Wie bei den „Hunger Games“: Ansturm auf Impftermine in Australien

Die Australische Impfkampagne läuft bisher sehr schleppend – nur knapp 17 Prozent der Menschen sind bereits vollständig gegen das Coronavirus immunisiert.

Die Australische Impfkampagne läuft bisher sehr schleppend – nur knapp 17 Prozent der Menschen sind bereits vollständig gegen das Coronavirus immunisiert.

Sydney. Der Ansturm auf Impftermine in Australien ist so groß, dass manche diesen bereits mit den „Hunger Games” vergleichen. Denn nachdem die Regierung die Impfkampagne eher langsam anlaufen ließ, sind bisher nur knapp 17 Prozent der 25 Millionen Australierinnen und Australier geimpft.

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Dass Australien sich mit seiner Impfkampagne so viel Zeit gelassen hat, liegt daran, dass der Inselstaat dank geschlossener Grenzen und strenger Quarantäneregeln 2020 von der Pandemie weitestgehend verschont geblieben war. Nach einem siebenwöchigen Lockdown im April und Mai 2020 hatte nur Melbourne noch mit einem größeren Ausbruch über die Wintermonate gekämpft. Alle anderen Cluster hatte das Land mit Kontaktverfolgung über Apps und mit drei- bis fünftägigen Blitzlockdowns erfolgreich bekämpft. Gerade mal 30.000 Infektionen und knapp über 900 Tote waren eine deutlich bessere Bilanz als in anderen westlichen Ländern. Über Monate hinweg war das normale Leben bereits wieder zurückgekehrt – über die Pandemie hörte man nur noch in den Auslandsnachrichten.

Delta-Mutante offenbart Regierungsfehler

Doch seitdem sich die Delta-Variante im Juni in Sydney eingeschlichen hat und trotz strengen Lockdowns weiter ausbreitet – inzwischen sind auch Melbourne und Brisbane im Lockdown – hat sich das Blatt gewendet. Plötzlich wird offensichtlich, dass die Regierung zu wenig und zu spät reagiert hat. Von den ursprünglich drei Impfstoffen, auf die Australien setzte, sind bisher nur ausreichend Astrazeneca-Dosen im Land. Der Biontech/Pfizer-Impfstoff ist dagegen rar und Termine sind über Monate hinweg ausgebucht. Der dritte Impfstoff Novavax ist weder zugelassen noch bisher im Land.

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In Sydney, wo derzeit täglich über 200 Neuinfektionen gemeldet werden und die Todeszahlen stetig höher klettern, sind die Stadtteilseiten auf Facebook inzwischen voll mit Hilferufen. „Wer weiß, wo ich mich impfen lassen kann?” oder „Welche Klinik hat noch Termine?” Zusätzlich zum Terminmangel und einer teils verwirrenden Kommunikation über das Astrazeneca-Vakzin und die damit verbundenen Nebenwirkungen haben einige recht spontane Entscheidungen zu Ärger in der Bevölkerung geführt. So sollen sämtliche Abiturientinnen und Abiturienten in den am schlimmsten betroffenen Stadtteilen im Westen von Sydney geimpft werden. Hinter der Idee steckt, zumindest den Präsenzunterricht für die zwölfte Klasse wieder aufnehmen zu können und so die Abschlussprüfungen nicht zu gefährden. Doch aufgrund des Biontech/Pfizer-Mangels mussten die entsprechenden Dosen dafür von der Bevölkerung auf dem Land abgezogen werden.

„Jagd” nach dem Impfstoff

Belinda Pigram aus Newcastle, etwa zwei Stunden nördlich von Sydney, hatte ihren Impftermin beispielsweise bereits vor sieben Wochen vereinbart. Doch zwei Tage vor dem Termin erhielt sie eine Nachricht, dass ihr Termin abgesagt sei, wie sie im Interview mit dem australischen Sender ABC schilderte. Sie erhielt eine Telefonnummer, die sie anrufen sollte, doch als sie endlich bei jemandem durchkam, hieß es, man sei über die Stornierungen nicht informiert worden. Schließlich sollte sie eine weitere SMS mit einem Prioritätscode für die Umbuchung erhalten, aber auch der kam nie an.

Als sie dann erfuhr, dass ihr Impfstoff an Abiturienten und Abiturientinnen in Sydney weitergeleitet worden war, sagte sie, sie habe sich wie in der fiktiven Buch- und Filmreihe „The Hunger Games” oder auf Deutsch „Die Tribute von Panem” gefühlt. Pigram verglich die „Jagd” nach dem Impfstoff damit, „als würden wir dem Kapitol zuschauen und District 12 hat es verpasst”. Eine ähnliche Anspielung hatte selbst Brad Hazzard, der Gesundheitsminister des Bundesstaates New South Wales, in dem Sydney liegt, Anfang Juli gemacht. Wie gefährlich es sein kann, bestimmte Regionen zu bevorzugen, zeigte sich zudem am Donnerstag. Denn neben Melbourne meldete auch die Region in und um Newcastle, in der Pigram lebt, neue Covid-19-Infektionen und musste spontan in einen Blitzlockdown gehen.

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Menschen müssen „Opfer bringen”

Zuvor hatte Gladys Berejiklian, die Ministerpräsidentin von New South Wales, noch betont, dass alle derzeit „Opfer bringen” müssten. Wenn nun einige Leute ein paar Wochen länger auf ihre Biontech/Pfizer-Dosis warten müssten, dann seien sie bestimmt bereit dazu, meinte sie. Doch nicht alle Bürgerinnen und Bürger teilen die Meinung der Politikerin bei diesem Thema: „Ich bin wirklich wütend, weil wir während der Pandemie die ganze Zeit das Richtige gemacht haben”, sagte Kerryn Tippett beispielsweise, deren Mann eine Autoimmunkrankheit hat. Außerdem würde einem dauernd gesagt werden, man solle gehen und sich impfen lassen. „Und wenn man sich dann impfen lassen will und es geht nicht, dann ist das frustrierend”, meinte sie.

Neben dem Kampf um den Impftermin geht es auch um den verfügbaren Impfstoff. Das Astrazeneca-Vakzin sollten eigentlich nur die über 60-Jährigen erhalten, nachdem mehrere Menschen an den seltenen, aber gefährlichen Blutgerinnseln, die als Nebenwirkung auftreten können, gestorben sind. Erst am Donnerstag wurde der Tod einer 34-Jährigen gemeldet, der siebte Todesfall in Australien, der sich auf den Impfstoff zurückführen lässt. Doch aufgrund der steigenden Infektionszahlen wurde der Impfstoff nun für alle ab 18 Jahren freigegeben. Doch viele bleiben skeptisch: So ergab eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage, dass 47 Prozent der Menschen, die bisher nicht geimpft wurden, Biontech/Pfizer nehmen würden, nicht aber Astrazeneca.

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Premierminister lehnt Geldzahlungen ab

Der Oppositionsführer der Sozialdemokraten, Anthony Albanese, schlug deswegen bereits vor, jedem, der bis zum 1. Dezember vollständig geimpft ist, 300 Australische Dollar oder umgerechnet knapp 190 Euro zu schenken. Doch Premierminister Scott Morrison lehnte den Vorschlag ab und sagte, er sei „ein Misstrauensvotum gegen die Australier”. „Glauben wir wirklich, dass Australier jüngeren Alters sich weniger für ihre eigene Gesundheit, die Gesundheit ihrer Familien und die Gesundheit der Gesellschaft einsetzen als die Älteren? Natürlich nicht”, sagte er. Das Ganze sei „keine Spielshow”, betonte der liberal-konservative Politiker. Es sei wichtig, zu respektieren, wie die Australierinnen und Australier mit diesem Prozess umgehen würden. Wenn sie bei Impfstoffen zögerten, werde er sie nicht mit Geld überreden. Stattdessen werde er „einen Hausarzt dafür bezahlen, dass er sich mit ihnen zusammensetzt und ihre Bedenken durchspricht”.

Ob Morrisons Strategie funktioniert, werden die kommenden Wochen zeigen. Sydney ist bereits die sechste Woche im Lockdown, Melbourne verkündete am Donnerstag die sechste Ausgangssperre seit Beginn der Pandemie und auch Brisbane und Umgebung kämpfen mit strengen Restriktionen gegen einen ernst zu nehmenden Ausbruch der Delta-Variante. Immerhin werden diesen Monat noch 185.000 frische Biontech/Pfizer-Dosen für Sydney erwartet – angesichts der Millionen ungeimpften Menschen allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

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