Impfen, Kinder, Virusursprung: sechs Punkte, in denen die Macher von #allesaufdentisch irren
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Bei der Aktion #allesaufdentisch diskutieren Kunstschaffende und Schauspielerinnen und Schauspieler mit Expertinnen und Experten über die aktuelle Corona-Lage.
© Quelle: allesaufdentisch.tv
Mit „Videos für alle Fakten“ ist die Kampagne #allesaufdentisch an den Start gegangen. Dort sprechen Schauspielerinnen und Schauspieler, darunter beispielsweise Volker Bruch, Wotan Wilke Möhring und Miriam Stein, mit Expertinnen und Experten zu verschiedenen Corona-Themen. Diese seien in der öffentlichen Debatte bislang nicht gehört worden. Man wünsche sich einen breit gefächerten, faktenbasierten, offenen und sachlichen Diskurs – und einen regelmäßig stattfindenden Runden Tisch für das Corona-Krisenmanagement.
Problematisch ist dabei, dass viele der Interviewten verkürzte Ansichten statt wissenschaftlichen Konsens wiedergeben. Teilweise wurden die Beiträge von teilnehmenden Expertinnen und Experten auch selbst als Privatmeinung gekennzeichnet. Deshalb haben wir einige Beiträge zu medizinischen Themen wie Impfung, Medikamente und Virusursprung durchgehört – und mit dem Forschungsstand abgeglichen.
<b>Behauptung 1</b>
Das Coronavirus sei künstlich und stamme „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus einem Labor“.
Wer es sagt: Prof. Martin Haditsch, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie im österreichischen Leonding, im Gespräch mit Schauspielerin Philine Conrad
Einordnung: Es ist keinesfalls sicher, dass Sars-CoV-2 künstlich hergestellt wurde und aus einem Labor stammt. Harte Fakten zum Ursprung der Pandemie gibt es bislang nicht. Deshalb sammeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Hinweise für verschiedene Szenarien. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Mehrheit der Forschenden hält gegenwärtig eine Zoonose, also einen Kontakt zwischen Tier und Mensch, als Pandemieursprung für wahrscheinlich. Wegen fehlender Beweise kann aber auch ein Laborunfall nicht ausgeschlossen werden, die These wird ebenfalls überprüft. Dass das Virus bewusst künstlich hergestellt wurde, erachtet der letzte Bericht eines internationalen Forschungsteams der WHO zum Thema für wenig plausibel.
<b>Behauptung 2</b>
Die Impfstoffe sind auf der Basis des Ursprungsvirus aus Wuhan entwickelt worden. Die Immunisierung dagegen nütze deshalb nichts mehr, weil sich neue Virusvarianten wie Alpha und nun Delta ausgebreitet haben. Man müsse davon ausgehen, dass all diejenigen, die geimpft sind, das Virus nach zwei Monaten wieder so verbreiten wie diejenigen, die ungeimpft sind.
Wer es sagt: Prof. Stephan Luckhaus, Mathematisches Institut der Universität Leipzig, der Ende 2020 aus Protest gegen die Corona-Politik aus der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina austrat. Er sprach in der Kampagne mit Schauspieler Jakob Heymann.
Einordnung: Es stimmt, dass die Impfstoffe durch neue Virusvarianten weniger wirksam darin sind, Infektionen zu verhindern, als anfangs gedacht. Auch Geimpfte können sich noch mit Sars-CoV-2 anstecken, wie Impfdurchbrüche zeigen. Mehrere Studien haben zudem gezeigt, dass die Viruslast bei mit der Delta-Variante infizierten Geimpften ähnlich hoch ausfällt wie bei Ungeimpften. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Geimpfte auch ähnlich viele ansteckungsfähige Viren an Ungeimpfte weitergeben können. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Viruslast bei Geimpften früher als bei Nichtgeimpften wieder abnimmt. Dadurch sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, andere anzustecken.
Eine Impfung schützt bei den neuen Virusvarianten auch weiterhin vor der Krankheit Covid-19, einem schweren Verlauf mit Todesfolge. Das haben Studien der Impfstoffhersteller gezeigt – und das bestätigen auch die Beobachtungen zu Impfdurchbrüchen durch die Gesundheitsbehörden weltweit. Selbst wenn die bei erneutem Viruskontakt noch vorhandenen Antikörperspiegel nicht ausreichend hoch sind, um eine Infektion komplett zu verhindern, könne die Gedächtnisantwort des Immunsystems dafür sorgen, dass schwere Krankheitsverläufe verhindert werden, betont auch die Gesellschaft für Virologie.
Es gibt aber auch Menschen, bei denen die vollständige Impfung nicht ausreichend schützt: Patientinnen und Patienten mit geschwächtem Immunsystem etwa oder Menschen, die immunsuppressive Medikamente einnehmen. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt ihnen deshalb eine Auffrischungsimpfung.
<b>Behauptung 3</b>
Den Menschen werde suggeriert, dass es keine alternativen Behandlungsmöglichkeiten zur Impfung gibt. Es stünden gute Therapien gegen Covid-19 zur Verfügung. In der medizinischen Praxis gebe es beispielsweise gute Erfahrungen mit antiviralen Antikörpern und oralen Therapien wie dem Arzneistoff Ivermectin.
Wer es sagt: Prof. Peter McCullough, US-amerikanischer Kardiologe, im Gespräch mit Schauspieler Sean Stone
Einordnung: Die Aussage widerspricht offiziellen Behandlungsstandards. Zugelassen und nachgewiesenermaßen wirksam in einem späten Stadium der Erkrankung ist nur Dexamethason. Verschiedene antivirale Antikörper können zwar in Einzelfällen per Infusion in Kliniken verabreicht werden, allerdings nur zu einem sehr frühen Stadium der Krankheit. Der Verlauf von Covid-19 kann dann abgeschwächt, aber medikamentös nicht verhindert werden. Deshalb setzen Fachleute auf die Impfung als Prophylaxe.
Problematisch ist auch der Einsatz von Ivermectin. Es stimmt zwar, dass eine Reihe kleinerer Studien erste Hinweise darauf geben, dass es damit weniger Symptome und eine schnellere Genesung geben könnte. Auch am Tiermodell wurden entzündungshemmende Effekte festgestellt. Aber der Aufbau der Untersuchungen war teilweise von schlechter Qualität und es gab nur wenige Teilnehmende. Ivermectin ist weder in den USA noch in Deutschland zur Vorbeugung oder Therapie von Covid-19 zugelassen – auch Fachgesellschaften sprechen sich bislang dagegen aus.
Ein Einsatz von Ivermectin außerhalb von Studien kann gefährlich sein. In den USA haben sich beispielsweise viele Menschen mit dem Wirkstoff versetzte Medikamente gekauft, die eigentlich zur Behandlung von Pferden, Schafen und Rindern mit Wurmerkrankungen vorgesehen sind. Weil die Mittel in vielen Fällen viel zu hoch dosiert waren, kam es statt positiver Effekte zu einer gefährlichen Überdosierung. Die US-Gesundheitsbehörde FDA berichtet von Patientinnen und Patienten, bei denen es zu Vergiftungen, Zitteranfällen und Halluzinationen gekommen ist. Betroffene mussten mehrere Tage im Krankenhaus behandelt werden.
<b>Behauptung 4</b>
Covid-19 ist für Kinder so ähnlich wie eine Grippe.
Wer es sagt: Prof. Reinhold Kerbl, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, im Gespräch mit Filmregisseurin Patricia Marchart
Einordnung: Die Grippe und Covid-19 ähneln sich nur in Teilen in der Symptomatik. Beide Krankheiten gehen häufig mit Husten, Schnupfen und Fieber einher. Die Stiko wies in ihrer Impfempfehlung für Zwölf- bis 17-Jährige von Mitte August jedoch darauf hin, dass Kinder in seltenen Fällen Krankheiten wie das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome, kurz Pims, entwickeln können, wenn sie sich mit dem Coronavirus infizieren. Dieses tritt in Zusammenhang mit der Grippe nicht auf. Auch Herzmuskelentzündungen wurden in Zusammenhang mit einer Corona-Infektion diagnostiziert.
Große Unsicherheiten bestehen hinsichtlich möglicher Corona-Spätfolgen, besser bekannt als Long Covid. Noch sei „nicht qualifizierbar“, in welchem Ausmaß diese Folgeerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen auftreten, teilte die Stiko mit. „Die Datenlage zu Corona-Spätfolgen bei Kindern ist nach wie vor unzureichend“, sagte auch Prof. Tobias Tenenbaum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, im RND-Interview. Er verwies auf Studien, wonach 10 bis 15 Prozent der untersuchten Kinder noch bis zu drei Monate nach einer Corona-Infektion unter andauernden Symptomen gelitten haben.
<b>Behauptung 5</b>
In großen und hohen Räumen besteht keine Ansteckungsgefahr.
Wer es sagt: Prof. Dieter Köhler, Facharzt für innere Medizin, Pneumologie und Allergologie, sprach mit Musikerin Emily Intsiful
Einordnung: Tatsächlich spielen bei der Ansteckungsgefahr in Innenräumen mehrere Faktoren eine Rolle – etwa die Anzahl der infizierten Personen, die sich darin aufhalten, oder die Aufenthaltsdauer. Aerosole sind ein Gemisch aus mikrometergroßen festen oder flüssigen Partikel in einem Gas. Solche Partikel werden etwa beim Ausatmen in die Raumluft abgegeben. Sie sinken nicht sofort zu Boden, sondern werden von der Luft getragen und können deshalb stundenlang im Raum schweben.
Atmet eine infizierte Person aus, setzt sie dabei diese potenziell mit Viren beladenen Aerosolpartikel frei. Die Menge der ausgeatmeten Aerosolpartikel hängt von der Aktivität der Person ab. Beim Atmen werden beispielsweise weniger Aerosolpartikel ausgestoßen als beim Singen. Wie viele Viren sich auf einem Aerosolpartikel befinden, ist wissenschaftlich wiederum noch nicht geklärt. „Die Mediziner gehen derzeit davon aus, dass etwa jedes zehnte Aerosol ein Virus trägt“, heißt es auf der Internetseite des Hermann-Rietschel-Instituts (HRI) der TU Berlin. „Es gibt jedoch auch Schätzungen, die besagen, dass jedes Aerosol ein Virus trägt.“
Die Bewegung der Aerosole im Raum lässt sich im Vorfeld nicht vorhersagen. Werden sie ausgeatmet, strömen sie jedoch zunächst einmal aufgrund der Luftbewegung, die durch den Menschen als Wärmequelle erzeugt wird, nach oben in Richtung Decke. Danach verteilen sie sich unvorhersehbar im Raum. Je mehr Menschen sich in einem Raum befinden, desto schneller können sich die Partikel ausbreiten, weil die Luftbewegung zunimmt.
Es gilt ferner: Je größer ein Raum ist, desto niedriger ist grundsätzlich das Infektionsrisiko. Wird jedoch keine oder kaum Frischluft von außen zugeführt und ist die Aufenthaltsdauer zu lang, ist es auch möglich, sich in großen Räumlichkeiten mit dem Coronavirus zu infizieren. Das HRI hat hierzu ein Onlinetool entwickelt, mit dem das Infektionsrisiko durch Aerosole ermittelt werden kann.
<b>Behauptung 6</b>
Kinder brauchen keine Corona-Impfung.
Wer es sagt: Steffen Rabe, Kinderarzt, im Gespräch mit Songwriterin Alexa Rodrian
Einordnung: Das gilt so nicht pauschal für alle Kinder, sondern hängt auch vom Alter ab und den persönlichen Risikofaktoren und Vorerkrankungen. Infizieren sich Kinder mit dem Coronavirus, zeigen sie in den meisten Fällen einen asymptomatischen oder milden Krankheitsverlauf. Allerdings können sie unter Umständen auch schwer erkranken. In den Zulassungsstudien konnten die Corona-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna, die die Ständige Impfkommission (Stiko) für die Impfung von Kindern und Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren empfiehlt, eine hohe Wirksamkeit erzielen. Wie effektiv sie gegen schwere Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte und Todesfolge sind, ist hingegen noch unklar.
Grund dafür ist, dass es in den Placebogruppen der Studien, die keinen Wirkstoff erhalten hatten, sondern ein Placebopräparat, kaum Fälle gegeben hat, die zum Vergleich herangezogen werden konnten. Expertinnen und Experten gehen jedoch davon aus, dass die Impfstoffe ähnlich wirksam gegen schwere Verläufe sind wie bei den Erwachsenen. Die Daten aus den Zulassungsstudien und der Impfkampagne in den USA zeigen zudem, dass die beiden Impfstoffe sicher sind und kaum Nebenwirkungen verursachen.
Eine Impfung würde den Kindern und Jugendlichen in jedem Fall einen individuellen Schutz bieten. Verpflichtet zu einer Impfung sind sie nicht. Vor allem bei Kindern mit Vorerkrankungen, die ein hohes Risiko für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf haben, überwiege jedoch der Nutzen einer Impfung, heißt es vonseiten der Stiko. Außerdem könne eine hohe Impfquote in der Altersgruppe der Zwölf- bis 17-Jährigen dazu beitragen, die Krankheitslast von ungeimpften Kindern und Jugendlichen zu reduzieren.
Für den Verlauf des Infektionsgeschehens spielen die Kinderimpfungen allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Einfluss nehmen könnte vielmehr eine hohe Impfquote bei den über 18-Jährigen. Deshalb hatte auch Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Anfang August im RND-Interview gefordert: „Wenn wir etwas für die Kinder tun wollen, dann sollten wir nicht fordern, dass diese sich impfen lassen, sondern dann sollten wir uns selbst impfen lassen.“