„Finaler Todesstoß“: Wohin mit den ungenutzten Astrazeneca-Dosen?

Während in Deutschland Impfstoffdosen ungenutzt bleiben, wartet ein Großteil der Weltbevölkerung immer noch auf erste Lieferungen.

Während in Deutschland Impfstoffdosen ungenutzt bleiben, wartet ein Großteil der Weltbevölkerung immer noch auf erste Lieferungen.

85 Prozent vollständig Geimpfte bräuchte es nach einer Modellierung des Robert Koch-Instituts, um eine vierte Infektionswelle mit erneut vielen Erkrankten zu verhindern. Die Zeit läuft also, wenn es um die Impfungen geht. Während die Delta-Variante hierzulande rasanter als zunächst angenommen dominant geworden ist, sind 41,5 Prozent der Menschen in Deutschland vollständig geimpft (Stand: 9. Juli).

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Und während die ärztlichen Praxen weiterhin stark dabei eingespannt sind, die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna zu verimpfen, bleibt ein Vakzin inzwischen weitgehend auf der Strecke. Es handelt sich, wie so oft, wenn es sich um Negativschlagzeilen unter den Impfstoffen handelt, um das Mittel des Herstellers Astrazeneca.

„Finaler Todesstoß“ für den Astrazeneca-Impfstoff

Deutschlandweit drohen zahlreiche Dosen ungenutzt zu verfallen. Mancherorts wurden sie bereits vernichtet. Und auch die Nachfrage nach Impfterminen mit dem Vektorvakzin sinkt. Darüber berichten gleich mehrere ärztliche Vereinigungen der Länder – in Hamburg etwa, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen. Dass nun die Dosen liegenbleiben, ist eine bittere Erfahrung für viele Ärztinnen und Ärzte. Die Praxen erlebten gerade „ein Riesen-Tohuwabohu“, stellte etwa der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), Frank Bergmann, am Mittwoch in Düsseldorf fest.

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Und Christoph Fox, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung aus Bremen berichtete, der Impfstoff von Astrazeneca habe nun „den finalen Todesstoß“ erhalten. „Die Praxen bleiben darauf sitzen und müssen den Impfstoff ungenutzt entsorgen.“ Das schmerze viele Ärzte und medizinische Fachangestellte.

Erst Astrazeneca, dann Biontech: Neue Empfehlung soll besser gegen Delta rüsten

Hauptursache dafür sei, darin ist sich die Ärzteschaft einig, die schlecht kommunizierte und aktualisierte Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko). Vergangene Woche hatte das Gremium überraschend mitgeteilt, dass mit Astrazeneca Erstgeimpfte nach seiner Einschätzung als zweite Dosis bereits nach mindestens vier Wochen einen mRNA-Impfstoff erhalten sollten. Die Stiko-Argumentation:

  • Die Immunantwort fällt laut Studien nach so einer Kreuzimpfung deutlich stärker aus als nach zwei Dosen Astrazeneca.
  • Es ist eine höhere und länger anhaltende Wirksamkeit zu erwarten.
  • Der Zeitfaktor: Mit der Kreuzimpfung kann für Menschen über 60 Jahren deutlich schneller ein optimaler Schutz erreicht werden. Zwei Dosen Astrazeneca sollten ursprünglich im Abstand von bis zu 12 Wochen verabreicht werden.

Dass die Stiko dieses Vorgehen nun empfiehlt und es in den Ländern auch umgesetzt wird, bedeutet aber nicht, dass das Mittel von Astrazeneca nach vollständiger Impfung mit zwei Dosen nicht ausreichend wirkt – nur eben weniger gut als die mRNA-Impfstoffe. Auch bei der Delta-Variante schützt es weiterhin zuverlässig vor schwerem Covid-19 und Tod. Das haben Daten aus Großbritannien, die eine Wirksamkeit von 92 Prozent angaben, und Laborversuche gezeigt.

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Während Astrazeneca-Dosen verfallen, wartet die Welt auf Impfstoffe

Impfstoffexpertinnen und -Experten gehen laut einem Bericht in der Fachzeitschrift „Nature“ davon aus, dass vor allem ärmere Länder bis voraussichtlich 2023 auf dringend benötigte Impfstoffe warten müssten. Der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, plädierte zuletzt dafür, Astrazeneca-Dosen zu verschenken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO habe in einem Symposium vor dem Vatikan berichtet, dass zehn Staaten auf der Welt 80 Prozent der Impfstoffe verimpft hätten, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). Die Chance, eine Impfung zu bekommen, sei in Afrika 62 mal geringer als in den USA. Bisher sei nur ein Prozent der Afrikaner geimpft.

„Wir fordern die Politik nachdrücklich auf, hier schnell eine Möglichkeit der Rückgabe zu schaffen“, betonte auch der Hamburger Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Walter Plassmann. Sollte nicht rasch eine Lösung gefunden werden, müsse dieser Impfstoff weggeworfen werden.

Astrazeneca-Dosen aus Deutschland gehen erst im August an die Welt

Allerdings will Deutschland nach bisherigen Plänen erst im August mit der Abgabe von Covid-19-Impfstoffdosen an ärmere Länder starten. Bis dahin dürften noch viele Dosen verfallen. Voraussichtlich im Laufe des kommenden Monats wolle die Bundesregierung alle weiteren Astrazeneca- Impfstofflieferungen an Drittländer abgeben, heißt es in einem Kabinettsbeschluss von Mittwoch.

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Zu Beginn werden diese einen Umfang von mindestens 500.000 Dosen haben, heißt es darin. Bis Jahresende sollen rund 30 Millionen Impfstoffdosen der Hersteller Astrazeneca und Johnson & Johnson an Drittländer abgegeben werden, rund 80 Prozent davon über die Initiative Covax. Der Rest soll bilateral abgegeben werden – an Staaten des Westbalkans, der östlichen Partnerschaft und an Namibia.

Helfen die Astrazeneca-Dosen überhaupt gegen Varianten in jeweiliger Region?

Ein relevanter Faktor, wenn es um die Annahme der Dosen geht, könnte allerdings auch die lokale Ausbreitung besorgniserregender weiterer Virusvarianten sein. Ein Beispiel: Gegen die Betavariante (B.1.351), die im Mai 2020 zuerst in Südafrika nachgewiesen wurde und weltweit vermehrt kursiert, ist die Schutzwirkung durch die Astrazeneca-Impfung nach derzeitigem Datenstand sehr deutlich herabgesetzt – wenngleich es Hinweise darauf gibt, dass ein gewisser Schutz vor schwerem Krankheitsverlauf und Tod bestehen bleibt. Südafrika hatte deshalb die Impfungen mit Astrazeneca ausgesetzt.

Impfstoffproduktion ausweiten für die Welt

So oder so: „Diese Abgaben der deutschen Bundesregierung kommen leider sehr spät“, kritisierte Elisabeth Massute von der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ gegenüber dem RND. Kurzfristig müssten Impfstoffdosen von reichen Ländern, die zu viel eingekauft hätten, „über Covax abgegeben werden und das so schnell wie möglich“, forderte die politische Referentin. Das Covax-Programm will einen weltweit gleichmäßigen und gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen gewährleisten. „Leider wurde der Plan dadurch unterminiert, dass einige Länder, auch die USA, Großbritannien und die EU, bilaterale Vorabverträge mit einzelnen Herstellern abgeschlossen haben“, sagt Massute.

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Außerdem müsste die Weltgemeinschaft alle möglichen Maßnahmen für eine globale Ausweitung der Impfstoffproduktion unterstützen, fordert die Expertin. Dazu würden neben einer zeitlich begrenzten Patentaussetzung auch ein schnellerer Technologietransfer für die Impfstoffproduktion zählen. Die Pandemie sei erst vorbei, wenn sie für alle vorbei sei.

Mit Material von dpa

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