Ist die Omikron-Welle Ende Februar vorbei – und ein Corona-Exit denkbar?
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Flacht die Omikron-Welle bald ab?
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, über Lockerungsschritte könne nach dem Höhepunkt der Infektionen entschieden werden. Aber wann ist dieser überhaupt erreicht – und bedeutet das ein Ende der Omikron-Welle? Die momentane Corona-Situation lässt zumindest nicht vermuten, dass die Krise aktuell vorbei ist. Ein Rekordwert bei den Infektionszahlen folgt auf den nächsten – und das europaweit.
In den EU-Mitgliedsstaaten gebe es „eine epidemiologische Situation von hoher oder sehr hoher Besorgnis“, heißt es im jüngsten Report der Europäischen Seuchenschutzbehörde (ECDC). Allein für Deutschland meldete das Robert Koch-Institut am Donnerstag 236.120 Corona-Fälle – ein neuer Höchststand, schon wieder. Die Sieben-Tage-Inzidenz, ebenfalls so hoch wie noch nie seit Pandemiebeginn, liegt bei 1283,2. Die Gefährdung durch Covid-19 für die Gesundheit der Bevölkerung? Sei in Deutschland insgesamt „sehr hoch“, vermerkt der aktuelle RKI-Wochenbericht.
Lockern bei sehr hohen Fallzahlen? Ein Wagnis
Eine Reihe von Ländern in Europa beginnt trotzdem damit, Corona-Maßnahmen zu lockern oder ganz aufzuheben – die Schweiz, Dänemark, Norwegen, Schweden etwa. Auch in Deutschland nimmt die Debatte um Lockerungen Fahrt auf. So forderte jüngst Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CDU) „konsequente Öffnungsschritte“ anzugehen. Auch FDP-Chef Christian Lindner sprach sich dafür aus, bei den Bund-Länder-Beratungen Mitte Februar festzulegen, wann und unter welchen Bedingungen es zu „schrittweisen Öffnungen“ kommen werde.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mahnt hingegen weiterhin ein vorsichtiges Vorgehen an. „Wir sind besorgt, dass sich in einigen Ländern das Narrativ durchgesetzt hat, dass aufgrund von Impfstoffen sowie der hohen Übertragbarkeit und des geringeren Krankheitsschwere von Omikron das Verhindern von Ansteckungen nicht mehr möglich und nicht mehr erforderlich sei“, sagte WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus am Dienstag. „Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Mehr Übertragungen bedeuten mehr Todesfälle.“
Omikron-Welle in Deutschland: Nicht nur ein Problem im Februar
In Deutschland wird es in den kommenden Wochen wahrscheinlich noch zu deutlich mehr Ansteckungen kommen. Eine am Donnerstag veröffentlichte RKI-Modellierung schätzt für ein mögliches Szenario bis Mitte Februar, dass Neuinfektionen von etwa 300.000 pro Tag möglich sind. Allerdings hängt der weitere Verlauf auch stark an den Impfungen, dem Verhalten der Bevölkerung und welche politischen Vorgaben weiter Bestand haben. Studienautor und Modellierer von Infektionskrankheiten, Dirk Brockmann, gab gegenüber dem RND zu bedenken: „Die Schwankungsbreite ist sehr groß und bewegt sich zwischen 100.000 und 600.000. Das heißt, wir haben keine Sicherheit, wo wir Mitte Februar landen, wenn wir jetzt Maßnahmen fallen lassen. Wir würden kritische Infrastrukturen gefährden.“
Die Simulationen zeigen, dass bereits geringe Kontaktreduktionen zur Entlastung beitragen könnten. „Frühe, strikte, und kurze Kontaktreduktionen führten hingegen zu einem starken ‚Rebound‘-Effekt mit vergleichsweise hohen Inzidenzen nach dem Ende der entsprechenden Reduktionen“, heißt es in der Studie, die zudem einen weiter entscheidenden Faktor betont: Entscheiden sich mehr Menschen für eine Erstimpfung, würde sich das Risiko maximal belasteter Intensivstationen „stark verringern.“ Aktuell sind laut dem RKI-Impfquotenmonitoring 24 Prozent der Gesamtbevölkerung ohne Impfschutz, bei den über 60-Jährigen sind es 12 Prozent (Stand: 3. Februar).
Für Mitte bis Ende Februar erwarten Corona-Experten und -Expertinnen wahrscheinlich den Höhepunkt der Infektionswelle. Das bedeutet aber nicht, dass die Gefahren durch Omikron damit von heute auf morgen gebannt wären – oder zeitgleich alle Maßnahmen gelockert werden könnten. „Die Maßnahmen in Deutschland fallen dann, wenn die Omikron-Welle hinter uns liegt“, erklärt Brockmann. Es könne „bis Ende März, Mitte April dauern“, bis die Welle überwunden sei. Welche Corona-Regeln dann zuerst zurückgenommen werden, müsse man dann bewerten. Klar sei aber: „Die Maskenpflicht sollte das letzte Mittel in der Pandemiebekämpfung sein, das wir aufgeben“, so Brockmann.
Auch der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité gibt sich noch vorsichtig, wenn es um Lockerungen geht. Der Corona-Experte sieht für Deutschland erst in den kommenden Osterferien eine zeitliche Schwelle und einen „Planungshorizont“ für die Entspannung der Corona-Lage, wie er im NDR Info-Podcast „Coronavirus Update“ erläuterte. „Wir haben ganz eindeutig den Befund in Deutschland, dass die Übertragungsnetzwerke im Moment aus dem Schulbetrieb gespeist werden. Da werden spätestens die Osterferien dann den Riegel vorschieben.“ Auch die dann wieder wärmeren Temperaturen dürften sich senkend auf die Inzidenzen auswirken.
Jetzt lockern? Kein gutes Szenario für Deutschland
In Ländern wie Dänemark hat die Bevölkerung eine viel höhere Grundimmunität – durch Impfungen und Infektionen. Mit einer Normalisierung der Kontakte stände Deutschland laut Brockmann, „anders als Dänemark vor einem echten Problem. In Dänemark hat man eine sehr viel höhere Grundimmunität, insbesondere in der älteren Population. In Deutschland entfaltet sich die aktuelle Omikron-Welle besonders stark bei jungen Leuten.“ Sollten alle Regeln fallen, werde es auch wieder für die ältere Bevölkerung kritisch.
Von vielen Fachleuten wird die Situation hierzulande unter anderem als Sonderfall beschrieben – eben weil die Impflücke mit 24 Prozent Ungeimpften vergleichsweise groß ist. Damit bleibt eine Infektion ein großes Gesundheitsrisiko für viele Menschen im Land. „Lockerungen jetzt würden wieder mehr Ungeimpfte auf Intensivstation führen mit der Hauptdiagnose Covid und Lungenversagen“, schrieb der Intensivmediziner und Leiter des Divi-Intensivregisters Christian Karagiannidis am Mittwoch in seinem Twitter-Account.
Die Rolle von BA.2 – eine offene Frage
BA.2 kann sich noch schneller ausbreiten und wird tendenziell zu noch höheren Fallzahlen führen.
Richard Neher
Experte für Virusevolution
Ungewiss ist zudem, inwieweit plötzlich neu auftauchende Virusvarianten die Infektionsdynamik noch einmal beschleunigen oder den Immunschutz durch Impfungen und Infektionen ins Wanken bringen könnten. Einen Spezialfall mit Fitnessvorteil gibt es bereits: Eine Unterlinie von Omikron macht sich seit einigen Wochen unter anderem auch in Europa bemerkbar. Der Subtyp heißt BA.2, und er ersetzt beispielsweise in Dänemark und Großbritannien zunehmend die bisher dominante Linie BA.1. Inwiefern die weitere Ausbreitung problematisch werden könnte, ist allerdings noch unklar.
Erste Studiendaten deuten darauf hin, dass das Infektionsrisiko bei BA.2. deutlich höher sein könnte als beim bisherigen Omikron-Virus. „Es sieht so aus, als hätte sie einen Übertragungsvorteil gegenüber BA.1″, sagt auch Richard Neher, der an der Universität Basel zur Virusevolution forscht. „Das heißt, sie kann sich noch schneller ausbreiten und wird tendenziell zu noch höheren Fallzahlen führen.“ Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass sie sich in der klinischen Präsentation deutlich von BA.1 unterscheidet. Das heißt also: Bislang gehen Gesundheitsbehörden davon aus, dass die Linie nicht mit schwereren Krankheitsverläufen einhergeht. In Deutschland ist der Anteil von BA.2 laut dem jüngsten RKI-Wochenbericht „nach wie vor sehr gering“ – mit 2,3 Prozent in der zweiten Woche des Jahres.
Omikron-Welle und Endemie: Auch eine Frage der Einstellung
Mit der Virusvariante Omikron könnte ein endemischer Zustand für Deutschland in greifbarere Nähe rücken – weil die Grundimmunität in der Bevölkerung durch Impfungen, Booster und viele Infektionen zunimmt. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht. Konkrete Vorhersagen zu machen, wann ein „Leben mit dem Virus“ ohne jegliche Schutzmaßnahmen möglich wird, sind momentan schwierig. „Das liegt zum Teil daran, dass selbst die besten Krankheitsmodelle Schwierigkeiten haben, vernünftige Vorhersagen zu treffen, die über ein paar Wochen hinausgehen“, wird der Londoner Epidemiologe Sebastian Funk von der London School of Hygiene & Tropical Medicine in einem Beitrag im Fachmagazin „Nature“ zitiert. Das liege aber auch daran, dass Endemizität eine Einstellung dazu spiegelt, wie viele Todesfälle eine Gesellschaft zu tolerieren bereit ist, während die Weltbevölkerung stetig Immunität aufbaut.
Ein weiterer Faktor bleibt zudem ungewiss: „Welche Variante in einigen Monaten zirkulieren wird, lässt sich nicht vorhersagen“, erklärt Richard Neher, Professor für Virusevolution an der Universität Basel. So könnte sich die Omikron-Variante beispielsweise weiterentwickeln und neue Mutationen entstehen, die es der Virusvariante ermöglichen, sich noch schneller zu verbreiten oder die Immunantwort von Geimpften und Genesenen noch stärker zu umgehen. Die Delta-Variante könnte auch wiederaufleben. Es könnte aber auch eine gänzlich neue Variante entstehen. Neue Virusvarianten müssen aber nicht immer besorgniserregend sein. Denn nicht alle besitzen Eigenschaften, mit denen sie sich gegen ihre Vorgänger durchsetzen können. Klar ist aber: Omikron wird nicht die letzte Corona-Variante sein.