Bundesdrogenbeauftragte: “Glücksspielsucht verlagert sich jetzt ins Internet”

Daniela Ludwig (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, während der Vorstellung des Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung im November 2019.

Daniela Ludwig (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, während der Vorstellung des Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung im November 2019.

Die Corona-Pandemie hat in allen Lebensbereichen für massive Einschränkungen gesorgt: Wochenlang galten bundesweit strenge Kontaktbeschränkungen, der Einzelhandel stand still, die Innenstädte waren verwaist. Die prekäre Situation von Obdachlosen wurde vielerorts prekärer, vor allem für schwer drogenabhängige Menschen. Wie die Lage etwas entschärft werden konnte, was die Schließung sämtlicher Spielhallen und Wettbüros bedeutet und welche familiären Probleme noch gar nicht ausgewertet werden konnten – darüber spricht die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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Frau Ludwig, Sie haben recht schnell auf den Hilferuf von Verbänden wie der Aidshilfe Ende März reagiert und dafür gesorgt, die Situation für Schwerstabhängige zu entschärfen, indem Sie etwa die Bedingungen für substitutionsgestützte Behandlungen erleichtert haben – also für diejenigen, die in Methadonbehandlung sind. Welche Bereiche haben sich in dieser Pandemie als ähnlich kritisch herausgestellt?

Für die Situation der Drogenkonsumierenden, die auf der Straße leben, gab es in der strengen Phase der Corona-Pandemie einen dringenden Handlungsbedarf, das liegt in der Natur der Sache: Schwerstabhängige, die nicht zum Arzt gehen können, die keine Beratung wahrnehmen können, weil alles vorübergehend geschlossen werden musste – für die waren die Probleme äußerst dringend, die wir in Teilen abfedern konnten. Zum Beispiel dürfen substituierende Ärzte während der Corona-Pandemie jetzt ausnahmsweise Rezepte für einen längeren Zeitraum und auch ohne persönliche Konsultation ausstellen.

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Was mir aber größere Sorgen bereitet, ist der Bereich Glücksspiel: Alle Spielhallen sind derzeit geschlossen – alles verlagert sich zu Hause in den Onlinebereich. Hinzu kommt, dass Onlineglücksspiel gerade verstärkt beworben wird, vor allem die Werbung im Fernsehen und Radio hat offenbar exponentiell zugenommen. Ich habe bereits vor zwei Wochen einige Sender dahingehend angeschrieben und erwartet, dass diese entsprechend einschreiten. Bis heute habe ich keine Antwort erhalten, da will ich den Druck noch erhöhen, das Thema liegt auf Wiedervorlage. Diese prekäre Situation auszunutzen – gar nicht mal bei Süchtigen, sondern auch bei Jugendlichen – das ist etwas, wofür ich persönlich kein Verständnis habe.

Bei Kindern und Jugendlichen gibt es offenbar auch Probleme, die sich durch die Corona-Maßnahmen noch verstärken, haben Sie da Rückmeldungen zu?

Kinder in suchtbelasteten Familien sind neben den Themen Substitution und Onlineglücksspiel gerade das dritte dringende Problem für mich. Und sie sind auch ein Grund dafür, dass versucht wird, zeitnah wieder in einen halbwegs geregelten Schul- und Kitabetrieb zurückzukehren. Bedingt durch den Lockdown und die Kontaktbeschränkungen hatten wir in den vergangenen Wochen kaum Möglichkeiten, an betroffene Kinder heranzukommen. Es ist sicherlich nicht repräsentativ, aber es gibt Lehrer in Berlin, die mir mitteilen, sie erreichten 30 Prozent aller Eltern seit Wochen nicht mehr. Niemand weiß, was in diesen Familien los ist. Das müssen wir im Nachhinein sehr genau aufarbeiten und sensibel hinschauen: Wie verhalten sich die Kinder?

In suchtbelasteten Familien spielt häufig Alkohol eine größere Rolle. Gibt es da schon Erkenntnisse, wie sich die Krise auf den Konsum auswirkt?

Erhebungen und Statistiken dazu gibt es bislang nicht, dafür ist auch die Zeitspanne zu kurz. Die mittel- und langfristigen Folgen sind jetzt noch nicht abzusehen. Sicher aber ist es so, dass in Familien, in denen Alkohol schon vorher eine Rolle gespielt hat, ein Jobverlust die Situation jetzt womöglich noch verschärft. Was wir wissen, ist, dass die Verkaufszahlen von Alkohol gestiegen sind. Das muss aber kein Hinweis darauf sein, dass auch der Alkoholkonsum gestiegen ist – schließlich fällt der Konsum in Bars und Restaurant seit den Schließungen Mitte März weg. Die Verkaufswege von Alkohol haben sich also vielleicht nur verlagert.

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Abseits der Pandemie, welche Probleme hatten Sie als Bundesdrogenbeauftragte eigentlich als die größten bewertet? Haben sich Prioritäten durch die Corona-Pandemie auch grundsätzlich verschoben?

Nachdem ich im September 2019 zur Drogenbeauftragten der Bundesregierung ernannt worden bin, habe ich den Fokus vor allem auf sogenannte Partydrogen gelegt – die werden immer gefährlicher in der Mischung und immer günstiger im Erwerb. Nun sind Partys vorerst kein Thema mehr, es geht akut darum, die Suchthilfen vor Ort aufrecht zu erhalten. Substitution war ebenfalls auf meiner Themenliste oben, hat sich aber nun noch mehr bestätigt. Gerade die Krise birgt die Chance, mehr Schwerstabhängige in die Substitution zu bringen – da ist das Feedback von der Drogenhilfe Berlin etwa durchaus positiv. Mehr Menschen zeigten Interesse, von den Drogen wegzukommen. Wenn etwas an dieser Krise positiv ist, dann das.

Was gerade eher unter dem Radar läuft, ist die Frage nach der Legalisierung von Cannabis. Das wird ein Thema bleiben. Für den Moment hatte ich mich dahingehend festgelegt, dass die Argumente für eine Legalisierung nicht ausreichen. Es würde ein falsches Signal setzen an Jugendliche, hinzu kommt der unübersichtliche Schwarzmarkt. Nicht alle Länder, die Cannabis legalisiert haben, sind gänzlich glücklich damit. Ein Besuch zu dem Thema in den Niederlanden im März musste wegen Corona verschoben werden. Aber ich bleibe dran an dem Thema.

Welche konkreten Erkenntnisse nehmen Sie aus der Krise für die Zukunft mit?

Die Praxis jetzt zeigt, dass das Thema Substitution für Schwerstabhängige drängender ist als das der synthetischen Drogen. Wir müssen jetzt abwarten, wie sich die coronabedingten Erleichterung im Bereich Substitution auswirken, da durchlaufen wir gerade eine ungeplante Testphase. Aber auch Naloxon wird ein Thema bleiben. Naloxon ist ein Mittel für Notfälle, das Wirkungen, die durch Opiate und Opioide verursacht werden, teilweise oder ganz aufhebt. Es kann wie ein Nasenspray verabreicht werden. Ein Modellprojekt dazu in Bayern läuft demnächst aus, dann folgen Auswertungen und Überlegungen, wie man das in die Fläche tragen kann.

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