Ärztin nach Appell an Corona-Leugner: „Ich sehe ja die Patienten, ich bilde sie mir nicht ein“
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Dr. Carola Holzner ist Notfallärztin am Uniklinikum Essen. Kürzlich richtete sie einen emotionalen Facebook-Appell an Corona-Leugner und Maskenverweigerer.
© Quelle: Detlef Kittel
Carola Holzner ist Notfallmedizinerin und leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Essen. Vor einigen Tagen setzte sie einen tausendfach geteilten Facebook-Post ab. Dort berichtet die 38-Jährige von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihren Klinikalltag – und appelliert an die Menschen, das Coronavirus endlich ernst zu nehmen.
Frau Dr. Holzner, vor einigen Tagen ging ein Facebook-Post von Ihnen viral, in dem Sie ihrem Unmut über Corona-Leugner Luft machten und auch ein Bild einer kranken Lunge geteilt haben. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Dass es Maskenverweigerer und Corona-Leugner gibt, die auf Demonstrationen ohne Maske nah beieinander stehen und das System niederbrüllen – das ist ja nicht neu. Bei mir war es an dem Tag aber so, dass ich Dienst in der Notaufnahme hatte und fast 24 Stunden als Oberärztin vor Ort war, weil wir an diesem Tag einen Notfall nach dem anderen bekamen. Ein Teil davon waren auch Covid-19-Patienten, wir haben tatsächlich fast stündlich welche aufgenommen. Ich glaube, es waren siebzehn. Auch in den Tagen davor hatten wir einen Anstieg erlebt. Aber in meinem Dienst war es besonders schlimm.
Danach habe ich das Bild gepostet, weil ich das selbst ziemlich eindrucksvoll fand und auch geeignet, um es anderen zugänglich zu machen. Es ist von einem Patienten, der noch relativ jung war – um die 50 – und der schlussendlich auf der Intensivstation gelandet ist. Er hatte nicht wirklich an Covid-19 geglaubt.
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Das war also die Lunge eines Patienten, der nicht an Covid-19 geglaubt hat?
Ja, zumindest konnte er das mit Covid-19 nicht so richtig fassen. Ich würde ihn nicht als Leugner bezeichnen. Aber er war dann schon irritiert, als er hörte, dass die Lunge aufgrund von Covid-19 angegriffen ist und er Sauerstoff braucht. Das war ihm, glaube ich, nicht ganz klar.
Sie schreiben in Ihrem Beitrag auch, dass Sie und Ihre Kollegen sich täglich dem Virus aussetzen. Wie kann man sich Ihren Klinikalltag derzeit vorstellen?
Wir sind ja schon seit März an die Schutzmaßnahmen gewöhnt. Wir arbeiten sowieso nur noch mit Mund-Nasen-Schutz, FFP2-Masken, Face Shields, Kittel, und so weiter. Schließlich müssen wir bei jedem Patienten mit den entsprechenden Symptomen davon ausgehen, dass er Covid-positiv sein könnte. Um uns und andere Patienten zu schützen, vermummen wir uns. Der Aufwand, was die Hygienemaßnahmen und das ganze Umziehen angeht, hat deutlich zugenommen. Das ist auch für uns sehr anstrengend.
Eine Maske für eine gewisse Zeit aufzuziehen, das kann jeder leisten und da gibt es für mich auch keine Diskussion, ob man das aushält oder nicht.
Man muss aber auch dazu sagen, dass die Uniklinik Essen die erste Anlaufstelle für viele Covid-19-Patienten ist. Da gibt es im Umfeld keine vergleichbaren Krankenhäuser, weil alle zu uns verlegt werden. Aber ich beschreibe in dem Post ja auch nicht den Alltag in anderen Krankenhäusern, sondern meinen eigenen Alltag in der Notaufnahme des Uniklinikums. Und da ist es so, dass wir immer mehr Patienten mit Covid-19 bekommen.
Also der Anstieg ist spürbar?
Genau. Wir erleben einen Anstieg. Der verläuft zwar nicht linear, aber die Kurve geht auf jeden Fall nach oben.
Angenommen, Sie kommen nach einer langen Schicht aus dem Krankenhaus und kriegen mit, wie sich jemand darüber beschwert, dass er beim Einkaufen eine Maske tragen muss. Was würden Sie ihm entgegnen?
Da entgegne ich gar nichts mehr. Das lohnt sich nicht. Für uns ist das Maskentragen sowieso total normal. Jeder Chirurg, der operiert, setzt auch nicht mitten in der OP die Maske ab. Eine Maske für eine gewisse Zeit aufzuziehen, beispielsweise zum Einkaufen – das kann jeder leisten und da gibt es für mich auch keine Diskussion, ob man das aushält oder nicht.
Was ich auch nicht erwartet habe, war der Shitstorm und die persönlichen Hassangriffe und Beleidigungen unter der Gürtellinie.
Wie waren denn die Reaktionen auf Ihren Facebook-Post?
Sehr gemischt. Einerseits haben Leute gelobt, dass das endlich mal jemand so deutlich formuliert und die Leute aufweckt. Das war ja auch meine Intention. Generell poste ich nie etwas geplant, sondern immer Dinge, die mich in dem Moment beschäftigen. Ich habe allerdings nicht damit gerechnet, dass der Post so einen Nerv treffen wird.
Was ich auch nicht erwartet habe, war der Shitstorm und die persönlichen Hassangriffe und Beleidigungen unter der Gürtellinie. Mir war vorher in dem Ausmaß nicht klar, was im Internet alles so abgehen kann. In dem Sinne kann ich Herrn Drosten und all den anderen, die in der Covid-Pandemie Stellung bezogen haben, noch einmal meinen höchsten Respekt aussprechen – weil sie sicherlich auch viele schlimme Kommentare ertragen mussten.
Wie sind Sie denn mit diesen schlimmen Kommentaren umgegangen?
Wenn man einen Post absetzt, verfolgt und kommentiert man noch die ersten 100 Kommentare. Ich habe mir grundsätzlich abgewöhnt, Gegenkommentare zu kommentieren, denn damit gießt man nur Öl ins Feuer. Und wie sagt man aktuell so schön: „Don’t feed the troll.“ Hinzu kommt: Wer streitet und diskutiert, braucht Energie. Und ich habe keine Energie für Leute, die es nicht wert sind, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt. Ich stecke meine Energie lieber in die Behandlung meiner Patienten.
Sie schreiben in ihren Beitrag auch: „Die zweite Welle kommt nicht. Sie ist da.“ Was muss Ihrer Meinung nach jetzt passieren?
Wenn wir jetzt einfach mal retrospektiv schauen und uns wieder in den März begeben, sehen wir, dass wir jetzt schon am Peak der Zahlen sind, die wir damals hatten. Gleichzeitig sieht man, dass immer mehr Risikostädte in Deutschland aufpoppen, weil die Zahlen über die 50 Inzidenzen gehen.
Ich bin auch nicht unbedingt dafür, dass wir uns alle wieder sozial isolieren und einen großen Lockdown machen. Ich glaube aber trotzdem, dass es vernünftige Hygienekonzepte geben muss, um ein normales Leben weiterzuführen. Dennoch sollte man von jedem Einzelnen erwarten dürfen, dass er Situationen vermeidet, in denen sich viele Leute anstecken können. Also Großveranstaltungen oder Feiern mit einer gewissen Anzahl an Leuten, etwa wie die Hochzeit in Hamm. Da hatten sich 180 Leute angesteckt, die dann ja wahrscheinlich wiederum andere angesteckt haben.
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Auch andere Medikamente, in die große Hoffnungen gesetzt worden waren, seien wirkungslos, so eine unveröffentlichte WHO-Studie.
© Quelle: Reuters
Wenn wir also weiterhin mit guter Laune die Maske aufbehalten, dann ist das auch mit Blick auf die Grippe sinnvoll, die jetzt auch auf uns zukommt. Und wenn wir uns dann noch weiterhin die Hände waschen, desinfizieren, Abstand halten und das Social Distancing ernst nehmen, dann kann auch das Konzept so funktionieren, dass man auch mal ins Restaurant gehen kann, wenn man sich mit wenigen Leuten an einen Tisch setzt. Und ich kann nur appellieren: Wer Symptome hat, sollte bitte zu Hause bleiben.
Was würden Sie den Leuten noch gerne mitgeben?
Ich lasse mich von diesem Hass im Netz nicht entmutigen. Denn ich sehe ja täglich die Patienten, ich bilde sie mir nicht ein. Ich habe im Facebook-Post auch gesagt: Jeder Schwerkranke ist einer zu viel. Und wenn wir Maßnahmen haben, die wir erfolgreich gegen eine Krankheit einsetzen und dadurch vielleicht eine Erkrankung verhindern können – dann ist es mir ganz wichtig, darauf hinzuweisen. Jeder kann dazu beitragen, dass vielleicht ein Patient weniger infiziert oder krank wird. Und dann haben wir schon etwas gewonnen.