Wie die Pandemie Freundschaften verändert

Viele nutzen die Lockerungen, um sich endlich wieder mit Freundinnen und Freunden zu treffen.

Viele nutzen die Lockerungen, um sich endlich wieder mit Freundinnen und Freunden zu treffen.

Hannover. Es war ein etwas merkwürdiger Abend, so ganz anders als erwartet: Endlich war der Termin für das Treffen mit den Freun­dinnen gefunden. Monatelang war es pandemiebedingt nicht erlaubt gewesen, in größerer Runde zusammenzusitzen. Und jetzt? Jetzt war es zwar möglich, aber irgendwie wollte sich die alte Vertraut- und Entspanntheit nicht so recht einstellen.

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Es fühlte sich an, als wären die Beziehungen irgendwie abgekühlt – trotz der vielen Telefonate in den vergangenen Monaten, trotz der Kontakte in den sozialen Medien. War die eine immer schon so selbstbezogen? Hatte die andere immer schon so entnervend viel über ihren Chef geredet? Oder reagiert man selbst nach Monaten der Zurückgezogenheit viel­leicht überempfindlich?

Wie stabil sind manche Freundschaften?

Auf jeden Fall hinterließ der Abend ein unangenehmes Gefühl – und warf die Frage auf, wie stabil und wichtig diese Freundschaften eigentlich sind.

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Ähnliche Erfahrungen sammeln derzeit viele Menschen, und nicht wenige machen sich Gedanken darüber, wie es um ihre Freundschaften bestellt ist. Freundschaften seien vielleicht die Beziehungsform, die sich am stärksten durch die Distan­zierungs­maß­nahmen während der Corona-Pandemie verändert habe, sagt die Soziologin Barbara Rothmüller, die die Studie „Intimität, Sexualität und Solidarität in der Covid-19-Pandemie“ an der Wiener Sigmund-Freud-Privatuniversität leitet.

„Sehr viele Menschen haben sich auf eine geringe Anzahl wichtiger Freundinnen und Freunde konzen­triert und den Kontakt zu Vertrauenspersonen verloren, weil gemeinsames Freizeitprogramm nicht möglich war, aber auch, weil man sich über die Pandemie­maßnahmen zerstritten hat.“ Dazu komme bei vielen die Enttäuschung, „dass sich manche nicht um einen gekümmert haben in der Zeit der Pandemiekrise oder ungern digitale Medien nutzen, um in Kontakt zu bleiben“.

Freundschaften haben hohen Stellenwert

Grundsätzlich haben Freundschaften für die meisten einen hohen Stellenwert: Knapp 90 Prozent der Deutschen über 14 Jahren halten es laut einer Befragung des Onlineportals Statista für wichtig und erstrebenswert, gute Freunde beziehungsweise enge Beziehungen zu anderen Menschen zu haben. Für rund 10 Prozent der Menschen ist der Freundeskreis sogar die wichtigste Gruppe, sagt Janosch Schobin, der an der Universität Kassel zur Soziologie der Freundschaft forscht.

2011 hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen einen Tag der Freundschaft ins Leben gerufen: Jeweils am 30. Juli eines Jahres soll an die Bedeutung der Freundschaft zwischen Ländern, Kulturen und Personen erinnert werden.

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Freundesnetzwerke sind dynamisch

Die meisten Männer und Frauen haben neben Bekannten und Kollegen einige wenige gute Freunde, und vielleicht existiert sogar ein bester Freund oder eine beste Freundin, die man seit Langem, möglicherweise schon seit der Schulzeit kennt. Laut Schobin sind Freundesnetzwerke jedoch relativ dynamisch: Ändert sich die Lebenssituation, ändert sich oft auch der Freundeskreis – etwa, wenn ein Paar Eltern wird, nach einem Umzug in eine andere Stadt, nach einer Scheidung. Die Pandemie, sagt der Soziologe, sei „für alle Menschen ein Lebensumbruch, und Corona hat neue und unterschiedliche Bedürfnisse geweckt. Es wirke nach, wenn jemand während der Pandemie das Gefühl hatte, von Freunden nicht die erhoffte Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten zu haben, sagt auch Schobin. Manchmal werden Freundschaften eher durch Gewohnheiten zusammengehalten. Und wenn sich Gewohnheiten, wie in den vergangenen Monaten, zwangsläufig ändern, verliert man sich schon mal aus den Augen.

Die Entfremdung zwischen Freunden kommt nach Rothmüllers Einschätzung auch daher, dass Menschen die Corona-Krise sehr unterschiedlich erlebt hätten. „Ich denke, dass die Brüche, die sich pandemiebedingt durch die Gesellschaft und auch Freundschaften ziehen, erst verarbeitet werden müssen. Wenn sich Freundinnen oder Freunde während der Pandemie darüber gestritten haben, wer ‚hysterisch‘ oder ‚unverantwortlich‘ bezogen auf die Pandemie­maßnahmen agiert, wer vor Langeweile und Einsamkeit kaum mehr aus dem Bett kommt oder umgekehrt nicht mehr weiß, wie Kinderbetreuung, Homeoffice und anderes noch bewältigt werden sollen, hat das Spuren in der Freundschaft hinterlassen.“

Freundschaften sind komplexe Beziehungen

Vielleicht werden solche Risse totgeschwiegen, vielleicht führen sie zum Bruch und vielleicht dazu, sich auseinanderzusetzen und wieder zusammenzuraufen. Freundschaften sind komplexe Beziehungen. Zwar teilen Freunde und Freundinnen oft dieselben Werte und Einstellungen, aber das ist kein Garant für Dauerharmonie – und schon gar nicht für ein ausgegli­chenes Verhältnis. Nahezu immer sei der eine dem anderen wichtiger als umgekehrt, meint Schobin.

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Ausstellung zeigt Künstlerfreundschaft

Das kann zu Verletzungen und Eifersucht führen. Nicht selten konkurrieren Freunde und Freundinnen, wenn auch meist unausgesprochen oder eingestanden, miteinander – zum Beispiel, wenn es um beruflichen Erfolg geht, zumal, wenn diejenigen in derselben Branche tätig sind. Besonders deutlich ist das in manchen Künstlerfreundschaften. Die Kunsthalle Bremen bereitet gerade die Ausstellung „Manet und Astruc“ vor, die am 23. Oktober eröffnet wird. Als junge Männer hatten der Maler Edouard Manet und Zacharie Astruc, der zu dem Zeitpunkt als Kunstkritiker tätig war, ein enges Verhältnis, erzählt Kuratorin Dorothee Hansen. Man unterstützte sich gegenseitig: Der Autor und Kritiker verteidigte den Maler gegen Angriffe auf dessen Werke, und Manet porträtierte seinen Freund. „Beide liebten die moderne Malerei und hatten eine ähnliche Sicht auf die Kunst und Welt“, so Hansen. Als Manet immer berühmter wurde und Astruc selbst als Maler und Bildhauer an die Öffentlichkeit ging, wurde der Kontakt sporadischer.

Solch eine Entwicklung ist – selbst wenn es in diesem Beispiel um einen berühmten Maler und einen heute nahezu vergessenen Autor geht – durchaus exemplarisch: Nicht jede Freundschaft verträgt es, wenn gewohnte Lebens- und Einkommensverhältnisse oder moralische und politische Einstellungen auseinanderdriften. In modernen Gesellschaften, sagt Schobin, sei der Anteil der „kündbaren Beziehungen“ hoch. Menschen sind nicht mehr zwangsläufig in Familienverbänden gebunden und können sich Partner und Freunde selbst auswählen. Dass sich familiäre Beziehungen gelockert haben, mag mancher als bedauerlich empfinden, und eine Entfremdung zwischen Freunden und Freundinnen tut manchmal weh. Doch gibt die „Kündbarkeit“, gerade in Freundschaften, die Freiheit, sich von Menschen zu lösen, mit denen man partout nicht mehr auf einer Wellenlänge liegt.

Einige Menschen leiden unter Sozialstress

Im Moment wollen manche Menschen einfach das Ende vieler pandemiebedingter Einschränkungen genießen und mög­lichst viel mit anderen unternehmen. Andere dagegen hätten in der Pandemie entdeckt, dass sie eigentlich ganz froh seien, wenn sie nicht so viele Sozialkontakte haben müssten, sagt Barbara Rothmüller: „Die leiden eher darunter, dass jetzt wieder der Sozialstress losgeht.“ Doch viele schauen auch mit einem etwas anderen Blick auf ihren Alltag und ihren Konsum – und sie ordnen ihre Beziehungen. Freundeskreise organisierten sich jetzt neu, glaubt Soziologe Schobin.

Manche Beziehung hat sich auch vertieft

In der Wiener Studie über menschliche Nähe in der Pandemie haben die Befragten angegeben, „dass sie nun wissen, wer ihnen wirklich wichtig ist, und diese Vertrauensbeziehungen zu schätzen gelernt haben“, sagt Rothmüller. Zudem könne man sehen, dass freundschaftliche Beziehungen, Umarmungen und Kontakt in der Pandemie sehr stark vermisst wurden und sehr wichtig waren für das psychosoziale Wohlbefinden von Menschen. Außerdem betont die Soziologin: „Die übrig gebliebenen, engen Freundschaften haben sich häufig über den Winter vertieft.“

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Und, natürlich, gibt es auch Freundschaften, in denen sich in den vergangenen anderthalb Jahren nichts geändert hat.

Die Vorstellung allerdings, dass eine Freundschaft immer eine Verbindung zweier Seelenverwandter sein muss, ist im Grunde eine Idealvorstellung, die die meisten Freundschaften überfordert. Aber eine Verbindung, in der man sich gegen­seitig auch in schwierigen Zeiten hilft, sollte es schon sein.

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