Ende der Maskenpflicht an Schulen: Was gilt im Corona-Herbst – und ist das zu gewagt?
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Eine FFP2-Maske liegt in einer ersten Klasse an einer Grundschule mit Wechselunterricht auf einem Tisch (Symbolbild).
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Mehrere Bundesländer haben die Maskenpflicht an Schulen gelockert. Gleichzeitig nehmen die Coronavirus-Infektionen unter Kindern und Jugendlichen zu. Expertinnen und Experten aus Epidemiologie und Virologie rechnen damit, dass sich das Infektionsgeschehen im Herbst und Winter weiter beschleunigt – insbesondere unter Ungeimpften. Wie also eine Balance finden zwischen dem Infektionsschutz in der Schule auf der einen Seite und möglichst normalem Unterricht auf der anderen? Was die Politik abwägt, weicht von den medizinisch-wissenschaftlichen Empfehlungen ab. Und auch die Fachwelt ist sich nicht einig. Ein Überblick:
1) Maskenpflicht an Schulen: Was gilt nach den Herbstferien?
Ob eine Maskenpflicht im Schulunterricht gilt, regeln jeweils die Bundesländer. Einheitlich gehen sie nicht vor: So ist in Bayern bereits seit Anfang Oktober die Verpflichtung zum Tragen einer Maske grundsätzlich im Unterricht, bei Schulveranstaltungen und in der Mittagsbetreuung weggefallen. In Berliner Schulen wurde Anfang Oktober die Maskenpflicht im Unterricht bis zur einschließlich sechsten Klasse aufgehoben, ebenso in Brandenburg.
Baden-Württemberg hat nun nachgezogen – einen Mund- und Nasenschutz braucht es dort seit diesem Montag nicht mehr am festen Platz im Unterricht, aber noch auf den Gängen. Das gilt für Schülerinnen und Schüler genauso wie für Lehrkräfte. Und die nordrhein-westfälische Landesregierung will ab dem 2. November die Maskenpflicht im Unterricht abschaffen. In Schleswig-Holstein hingegen bleibt die Maskenpflicht in Klassenräumen und Gängen nach den Herbstferien zunächst bestehen. Wegen der vielen Reiserückkehrer besteht nach Angaben des Bildungsministeriums ein erhöhtes Infektionsrisiko. Weitgehend einig sind sich die Länder darin, dass es kein Maskentragen mehr in Pausen und auf dem Schulhof braucht.
2) Wie bewerten Bundespolitikerinnen und -politiker den Wegfall der Maskenpflicht?
Der Wegfall der Masken im Unterricht wird in der Politik und auch unter Fachleuten kontrovers diskutiert. So äußerte sich die amtierende Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zuletzt zum Ende der Maskenpflicht an Schulen. „Das Tragen von Masken beeinträchtigt einen normalen Unterricht und ist für die Schülerinnen und Schüler belastend“, sagte sie Anfang Oktober der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ . Allerdings müsse bei einer Lockerung der Maskenpflicht weiter oder sogar vermehrt in den Schulen getestet werden, vor allem nach den Herbstferien. „Denn dann kann es nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit durchaus sein, dass die Infektionszahlen wieder steigen“, betonte sie.
Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht begrüßte die Lockerungen bei der Maskenpflicht an den Schulen. „Das freut mich für die Schülerinnen und Schüler sehr“, sagte die SPD-Politikerin Anfang Oktober. „Kinder haben es mehr als verdient, dass sie – überall wo es möglich und verantwortbar ist – jetzt weitere Schritte in die Normalität gehen können.“ Allerdings brauche es weiter Tests und ein Beobachten der Situation.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach pochte immer wieder darauf, dass es beim Wegfall der Maske andere Instrumente zur Kontrolle der Infektionen geben müsste. „Meines Erachtens muss dreimal pro Woche in der Klasse getestet werden, will man auf Maske verzichten“, tweetete er, nachdem erste Bundesländer einen Lockerungskurs angekündigt hatten. Und Mitte Oktober schob er nach: „Die jetzt kommende Winterwelle wird besonders die Kinder treffen. Daher brauchen wir eine Strategie.“
3) Die Evidenz: Braucht es die Maske für sicheren Schulunterricht?
Ab hohem Infektionsgeschehen soll ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz zum Einsatz kommen.
Aus der S3-Leitlinie deutscher Fachgesellschaften
Aber was bringt die Maske im Schulunterricht? Dafür lohnt ein Blick in die USA, wo die örtliche Gesundheitsbehörde CDC ihre Empfehlung für Schulen inzwischen unter Berücksichtigung der Impfungen aktualisiert hat. Seit August empfiehlt sie allen Kindern ab dem zweiten Lebensjahr, Mitarbeitenden, Lehrpersonal und Besucherinnen und Besuchern von Schulgebäuden, Maske zu tragen – unabhängig vom Impfstatus.
Dabei verweist die Behörde auf drei Studien, die den Nutzen von mehreren Präventionsstrategien inklusive dem Masketragen hervorheben. Die vergleichenden Untersuchungen ergaben, dass in Schulbezirken, wo das Masketragen nicht vorgegeben war, die Wahrscheinlichkeit von Covid-19-Ausbrüchen höher war. Die Fälle in Landkreisen ohne Maskenpflicht stiegen im selben Zeitraum fast doppelt so schnell – ein Argument für die US-Behörde, das Masketragen beizubehalten.
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© Quelle: dpa
Ein Fahrplan für möglichst sicheren Schulbetrieb in der Pandemie in Deutschland ist die sogenannte S3-Leitlinie mit „Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der Sars-CoV-2-Übertragung an Schulen“. Diese wird fortlaufend aktualisiert, eine Anpassung an Teststrategien und Impfdynamik steht allerdings noch aus. Daran sind rund 40 Fachgesellschaften beteiligt – etwa die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), die Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH) und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Gemeinsam bewerten sie die Studienlage und sprechen evidenzbasierte Empfehlungen aus.
„Ab hohem Infektionsgeschehen soll ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz zum Einsatz kommen“, heißt es darin. Das solle dann für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und weiteres Schulpersonal gelten. Pausen vom Maskentragen sollte es demnach nicht im Klassenraum geben. Dafür aber im Freien, also außerhalb des Schulgebäudes. Sportunterricht soll in kleinen und konstanten Gruppen durchgeführt werden – ohne Maske, aber mit Abstands- und Lüftungsregeln. Der Nutzen vom Masketragen überwiege, resümieren die Expertinnen und Experten in der deutschen Leitlinie. In Kombination mit weiteren Maßnahmen wie Wechselunterricht und Kohortenbildung könne das Infektionsrisiko in Schulen verringert werden.
Auch das Umweltbundesamt betont in einer Einschätzung zu Maßnahmen zum Infektionsschutz, dass Masken (FFP2 und medizinisch) maßgeblich zur Vermeidung direkter Infektionen im Nahfeld, also unter anderthalb Metern, zur Abschwächung virushaltiger Partikel in der Raumluft beitragen. Die Behörde verweist auf Untersuchungen der Universität Bonn, der zufolge eine Reduzierung infektiöser Aerosolpartikel im Raum um mehr als 99 Prozent nachgewiesen wurde.
Anders sieht das die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). In einer Stellungnahme von Mitte September spricht sie sich gegen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in Schulen und auch Kitas aus. Es gebe nach heutigem Kenntnisstand keinen Grund anzunehmen, dass sie „einen wesentlichen zusätzlichen Nutzen in Hinblick auf die Infektionsprävention haben“, heißt es darin. Vor allem FFP2-Masken gehörten in den professionell-medizinischen Bereich, sie seien für Kinder wegen oft fehlendem korrekten Sitz und erhöhter Kohlendioxid-Retention beim Atmen ungeeignet und potenziell gefährlich.
4) Schädigt Maske tragen in Schulen das kindliche Immunsystem?
Die Sorge, dass man durch Maske tragen, Abstand halten und lüften auf lange Sicht irgendwelche Schäden im Immunsystem anrichtet, kann man klar mit Nein beantworten.
Prof. Christine Falk,
Präsidentin der Gesellschaft für Immunologie
Kinderärztinnen und Ärzte bemerken derzeit einen Anstieg von Erkrankungen mit dem RS-Virus, einem der Influenza ähnelnden Atemwegserreger, bei Kindern. Daraufhin gab es auch die Sorge, dass Maske tragen und Lockdown-Maßnahmen wie geschlossene Schulen die Entwicklung des Immunsystems beeinträchtigen könnten. Dass nun diese Infektionen unter Jüngeren vermehrt stattfinden, sei wieder mehr Kontakte zurückzuführen, erklärte dazu Prof. Christine Falk, Präsidentin der Gesellschaft für Immunologie. „Das Immunsystem braucht dann bei Kontakt mit respiratorischen Viren vielleicht etwas mehr Zeit, um anzuspringen. Aber die Sorge, dass man durch Maske tragen, Abstand halten und Lüften auf lange Sicht irgendwelche Schäden im Immunsystem anrichtet, kann man klar mit Nein beantworten“, sagte sie im RND-Interview.
Heißt also: Bleiben Infektionen etwa mit Erkältungsviren über einen gewissen Zeitraum im Kindesalter aus, zum Beispiel durch weniger Kontakte im Lockdown, verschiebt sich die Auffrischung der Grundimmunität über das erworbene Immunsystem nach hinten, wenn wieder mehr Kontakte stattfinden. Die grundsätzliche Fähigkeit, Viren zu bekämpfen, verliert es aber nicht.
5) Wie sieht es eigentlich mit Luftreinigern aus?
Worin sich die Fachwelt aber einig ist: Für den Infektionsschutz an Schulen braucht es mehrere Schutzkonzepte gleichzeitig: Neben der Maske kann das etwa die Impfung der über Zwölfjährigen sein, Basishygiene, aber auch Lüften. Und Luftreinniger? Der Einbau stationärer raumlufttechnischer RLT-Anlagen kann nach Einschätzung des Umweltbundesamts nur als Ergänzung vor indirekten Infektionen über die Raumluft helfen, neben der Einhaltung der Hygieneregeln, dem Masketragen und regelmäßigem Lüften über die Fenster. Allerdings hätten erst rund 10 Prozent der Schulen solche fest installierten Lüftungsanlagen, hieß es in einem Bericht von Anfang Juli.
Der Bund hat inzwischen zwar Fördergelder für den Ausbau in Schulen und Kitas bereitgestellt. Diese fließen einer Stellungnahme der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft von Ende September zufolge aber nur sehr langsam ab. Mit einem flächendeckenden Einsatz in allen Schulen ist in diesem Corona-Herbst und -Winter also nicht mehr zu rechnen.
6) Wie hoch ist die Inzidenz bei Kindern – und hat die Herbstwelle schon angefangen?
Bereits seit einiger Zeit werden zahlreiche Corona-Infektionen insbesondere bei Kindern ab dem Schulalter und bei Jugendlichen festgestellt. Das Robert Koch-Institut (RKI) registriert aktuell in einzelnen Regionen Deutschlands besonders viele Corona-Ansteckungen. In acht Landkreisen und einer kreisfreien Stadt liege die Sieben-Tage-Inzidenz derzeit bei den Zehn- bis 19-Jährigen bei mehr als 500, wie das RKI in seinem Wochenbericht von vergangener Woche (4. bis 10. Oktober) festhielt. Prignitz, Kyffhäuserkreis, Altenburger Land, Hildburghausen, Greiz, Traunstein, Berchtesgadener Land, Straubing-Bogen und die kreisfreie Stadt Rosenheim zählen dazu. Vier der Regionen liegen in Bayern.
Bundesweit ist die Sieben-Tage-Inzidenz vergangene Woche in den Altersgruppen unter 20 Jahren allerdings im Vergleich zur Woche zuvor leicht gesunken. Allerdings hatten in der Woche auch in drei Bundesländern die Schulferien begonnen. Die Werte bei Menschen über 20 hingegen stiegen leicht an. Das RKI berichtete zudem über bundesweit 636 übermittelte Schulausbrüche in den vergangenen vier Wochen – wegen möglicher Nachmeldungen seien insbesondere die vergangenen zwei Wochen aber noch nicht zu bewerten.
Dass die Fachwelt mit einem weiteren Anstieg der Fallzahlen rechnet, liegt zum einen an der Erfahrung in dieser Pandemie. Es hat sich gezeigt, dass der Höhepunkt der Infektionswellen eher in den kalten Jahreszeiten stattfindet. Zum anderen ist aber auch ein wichtiger Faktor, dass es deutschlandweit in allen Altersgruppen noch Impflücken gibt. Auch bei den Jüngeren: Rund 56 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen haben laut RKI-Impfquotenmonitoring keinen vollständigen Impfschutz (Stand: 18. Oktober).
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin rief Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren auf, sich gegen Corona impfen zu lassen. „Nachdem Daten von über zehn Millionen Kindern und Jugendlichen erhoben wurden, empfehle ich die Impfung den über Zwölfjährigen heute allgemein und uneingeschränkt, ich werbe dafür so dringlich wie bei Erwachsenen“, sagte Verbandspräsident Jörg Dötsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die Risiko-Nutzen-Abwägung falle eindeutig zugunsten der Impfung aus.
mit Material von dpa/ Dieser Artikel wurde am 18. Oktober aktualisiert.