Nach Protesten: Hausarztpraxen dürfen nun doch auf Astrazeneca verzichten
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Eine Hausärztin impft in ihrer Praxis eine Patientin gegen das Coronavirus. Praxen in Deutschland dürfen nun selber entscheiden, welche Impfstoffe sie in welchen Mengen bestellen.
© Quelle: Christoph Schmidt/dpa
Seit der zweiten Aprilwoche haben Menschen in Deutschland die Möglichkeit, sich auch bei Hausärztinnen und -ärzten gegen Covid-19 impfen zu lassen. 35.000 Praxen machen dabei mit. Für sie stehen in Runde vier der Impfstoffbestellungen Neuerungen an. „Arztpraxen bestellen den Covid-Impfstoff ab sofort impfstoffspezifisch. Sie geben auf dem Rezept an, von welchem Impfstoff sie wie viele Dosen benötigen“, teilt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit.
Demnach gilt die Regelung dank einer höheren Gesamtmenge an verfügbaren Dosen erstmals für die Woche vom 26. April bis 2. Mai. Zur Auswahl stünden die Vakzine der Hersteller Biontech/Pfizer und Astrazeneca. Die Bestellmenge pro Praxis sei für den Zeitraum auf 18 bis 20 Dosen des mRNA-Impfstoffs von Biontech/Pfizer und zehn bis 50 Dosen des Vektormittels des britisch-schwedischen Konkurrenten begrenzt.
Biontech/Pfizer oder Astrazeneca? Praxen wehren sich erfolgreich gegen Impfvorgaben des Bundes
Zuvor machte eine Direktive aus Berlin Hausärztinnen und -ärzten im Land zu schaffen: Die Vorgabe lautete, beide Impfstoffe in gleichen Mengen zu bestellen. Bei vielen rief das Unverständnis und Wut hervor. So erregte in dieser Woche etwa ein Fall aus dem Raum Hannover Aufsehen: Weil sich eine Ärztin wegen Bedenken über Nebenwirkungen gegen eine Corona-Impfung ihrer Patientinnen und Patienten mit dem Astrazeneca-Vakzin wehrte, drohte ihr der Landesapothekerverband mit einem generellen Lieferstopp für Covid-19-Impfdosen. Es hieß: „Wer nur einen der beiden Impfstoffe haben will, wird mit keinem Impfstoff beliefert.“
Bei der Bestellmenge soll laut KBV sichergestellt sein, dass jede Praxis mindestens sechs Dosen des Biontech/Pfizer- und zehn Dosen des Astrazeneca-Vakzins bekommt. Denn noch immer werde dringend empfohlen, beide Impfstoffe zu ordern und sie entsprechend der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) zu verimpfen. „Wenn eine Arztpraxis nur Biontech bestellt und kein Astrazeneca, ist es möglich, dass von Biontech auch nur eine bestimmte Quote geliefert werden kann“, sagt Christian Splett vom Deutschen Apothekerverband (DAV) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Andersherum sei es ebenso denkbar, dass eine Praxis sich dazu entscheidet, nur das Astrazeneca-Mittel zu bestellen, etwa weil sie sich davon eine hohe Lieferquote erhofft. „Allerdings ändert sich das Lieferverhältnis der beiden Impfstoffe von Woche zu Woche.“ Daher plädiert auch der Verband dafür, alle verfügbaren Vakzine schnellstmöglich zu bestellen, auszuliefern und zu verimpfen.
Dennoch: Letztlich entscheidet jetzt die Medizinerin oder der Mediziner selbst. Grundsätzlich befürwortet DAV-Sprecher Splett das: „Ein bisschen Flexibilität und Vertrauen muss man den Ärztinnen und Ärzten vor Ort schon schenken, denn sie kennen den Bedarf am besten.“ Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, positioniert sich dennoch klar. „Wir brauchen die Impfstoffe von allen Herstellern, die in Deutschland verfügbar sind“, sagt er dem RND. Denn je weiter man mit dem Impfen der älteren Generation voranschreite, desto mehr sei eine Differenzierung bezüglich unterschiedlicher Risikofaktoren nötig. „Und dann reicht es eben nicht, hauptsächlich einen Impfstofftypen in der Praxis zu haben.“
Hausärzteverband: „Marktzugang von Astrazeneca war mehr als unglücklich“
Die Stiko rät, den Impfstoff von Astrazeneca nur noch für Menschen über 60 Jahren anzubieten. Grund für diese Entscheidung waren unter anderem Blutgerinnsel, die nach der Impfung mit dem Mittel bei wenigen Menschen auftraten. 31 Verdachtsfälle auf Hirnvenenthrombosen wurden bei über zwei Millionen Geimpften laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gemeldet – eine seltene, aber schwere Nebenwirkung.
Laut Bundesgesundheitsministerium haben in Deutschland aber bereits rund 2,2 Millionen Menschen unter 60 eine erste Impfung mit dem Präparat erhalten. „Zweifellos war der Marktzugang des Impfstoffs von Astrazeneca mehr als unglücklich, und die vielen widersprüchlichen und schlecht kommunizierten Informationen zu seiner Sicherheit und Wirksamkeit haben für Verunsicherung in der Bevölkerung gesorgt“, sagt Weigeldt. Umso wichtiger sei es, weiterhin allen Hinweisen „mit der gebotenen Sorgfalt“ nachzugehen und die Prüfergebnisse anschließend transparent und verständlich zu kommunizieren.
Unter 60-Jährige sollen bei der notwendigen Corona-Zweitimpfung nun auf ein anderes Präparat umsteigen. Auf diese Empfehlung haben sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern einstimmig geeinigt – und folgen damit dem Vorschlag der Stiko von Anfang April. Bei den Beratungen sei klar geworden, dass die Zweitimpfung mit einem mRNA-Imfpstoff, also dem Präparat von Biontech/Pfizer oder Moderna, eine gute Basis sei, um die Menschen wirksam zu schützen, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek.
Praxen brauchen verlässliche Planung und Lieferung beim Impfen
Angesichts der aktuellen Entwicklung appelliert der Vorstand der KBV, Andreas Gassen, an die Politik, den Praxen weiterhin Impfstoff bereitzustellen, der auf ihr jeweiliges Patientenklientel zugeschnitten ist. „Wir brauchen jetzt schnell mehr Impfstoff. Nur dann können die Praxen das Impftempo massiv beschleunigen.“ Außerdem benötigten die Praxen für die Planung von Terminen verlässliche und möglichst frühzeitige Informationen über Liefermengen. Der wöchentliche Bestellrhythmus sei ebenfalls unabdingbar – und, dass er so bleibt, wie er ist.
Auch Weigeldt betont: „Impfungen sind, man kann es gar nicht oft genug wiederholen, das entscheidende Mittel, das uns den Weg aus der Pandemie ebnen und die Rückkehr in ein Leben in Gesundheit und Freiheit ermöglichen wird.“
Nach einer Mitteilung des Bundesgesundheitsministeriums stehen den Praxen in der Woche vom 26. April bis zum 2. Mai etwa 1,5 Millionen Impfdosen zur Verfügung. Rund drei Viertel von ihnen liefern demnach Biontech und Pfizer, knapp ein Viertel Astrazeneca. Aktuell seien es rund eine Million Dosen wöchentlich.