Impfstoff für Kinder ab fünf Jahren freigegeben: Was Eltern und Ärzte jetzt wissen müssen

Die EMA hat über die Zulassung für die Fünf- bis Elfjährigen entschieden.

Die EMA hat über die Zulassung für die Fünf- bis Elfjährigen entschieden.

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat den Weg freigemacht: erstmals ist ein Impfstoff von Biontech/Pfizer für Fünf- bis Elfjährige in der EU genehmigt. Bislang konnten Kinder in der Regel nicht durch die Impfung vor dem Coronavirus geschützt werden. Was aber bedeutet die EMA-Zulassung nun für Eltern in Deutschland, die entscheiden müssen, ob sie ihr Kind nun gegen Covid-19 impfen lassen - oder eben nicht? Und woran können sich Ärztinnen und Ärzte orientieren, die impfen wollen? Acht Fragen und Antworten im Überblick:

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1) Was sagt die EMA zur Kinderimpfung?

Die EMA hat sich am Donnerstag für eine Erweiterung der Zulassung des Vakzins von Biontech/Pfizer ausgesprochen. Der Impfstoff sei auch in dieser Altersgruppe wirksam, sicher und verträglich. Die finale Entscheidung muss noch von der Europäischen Kommission gefällt werden, dies gilt aber als Formsache. Kinder erkranken zwar nur höchst selten an Covid-19. Doch, so sagen die EMA-Experten, auch sie könnten schwer krank werden. Die Vorzüge der Impfung seien daher höher zu bewerten als mögliche Risiken.

Der Impfstoff für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren wird als Grundimmunisierung mit zwei Dosen im Abstand von drei Wochen in den Oberarmmuskel verabreicht. Die Dosierung ist niedriger als bei den über 12-Jährigen: statt 30 Mikrogramm enthält eine Dosis zehn Mikrogramm. Die häufigsten Nebenwirkungen bei Kindern im Alter von 5 bis 11 Jahren ähneln laut EMA denen bei den über 12-Jährigen. Dazu gehören Schmerzen, Rötungen und Schwellungen an der Injektionsstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Schüttelfrost. „Diese Wirkungen sind in der Regel leicht bis mittelschwer und bessern sich innerhalb weniger Tage nach der Impfung“, heißt es in einer Mitteilung der EMA.

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2) Wann ist mit ersten Lieferungen des Kinderimpfstoffs zu rechnen?

Noch gibt es den Impfstoff für Kinder in dieser Altersgruppe nicht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnet mit ersten Auslieferungen des Impfstoffs von Biontech für Jüngere kurz vor Weihnachten. Alle EU-Staaten würden nach derzeitigem Stand um den 20. Dezember herum die erste Lieferung bekommen.

Biontech bestätigte den Zeitplan, er könne aber nicht beschleunigt werden. Der Zeitplan sei immer wieder mit Vertretern der EU-Kommission besprochen und vergangene Woche final bestätigt worden. „Bis dahin erreichte Biontech keine Anfrage nach einer früheren Lieferung. Alle vorgelagerten Prozesse wurden auf diesen Stichtag ausgerichtet“, erklärte eine Sprecherin des Mainzer Herstellers.

Spahn rechnet damit, dass Deutschland in der Erstlieferung rund zwei Millionen Dosen erhalten wird. Damit werde man bei rund 4,5 Millionen Kindern in dieser Altersklasse die Erstnachfrage gut beantworten können. Weitere Lieferungen seien in den ersten Monaten des neuen Jahres zu erwarten. Zudem könnte bald auch ein zweiter Impfstoff für Kinder folgen.

3) Kann auch mit dem Impfstoff für über 12-Jährige geimpft werden?

Der Kinderimpfstoff von Biontech basiert auf einer neuer Formulierung, die durch entsprechende Verdünnung so angepasst wird, dass eine Dosis von 10 Mikrogramm verabreicht werden kann. Sie ermöglicht zudem eine längere Lagerung des Impfstoffs von bis zu zehn Wochen im Kühlschrank. Die EMA-Zulassung für Kinder gilt für diese Version. „Diese Konzentration kann nicht in der Durchstechflasche des Impfstoffs für Erwachsene zubereitet werden, weil nicht genug Volumen für die entsprechende Verdünnung vorhanden ist“, teilte das Unternehmen Biontech auf Anfrage mit.

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Würden Ärzte Fünf- bis Elfjährige mit den bisher zugelassenen Ampullen ab zwölf Jahren impfen und die Dosierung entsprechend anpassen, wäre das nach Angaben von Biontech eine so genannte „Off-Label“-Anwendung - also eine Nutzung außerhalb der behördlichen Zulassung. Grundsätzlich ist Ärzten in Deutschland eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln erlaubt. Das bedingt aber besondere Dokumentations- und Aufklärungspflichten des impfenden Arztes. Oft haften dann die Eltern für das Risiko.

Das Unternehmen verweist zudem auf Risiken. Eine Injektion einer Impfdosis von mehr als 0,2 Mililiter könne unter Umständen zu größeren Abweichungen in der Konzentration des Impfstoffes in der Spritze und damit den Geimpften führen. Die Folge könnte eine Über- oder Unterdosierung sein, so das Unternehmen. Eine separate Bereitstellung der Kinderimpfstoffe unterstütze hingegen die größtmögliche Prozesssicherheit bei der Impfung von Kindern. „Daher sind separate Durchstechflaschen notwendig“, sagt Biontech.

4) Wird die Stiko die Impfung für Fünf- bis Zwölfjährige empfehlen?

Die Entscheidung der EMA heißt nicht, dass nun auch die Impfung von Kindern generell empfohlen wird. Das müssten nationale Regierungen beziehungsweise Gesundheitsbehörden entscheiden, betont die EMA. In Deutschland ist dafür die Ständige Impfkommission (Stiko) zuständig.

Es ist noch unklar, ob und wie sich das Gremium zur Impfung in dieser Altersgruppe aussprechen wird. Eine Empfehlung werde es nicht sofort nach der verkündeten EMA-Entscheidung geben, kündigte der Vorsitzende des Gremiums, Thomas Mertens, im Gespräch mit dem RND an. „Das ist nicht zu leisten. Wir werden versuchen, so schnell wie möglich nach Datenlage zu entscheiden.“ Frühestens vor Jahresende sei mit einer Entscheidung zu rechnen.

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Die Abwägung sei schwierig. „Bisher haben wir nur die Daten aus den Zulassungsstudien und einzelne Informationen aus Israel und den USA“, erläuterte Mertens. „Es gibt noch keine validen Auswertungen dazu, welche möglichen Nebenwirkungen es gibt, und ob infolge der Impfungen Fälle von Myokarditis aufgetreten sind.“ Zu beachten sei auch, dass unter Zwölfjährige glücklicherweise nur sehr selten schwer erkranken und auch die Krankenhäuser nicht belasten. Er könne aber natürlich verstehen, dass Eltern in Sorge sind, weil sich das eigene Kind infizieren könnte. Darüber müsse man in der Stiko beraten, Risiken und Nutzen abwägen.

Als Argument zum Bremsen der vierten Welle sollten Impfungen bei den Kindern Mertens zufolge aber nicht ins Spiel gebracht werden. Die Infektionsdynamik beeinflussten die Impfungen in dieser Altersgruppe nicht – vielmehr sei die Grundimmunisierung bei möglichst vielen Erwachsenen und möglichst viele Booster-Impfungen bei den über 70-Jährigen entscheidend.

5) Kann auch ohne Stiko-Empfehlung geimpft werden?

Auch ohne die Stiko-Empfehlung wird eine Impfung in Deutschland wahrscheinlich grundsätzlich möglich sein - zumindest theoretisch. Die Impfverordnung wird in Deutschland den Weg freimachen. Darin legt das Bundesministerium für Gesundheit fest, wer Anspruch auf die Schutzimpfung hat. Gesundheitsminister Spahn verwies bereits darauf, dass nach einer Zulassung auch ohne Empfehlung der Stiko allen Fünf- bis Elfjährigen die Impfung ermöglicht werden solle.

„Es wird eine Stiko-Empfehlung geben. Ich weiß nicht, wie die aussieht“, sagte Spahn. Aber in dem Moment, wo es einen zugelassenen Impfstoff gebe, solle es wie bei allen anderen zugelassenen Impfstoffen möglich sein, nach individueller Entscheidung und Besprechung mit dem Arzt zu impfen. „Und wenn dann noch eine Empfehlung hinzutritt, umso besser.“

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Allerdings ist unklar, wie viele Medizinerinnen und Mediziner auch ohne Stiko-Empfehlung impfen würden. Denn diese gilt als fachliche Orientierung für die Ärzteschaft. Handlungsmaßstab für die Ärzte sei die Stiko-Entscheidung, kündigte Kassenärzte-Chef Andreas Gassen gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland bereits an. „Flächendeckend gesunde Kinder impfen werden wir erst dann, wenn die Stiko-Empfehlung da ist“, kündigte auch der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske, an. Denkbar ist aber auch, dass es wie bei den über Zwölfjährigen zunächst eine Empfehlung durch die Stiko für Kinder mit bestimmten Risikofaktoren geben könnte. Das bleibt abzuwarten.

Familienministerin Christine Lambrecht hat die Länder dazu aufgerufen, nun Impfvorbereitungen zu treffen. „Wir brauchen neben den Kinderarztpraxen auch auf Kinder vorbereitete Impfzentren und mobile Impfangebote.“ Auch umfassende Informationen müsse es geben. „Die Entscheidung zu einer Impfung liegt bei den Eltern nach der Beratung durch Ärztinnen und Ärzte.“

6) Wieso können andere Länder schon eher unter Zwölfjährige impfen?

In den USA wurden seit Ende Oktober bereits rund drei Millionen Fünf- bis Elfjährige mit dem Impfstoff von Biontech geimpft. Auch in Israel und Kanada sind die Impfungen in dieser Woche angelaufen. Auch Österreich hat nachgezogen. Alle Arzneimittelbehörden kamen zu dem Schluss, dass der individuelle Nutzen der Impfung die möglichen Risiken überwiege, auch wenn Covid-19 bei jüngeren Kindern in der überwiegenden Zahl der Infektionen milde verläuft.

Dass die Impfungen in diesen Ländern früher möglich sind, liege an einer anderen Regelung zu Haftungsfragen, erläuterte Stiko-Chef Mertens. Impfe in Deutschland ein Arzt oder eine Ärztin ohne Zulassung durch die EMA, hafte er oder sie selbst. „In Österreich hat man das zum Beispiel anders geregelt – da hat die Regierung die Haftung übernommen“, erklärte der Virologe. „Das gibt es in Deutschland so aber nicht.“

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7) Corona-Impfung für Kinder: Bei welchen Vorerkrankungen gibt es ein erhöhtes Risiko?

Wie auch bei den Erwachsenen gibt es auch Kinder mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf. Im Einzelfall empfiehlt sich ein Gespräch mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin, ob eine Impfung in Off-Label-Anwendung ratsam ist. Das RKI listet folgende Grunderkrankungen auf, die mit einem erhöhten Risiko für schweres Covid-19 bei Kindern und Jugendlichen einhergehen:

  • Adipositas (Body Mass Index über 97)
  • Angeborene oder erworbene Immundefizienz oder relevante Immunsuppression
  • Angeborene zyanotische Herzfehler und Einkammerherzen nach Fontan-Operation
  • Chronische Lungenerkrankungen mit einer stark anhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion - ein gut eingestelltes Asthma bronchiale ist damit nicht gemeint
  • Chronische Niereninsuffizienz
  • Chronische neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen
  • Diabetes mellitus, wenn nicht gut eingestellt
  • Schwere Herzinsuffizienz
  • Schwere pulmonale Hypertonie
  • Syndromale Erkrankungen mit schwerer Beeinträchtigung
  • Trisomie 21
  • Tumorerkrankungen

8) Was ist der Unterschied zwischen EMA-Zulassung und Stiko-Empfehlung?

Das System der Zulassung durch die EMA und der Empfehlung durch die Stiko ist Standard bei allen Impfungen. Die EMA ist zunächst dafür zuständig, die Daten aus der Studie des Herstellers zu prüfen – und den Impfstoff für die EU grundsätzlich zuzulassen. Das Gremium wägt ab, ob die Impfung für die einzelne Person wirksam, sicher und verträglich ist und ob es eine ausreichende pharmazeutische Qualität gibt.

Die Stiko hingegen ent­wickelt Impf­em­pfehl­ungen speziell für Deutsch­land und be­rück­sichtigt dabei nicht nur den Nutzen für das ge­impfte Indivi­duum, sondern für die ge­samte Be­völke­rung. Das Gremium orientiert sich dabei an den Kriterien der evi­denz­basierten Me­dizin und analysiert neben den Daten aus der Zulassungsstudie alle zur Verfügung stehende Fachliteratur. Dazu zählen auch Beobachtungsdaten zu potenziellen Nebenwirkungen aus anderen Ländern, wo bereits geimpft wird.

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Die Stiko versteht sich dabei als unabhängiges Expertengremium und wird vom Robert Koch-Institut koordiniert. Die Fachleute analysieren neben dem individuellen Nutzen-Risiko-Verhältnis auch die Effekte auf das Infektionsgeschehen und für die Impfstrategie in Deutschland. Außer­dem ent­wickelt die Stiko Kriterien zur Ab­grenzung einer üblichen Impf­reaktion von einer über das übliche Aus­maß einer Impf­reaktion hin­aus­gehenden ge­sund­heitlichen Schädigung – also Nebenwirkungen. Die Empfehlung kann sich deshalb auch mit der Zeit verändern, wenn sich die Datenlage verändert.

Dieser Artikel wurde am 25. November aktualisiert - mit Material von dpa und Reuters

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