchtigen zum Teil auch die Wirksamkeit der Impfstoffe. Ein Beispiel ist die südafrikanische Mutante B.1.351. Der Anteil dieser Variante liegt in Deutschland laut Robert Koch-Institut (RKI) bei einem Prozent, das heißt, sie spielt für das Infektionsgeschehen derzeit keine Rolle.
Bund kündigt Lockerungen für Geimpfte an
Die Diskussion um Lockerungen für Geimpfte nimmt in Deutschland immer mehr auf Fahrt auf.
© Quelle: dpa-Video
Eine aktuelle Preprint-Studie aus Israel, wo bereits rund 58 Prozent der Bürger zweimal gegen Covid-19 geimpft wurden, legt jedoch nahe, dass beispielsweise der mRNA-Impfstoff von Biontech und Pfizer schlechter vor Infektionen mit B.1.351 schützt. Das würde bedeuten, dass sich Geimpfte unter Umständen mit dem Erreger infizieren und diesen auch übertragen könnten. Ist eine Herdenimmunität also angesichts der sich ausbreitenden Virusvarianten überhaupt möglich?
Nein, glaubt Epidemiologin Lauren Ancel Meyers, Executive Director des Covid-19 Modeling Consortium der University of Texas in Austin. „Wir verabschieden uns gerade von der Vorstellung, dass wir die Schwelle der Herdenimmunität erreichen und dass die Pandemie dann endgültig verschwindet“, wird sie in einem Artikel des Fachmagazins „Nature“ zitiert, der fünf Gründe listet, warum eine Herdenimmunität wahrscheinlich unmöglich ist. Wegen der neuen Virusvarianten und weil die Immunität gegen Infektionen mit der Zeit womöglich nachlasse, „könnten wir uns Monate oder ein Jahr später immer noch im Kampf gegen die Bedrohung wiederfinden. Wir werden mit zukünftigen Ausbrüchen umgehen müssen.“
Corona-Impfstoffe haben dennoch hohe Schutzwirkung
Der Präsident der Gesellschaft für Virologie, Ralf Bartenschlager, ist hingegen optimistischer. Er hält weiterhin die Herdenimmunität durch konsequente Impfungen trotz der Virusvarianten für das entscheidende Mittel. „Wie weit wir damit kommen – ob wir eine vollständige Kontrolle im Sinne einer Vermeidung von Infektionen erreichen –, kann man im Moment nicht abschließend sagen“, machte er gegenüber der Deutschen Presse-Agentur deutlich.
Dass die Corona-Impfstoffe möglicherweise keine hundertprozentige Herdenimmunität aufbauen, bedeutet jedoch nicht, dass sie unwirksam sind. Im Gegenteil: Sie können verhindern, dass Infizierte schwer an Covid-19 erkranken oder sogar versterben. Wie effektiv die Impfungen sind, zeigt sich in Deutschland schon jetzt bei der Sieben-Tage-Inzidenz in den höheren Altersgruppen. So betrug die Inzidenz bei den über 90-Jährigen in der vergangenen Woche 104 Fälle pro 100.000 Einwohner, in der Woche um Weihnachten herum sind es noch 726 Fälle gewesen, wie aus den Daten des RKI hervorgeht.
Die Älteren, die bekanntlich ein höheres Risiko für einen schweren bis tödlichen Covid-19-Krankheitsverlauf haben, sind in Deutschland also größtenteils schon immunisiert. Wird im Juni die Impfpriorisierung aufgehoben, so wie von Bund und Ländern bisher angedacht, können die Impfstoffe auch in den jüngeren Altersgruppen ihre Schutzwirkung entfalten.