Wenn zuhause gar nichts mehr geht: Was verbirgt sich hinter dem Müttergenesungswerk?
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Auch Mütter können durch Stress im Alltag kurz vor dem Burn-Out stehen.
© Quelle: Christin Klose/dpa-tmn
Fast alle Mütter kommen irgendwann mal an ihre Grenzen. Doch was, wenn die Woche nur noch aus harten Tagen besteht, wenn man nicht mehr schlafen kann, Schmerzen hat, kurz vor dem Burn-out steht? Wenn sich das Leben anfühlt, als sei man in einem Hamsterrad gefangen? Dann gibt es die wunderbare Möglichkeit, eine Mutter-Kind-Kur zu beantragen. An wen sich dieses Angebot richtet, was man genau in so einer Kur macht und wie man sie bewilligt bekommt, erzählt Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerkes.
Was genau ist das Müttergenesungswerk?
Wir sind eine gemeinnützige Stiftung, die 1950 von Elly Heuss-Knapp, einer Sozialpolitikerin und Frau des ersten Bundespräsidenten, gegründet wurde. Sie hat sich schon immer für Frauenrechte eingesetzt und wollte erreichen, dass Mütter einen Anspruch auf Kur haben. Unter dem Dach des Müttergenesungswerkes arbeiten fünf Wohlfahrtsverbände zusammen mit bundesweit etwa 1300 Stellen für Kurberatung. Im Jahr beraten sie ca. 130.000 Frauen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen, rund 50.000 machen dann eine Kurmaßnahme.
Wie werden Mütter beraten und welche Beschwerden haben die Frauen?
Wir fragen die Mütter natürlich danach, wie es ihnen geht. In welchen Lebensumständen sie sich befinden, welche Beschwerden und Belastungen sie haben. Am häufigsten geben die Frauen an, unter Zeitdruck, mangelnder Anerkennung, dem Druck der Vereinbarkeit, finanzieller Belastung und Partnerschaftsproblemen zu leiden. Je nach Lebenssituation wählen die Beratungsstellen gemeinsam mit den Frauen die richtige Klinik aus. Die vom Müttergenesungswerk anerkannten Kliniken arbeiten nach einem gemeinsamen Qualitätsprofil: Wir haben einen ganzheitlichen und mütterspezifischen Ansatz, behandeln also nicht nur einzelne Symptome, sondern die ganze Frau.
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Welche Frauen kommen zu Ihnen?
90 Prozent sind zwischen 25 Und 45 Jahren alt und sind in der aktiven Mutterrolle. 86 Prozent von ihnen haben Erschöpfungszustände bis zum Burn-out mit Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, 39 Prozent haben Muskel-oder Gelenkerkrankungen wie Rückenschmerzen, aber auch Frauen mit Allergien, Über-oder Untergewicht. Außerdem Frauen mit kranken oder behinderten Kindern.
Wer hat überhaupt Anspruch auf eine Kur?
Jede Mutter mit Kindern unter 18 Jahren im Haushalt hat alle vier Jahre Anspruch auf eine dreiwöchige Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme (Kur), wenn ein Arzt/Ärztin dies attestiert. Diese drei Wochen werden bei berufstätigen Müttern nicht vom Urlaub abgezogen, sondern sind eine medizinische Maßnahme wie ein Krankenhausaufenthalt. Frauen mit behinderten Kindern haben auch nach deren 18. Lebensjahr Anspruch auf eine Kur. Und auch wichtig: Der Chef auf der Arbeit kann sich nicht gegen eine Kur stellen, sondern muss die Frau dafür freistellen.
Wie stelle ich einen Antrag?
Die Beratungsstellen helfen Müttern beim Antragsstellen, Kliniksuche, Vorbereitung, evtl. mit Spendenmitteln. Der erste Schritt ist ein Gang zum Hausarzt, der ein Attest ausstellen muss, dass die Mutter eine Kur benötigt. Die Krankenkasse muss dann den Antrag genehmigen. In den letzten Jahren haben wir erreicht, dass 87 Prozent der Anträge genehmigt werden. Wird ein Antrag abgelehnt, helfen die Beratungsstellen, Widerspruch gegen die Entscheidung einzulegen.
Welche Angebote gibt es in der Kur?
Zu Beginn gibt es eine ärztliche Untersuchung und ein sozialtherapeutisches Gespräch. Danach wird ein individueller Therapieplan ausgearbeitet. Die Angebote von medizinischen Bädern, Nordic Walking, Rückengymnastik, über Vorträge zum Thema Kochen oder ADHS bei Kindern bis hin zu therapeutischen Gruppen und Einzelgesprächen. Ziel ist es, dass die Frauen wieder was für sich selbst tun, an ihrer Gesundheit arbeiten.
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Wie wird entschieden, in welche Einrichtung die Familie kommt?
Das hängt in erster Linie von der medizinischen Indikation ab. Dann sind die eigenen Bedürfnisse und Wünsche wichtig, je nach Krankheits- und Lebenssituation. Es gibt Häuser mit Schwerpunkt für Frauen, die Trauerarbeit zu bewältigen haben, für Frauen mit Migrationshintergrund, für Frauen mit Kleinstkindern, für Frauen mit behinderten Kindern oder für Frauen nach einer Krebserkrankung. Die Krankenkasse entscheidet, aber mit dem Wunsch- und Wahlrecht der Versicherten sollte die Frau ihren Wunsch mit dem Antrag formulieren.
Und wo sind die Kinder, wenn die Mütter Therapietermine haben?
In jeder Klinik gibt es qualifizierte Kinderbetreuung. Wünscht sich eine Mutter wieder mehr Zeit für sich selbst, muss sie eine Klinik mit einem großen Betreuungsumfang aussuchen. Möchte eine Frau wieder mehr Zeit mit den Kindern verbringen, gibt es Kliniken mit speziellen Konzepten. Alle Kliniken bieten Mutter-Kind-Interaktion, gemeinsame Angebote für Mutter und Kind, die die Bindung stärken sollen. Da wird dann gemeinsam gebastelt, es gibt Ausflüge oder Baby-Massage.
Was kostet so eine Kur?
Die Krankenkasse übernimmt die Kosten. Allerdings müssen die Frauen 10 Euro am Tag dazuzahlen, außerdem einen Teil der Reisekosten übernehmen. Und vor Ort braucht man etwas Taschengeld, beispielsweise für ein Eis während eines Ausfluges. Sind die Mütter bedürftig, also zum Beispiel Hartz-4-Empfängerinnen, können über die Beratungsstellen Spendengelder des Müttergenesungswerkes eingesetzt werden.
Warum sollten Mütter eine Kur machen?
Mutter sein ist ein 24-Stunden-Job. Mütter wollen immer alles perfekt machen und vergessen dabei oft ihre eigenen Bedürfnisse und werden krank. Oder eine Frau muss oder will auch arbeiten und diese Doppelbelastung hat Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Beziehung und ihre Gesundheit. Ziel ist es, drei Wochen aus dem Alltag herauszukommen, mit Hilfe von Experten einen Blick von außen auf das eigene Leben zu bekommen und Strategien zu erarbeiten, Verbesserungen in den Alltag zu Hause zu bekommen.
Viele Mütter haben Hemmungen, eine Kur zu beantragen.
Ja, leider. Das zeigt vielleicht, dass die Arbeit und die Belastungen von Müttern immer noch zu wenig Wertschätzung erfahren. Das Müttergenesungswerk setzt sich deshalb nachdrücklich für Information und Aufklärung ein. Eine Kurmaßnahme ist kein Urlaub.