Corona-Nachweis: Sind Antikörper-Selbsttests aus dem Supermarkt seriös?

Virologen und Infektiologen raten von Antikörper-Selbsttests für Einzelpersonen ab.

Virologen und Infektiologen raten von Antikörper-Selbsttests für Einzelpersonen ab.

Antikörper-Testkits sind neuerdings in den Supermarktregalen der Drogerie-Kette dm zu finden. Auch im Internet gibt es eine Reihe Angebote von nach Hause bestellbaren Antikörpertests. Sie versprechen Klarheit, etwa darüber, ob das Kratzen im Hals von vor zwei Monaten möglicherweise ein Hinweis auf Corona war. Denn eine Infektion mit Sars-CoV-2 verläuft oft mit milden Symptomen. Laut Studien bemerken rund 20 Prozent der Menschen die Ansteckung gar nicht.

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“Mit Hilfe dieses Tests lässt sich herausfinden, welcher Teil der Bevölkerung schon infiziert war und gegebenenfalls immun gegen das Coronavirus ist”, verspricht der Anbieter “Lykon” auf seiner Homepage. Ein Testkit gibt es dort und auch beim Konkurrenten “Cerascreen” für derzeit rund 67 Euro (Stand 26. Oktober). “Wenige Tropfen Blut” entnehmen Kunden laut der Hersteller dann zu Hause oder beim Arzt.

Vorteil: Antikörpertests geben nach Genesung Hinweis auf Corona-Infektion

Die Probe wird zur Auswertung in ein medizinisches Fachlabor geschickt, wo es dann auf IgG-Antikörper untersucht wird. Diese sind nach bisherigen Erkenntnissen rund zwei Wochen nach einer Corona-Infektion nachweisbar – ein Vorteil im Gegensatz zum PCR-Test, der per Rachen- oder Nasenabstrich nur in einem kurzen Zeitfenster eine akute Corona-Infektion nachweisen kann.

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Die Kosten für selbst durchgeführte Antikörpertest übernehmen die Krankenkassen in der Regel nicht. Nur wenn der Arzt entscheidet, dass der Antikörpertest medizinisch notwendig ist, könne die Behandlung über die elektronische Gesundheitskarte abgerechnet werden, erklärt etwa die Techniker Krankenkasse (TK) auf der eigenen Homepage. Der Test müsse in direktem zeitlichen Bezug zu einer Covid-19-Symptomatik stehen. “Privatrechnungen können von der TK nicht erstattet werden.”

Chronologie des Coronavirus

Der Beginn des verheerenden Coronavirus war vermutlich ein Tiermarkt in Wuhan/China. In nur wenigen Wochen erreichte das Virus auch Europa.

Nachteil: Antikörpertests geben keine Auskunft zur Immunität und Infektiosität

Zum jetzigen Zeitpunkt können diese Testformate jedoch nicht abschließend beurteilt werden.

Robert-Koch Institut

Aber lohnen sich die Kosten überhaupt, um Gewissheit zu bekommen? Noch gibt es viele Unsicherheiten. Eine Mitte April auf dem Preprint-Server “medRxiV” erschienene Studie aus Dänemark hat neun kommerzielle Antikörpertests untersucht. Die Wissenschaftler resümieren: “Es ist wichtig anzumerken, dass das Vorliegen Sars-CoV-2-spezifischer Antikörper nicht notwendigerweise bedeutet, dass man vor einer Sars-CoV-2-Infektion oder Erkrankung geschützt ist.”

Für ihre Beurteilung haben sie auch ein Augenmerk auf Spezifität und Sensitivität gelegt. Diese Parameter sind wichtig, um die Genauigkeit der Antikörpertest-Ergebnisse beurteilen zu können. Das sind zwei wichtige statistische Testgütekriterien, wie der Hausärzteverband Bayern in einem Schreiben erklärt:

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  • Sensitivität ist der Anteil aller Infizierten, die mithilfe des Tests korrekt als infiziert identifiziert werden.
  • Spezifität ist der Anteil aller Nichtinfizierten, die mithilfe des Tests korrekt als nicht infiziert identifiziert werden.

Anbieter wie Cerascreen werben mit einer hohen Genauigkeit, mit einer Spezifität von 98,9 bis 99,2 Prozent und einer Sensitivität von 97,4 bis100 Prozent. Das Robert Koch-Institut betont aber, dass diese Parameter bei kommerziellen Testsystemen noch in Studien belegt sein müssen. Derzeit könnten diese Testformate nicht abschließend beurteilt werden, sie ließen keine eindeutige Aussage zur Infektiosität oder einem Schutz vor erneuter Ansteckung zu.

Bislang ist auch unklar, ob und inwieweit Sars-CoV-2-Infizierte nach Abklingen einer akuten Infektion auf lange Sicht Antikörper bilden. So haben beispielsweise Forscher aus Lübeck in einer Studie mittels serologischer Tests bei Corona-Patienten festgestellt, dass 30 Prozent nach der Infektion mit Sars-CoV-2 keine Antikörper im Blut hatten.

Virologen und Labormediziner raten von Heimtests ab

Grundsätzlich sind die Angebote überteuert und weisen zumindest bei den meisten Heimtests in der Regel keine ausreichende Sensitivität und Spezifität aus.

Martin Stürmer, Virologe und Labormediziner

Auch Labormediziner weisen auf eine fragliche Qualität bei Antikörper-Selbsttests hin. “Grundsätzlich sind die Angebote überteuert und weisen zumindest bei den meisten Heimtests in der Regel keine ausreichende Sensitivität und Spezifität aus”, urteilt Martin Stürmer, Virologe und Leiter eines Medizinlabors in Frankfurt am Main. Ausnahmen seien Anbieter, bei denen zu Hause nur das Blut selbst abgenommen und die Probe dann ins Labor geschickt und dort ausgewertet wird. Bei den Anbietern Cerascreen und Lykon ist das der Fall. Man müsse aber auch da ins Details der jeweiligen Anbieter gehen und in der Literatur schauen, ob es schon Testvergleiche gebe, rät Stürmer gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

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Auch der Berufsverband Deutscher Laborärzte warnt vor Corona-Selbsttests. Er hoffe auf Impulse aus der Politik zur Stärkung der Rolle der niedergelassenen Haus- und Fachärzte bei der Anordnung medizinisch induzierter Coronatests. „Die Bekämpfung der Pandemie muss in der Verantwortung der Ärzte bleiben und darf nicht aus populistischen Gründen in die Hände von Laien gegeben werden“, heißt es in einer Pressemitteilung, die sich auch auf die Anwendung von Antigen-Schnelltests bezieht.

Von einem Antikörpertest “aus reiner Neugier” rät der Infektiologe Matthias Stoll von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ab. Diese Tests seien ein Riesengeschäft. “Da muss man leider auch damit rechnen, dass mit harten Bandagen gekämpft und verkauft werden kann”, betonte der Facharzt bereits im Sommer gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Bei einem Heimtest sei höchste Vorsicht geboten. Eigentlich müsse der Test auf Antikörper in Deutschland unter Anleitung und Aufsicht eines Arztes durchgeführt und ausgewertet werden.

Forschung zu Antikörpern und Coronavirus steht noch am Anfang

In Deutschland bestehe eine geradezu euphorische Überzeugung, dass eine durchgemachte Covid-19-Infektion dauerhaft vor einer Neuinfektion schützen könne und dass man mit einem Impfstoff das Immunsystem zur nachhaltig schützenden Antikörperbildung veranlassen könne. “Beides kann man natürlich von Herzen hoffen, aber man sollte sich vom Verstand her auch darüber klar sein, dass diese Wunschvorstellung nicht das wahrscheinlichste Szenario für die nächsten Monate und Jahre sein dürfte”, betont Stoll.

Statt im eigenen Haushalt durchgeführte Tests mache dem Infektiologen zufolge die Untersuchung auf Antikörper vor allem in großangelegten epidemiologischen Bevölkerungsstudien Sinn. „Die Erfassung des Anteils der Bevölkerung, der bereits Kontakt zu Sars-CoV-2 hatte, ist wichtig, um den weiteren Verlauf der Epidemie in Deutschland abzuschätzen und Maßnahmen zum Bevölkerungsschutz zu planen“, erklärt auch das Robert-Koch Institut, das in Deutschland mehrere solcher Studien seit Pandemiebeginn beauftragt hat.

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Wir haben diesen Text am 26. Oktober aktualisiert.



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