Plötzlicher Kindstod und unsensible Behörden: Eine Betroffene erzählt

Immer dabei: Im Wohnzimmer der Familie steht ein Foto des kleinen Johann.

Immer dabei: Im Wohnzimmer der Familie steht ein Foto von Johann.

Wenn das eigene Kind stirbt, bricht für Eltern eine Welt zusammen. Dörte hat genau diesen Albtraum kürzlich erlebt, als sie ihren dreijährigen Sohn Johann am Morgen des 1. November 2019 tot in seinem Bettchen findet. Was danach folgte, war außer der unendlichen Trauer auch eine Odyssee im Umgang mit den Behörden. Diese fielen vor allem durch ihr unsensibles Verhalten auf. In einem offenen Brief, den Sie hier lesen können, hat Johanns Mutter, die selbst Richterin ist, deshalb Staatsanwaltschaft und Rechtsmedizin um mehr Mitmenschlichkeit gebeten. Wie es ihr heute geht, und warum sie schon bald mit der Staatsanwaltschaft an einem Tisch sitzen wird, lesen Sie hier.

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Liebe Dörte, Ihr dreijähriger Sohn Johann ist im November 2019 überraschend gestorben. Können Sie etwas darüber erzählen?

Johann kam 2016 als Frühchen zur Welt. Bereits bei 18+0 SSW hatte ich einen Blasensprung. Ich habe dann elf Wochen lang gelegen und wir haben es zusammen bis 29+0 SSW geschafft. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich eine Infektion ab, sodass er auf die Welt geholt wurde. Es stand einige Tage lang nicht gut um ihn, aber er hat gekämpft wie ein kleiner Löwe, sodass er nach genau hundert Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte. Er hatte zwar nachfolgend immer mal Probleme mit Atemwegsinfekten in der Winterzeit, wie es viele ehemalige Frühchen haben. Insgesamt war er aber nach allen ärztlichen Befunden ein völlig gesundes Kind ohne nennenswerte – gesundheitliche – Spätfolgen. Er ging gerne in seine Kita, liebte Musik, Waschmaschinen und Staubsauger. Und seine große Schwester Emmi. Im Oktober haben wir seinen dritten Geburtstag gefeiert, er war so stolz, nun „auch groß“ zu sein. Am 1. November wollte ich Johann morgens wecken, nachdem sich seine Schwester auf den Weg in die Schule gemacht hatte. In seinem Bettchen, mit seiner Kuscheldecke und seinem Hasen im Arm, habe ich ihn dann leblos gefunden. Er lag in der gleichen Position, in der er am Vorabend eingeschlafen war. Allem Anschein nach ist er im Schlaf gestorben. Einfach so.

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Wie geht es Ihnen seit diesem Tag? Wie gehen Sie und Ihre Familie mit dem schrecklichen Verlust um?

An diesem Morgen ist unsere heile Welt über uns zusammengebrochen. Die ersten Tage und Wochen sind wie in einem dichten Nebel an uns vorbeigezogen. Ganz häufig habe ich mich gefühlt, als würde ich träumen, und mir verzweifelt gewünscht, ich könnte endlich, endlich aufwachen aus diesem Albtraum. Nur sehr langsam hat sich in meinem Kopf die Erkenntnis durchgesetzt, dass das alles wirklich passiert ist und das „Ohne-ihn-sein“ nun unser Leben ist. Mein Mann und ich haben viel Halt aneinander und durch die Zuwendung unserer Familie, unserer Freunde und Kollegen gefunden. So viele Menschen haben Anteil genommen und das hat uns sehr getröstet. Wir versuchen, jeden Tag weiterzumachen, allein für unsere Tochter müssen wir es. Sie ist so ein tapferes, mutiges und kluges Mädchen, wir tun alles, um es für sie leichter zu machen. Sie vermisst ihren kleinen Bruder, den sie immer beschützen wollte, sehr.

Dörte fühlt sich von den Behörden schlecht informiert. In einem Gespräch mit der Staatsanwaltschaft, das zeitnah ansteht, soll auch der angemessene Umgang mit Trauernden ein Thema sein.

Dörte fühlt sich von den Behörden schlecht informiert. In einem Gespräch mit der Staatsanwaltschaft, das zeitnah ansteht, soll auch der angemessene Umgang mit Trauernden ein Thema sein.

Für Sie war es eine zusätzliche Belastung, wie die Behörden mit Ihnen umgegangen sind. Was genau ist passiert nach dem Tod von Johann?

An jenem Morgen kamen neben dem Notarzt und den Rettungskräften auch Beamte der Kriminalpolizei zu uns. Sie haben Johanns Körper mitgenommen und in die Rechtsmedizin der hiesigen Uniklinik gebracht. Das hängt damit zusammen, dass in Fällen wie diesem – wenn also ein Kind ohne ersichtlichen Grund stirbt – ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, um auszuschließen, dass es irgendeine Fremdeinwirkung gab, die den Tod zur Folge hatte. Im Rahmen dieses Verfahrens wird eine rechtsmedizinische Untersuchung durchgeführt, um die möglichen Ursachen zu beleuchten. Auch an Johanns Körper wurde eine Obduktion durchgeführt, das heißt unter anderem, dass seine Organe begutachtet wurden. Man hat bei dieser Untersuchung nichts gefunden, was seinen Tod hätte erklären können, und daher weitere Untersuchungen, insbesondere der entnommenen Gewebeproben, angeordnet. Ein Ergebnis haben wir bislang nicht. Dieses Verfahren ist gesetzlich vorgesehen und ich halte es auch für völlig richtig. Allerdings hat mich extrem belastet, dass wir während dieser Zeit nicht umfassend und mitfühlend informiert worden sind, darüber, was mit unserem Kind geschieht. Immer wieder, wenn ich bei Polizei, Rechtsmedizin oder Staatsanwaltschaft angerufen habe, hat man mich hin und her verwiesen und mir gesagt, dass vor dem formellen Abschluss des Verfahrens keine Informationen erfolgen werden. Wir hingen in dieser Zeit völlig in der Schwebe, erst nach einer Woche hatten wir überhaupt die Möglichkeit, Johann noch einmal zu sehen und uns von ihm zu verabschieden. Ich habe letztlich die Informationen, die ich haben wollte, bekommen; das aber nur, weil ich immer und immer wieder nachgehakt und gebohrt habe.

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Welche Reaktion hätten Sie sich stattdessen gewünscht?

Ich hätte mir gewünscht, dass ich zu Beginn des Verfahrens einmal vernünftig und umfassend informiert worden wäre, was nun passiert und welche Schritte im Einzelnen durchgeführt werden. Ich hätte mir gewünscht, dass man mir gesagt hätte, dass und wann die eigentliche rechtsmedizinische Untersuchung stattfindet. Ich habe Nächte damit verbracht, zu grübeln, ob man mein Kind bereits aufgeschnitten hat oder nicht. Ich wusste es ja einfach nicht. Und ich hätte mir gewünscht, dass man mir die vorläufigen Ergebnisse der medizinischen Untersuchung mitgeteilt hätte. Von sich aus und nicht nur, weil ich so hartnäckig wieder und wieder danach gefragt habe. Ist es nicht ohne Weiteres naheliegend, dass man einer Mutter, die ihr Kind verloren hat, sagt, dass nach dem vorläufigen Untersuchungsbefund nichts dafür spricht, dass das Kind gelitten hat, als es starb? Dass es mit einiger Wahrscheinlichkeit keine Schmerzen hatte? Für mich und auch für meinen Mann war das unheimlich wichtig. All diese Informationen hätte man uns ohne Weiteres geben können, weil vonseiten der Behörde nie im Raum stand, dass gegen uns ermittelt wird. Es gab nie irgendwelche Verdachtsmomente, die es geboten hätten, bestimmte oder alle Informationen aus prozessualen Gründen zurückzuhalten.

Einen Moment innezuhalten, sich vorsichtig vorzustellen, wie schrecklich die Situation für die Hinterbliebenen sein muss, und sich dann zu überlegen, was man tun könnte, um es wenigstens nicht schlimmer für sie zu machen, ist alles, was ich erwarte.

Sie sind Juristin – hat Ihnen Ihr Wissen in dieser Situation geholfen?

Ja, auf jeden Fall. Ich arbeite zwar nicht unmittelbar in diesem Bereich, aber ich kenne das grundsätzliche Verfahren, das in einem solchen Fall durchgeführt wird, beziehungsweise ich weiß schlicht, an welcher Stelle im Gesetz ich nachschauen muss. Eigentlich noch wichtiger war aber, so glaube ich es jedenfalls, dass meine Hemmschwelle, hartnäckig immer weiter zu fragen, einfach niedriger war als bei jemandem, der sich mit dem Ganzen nicht auskennt. Aufgrund meines beruflichen Hintergrundes habe ich natürlich viel weniger „Berührungsängste“ gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft. Ich musste in dieser furchtbaren Situation, in der ich schon überfordert war, mich für einen Bestatter zu entscheiden, nicht auch noch einen Rechtsanwalt aussuchen, um meine Belange durchzusetzen.

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Sie haben sich in einem offenen Brief an die Behörden gewandt. Warum war Ihnen das wichtig?

Das habe ich getan, weil ich mir wünsche, dass die Behörden ein wenig mehr Einfühlungsvermögen an den Tag legen, wenn Sie mit trauernden Familien konfrontiert sind. Ich erwarte nicht, dass der Staatsanwalt die ganze Zeit in seine Akte weint, weil er das Ganze so traurig findet. Das wäre auch gar nicht richtig, er soll ja objektiv ermitteln und herausfinden, was passiert ist. Das ist die Aufgabe der Behörde. Einen Moment innezuhalten, sich vorsichtig vorzustellen, wie schrecklich die Situation für die Hinterbliebenen sein muss, und sich dann zu überlegen, was man tun könnte, um es wenigstens nicht schlimmer für sie zu machen, ist alles, was ich erwarte. Dazu gehört es, zu informieren und Fragen zu beantworten, wenn sie gestellt werden, und nicht auf Formalien zu verweisen; das alles selbstverständlich nur, wenn das gewünscht wird. Wenn die Hinterbliebenen all das lieber gar nicht wissen wollen, ist auch das ihr gutes Recht.

Gab es Reaktionen auf den Brief?

Mittlerweile gibt es einen Gesprächstermin bei der Staatsanwaltschaft, dem ich positiv entgegensehe. Auch der Informationsfluss seitens der Behörde klappt derzeit gut. Es gibt Hinweise auf eine unerkannte – akute – Erkrankung, die sich im Rahmen der weiteren Untersuchungen ergeben haben und die Johanns plötzlichen Tod erklären. Die Trauerbegleiterin, die auch uns betreut, hat sich zum Beispiel bereit erklärt, sich mit den Vertretern der Behörde zusammenzusetzen und diese darin zu schulen, wie Trauernde in einer solchen Extremsituation fühlen und was man tun könnte, um sie nicht noch zusätzlich zu belasten. Man könnte mit kleinen Dingen eine wirkliche Verbesserung erzielen, aber man muss natürlich bereit sein, sich ehrlich darauf einzulassen. Von anderen Betroffenen haben wir zahlreiche Rückmeldungen erhalten, dass sie sich in einer vergleichbaren Situation befunden haben und sich, weil sie eben nicht „vom Fach“ sind, noch viel hilfloser als wir gefühlt haben. Auch Selbsthilfegruppen und Vereine, die Trauerbegleitung anbieten, haben mir geschildert, dass häufig Angehörige bei ihnen sitzen, die Ähnliches erlebt haben und die darunter, neben all dem anderen Schmerz, sehr leiden. Ich denke, es handelt sich also wirklich um ein strukturelles Problem. Hier muss sich etwas ändern.

Was gibt Ihnen momentan Kraft, um nicht an Ihrem Verlust zu zerbrechen?

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Meine Familie, vor allem mein Mann und unsere Tochter. Meine Arbeit, von der ich merke, dass sie mir Freude macht, egal, was in meinem Leben sonst passiert. Unsere lieben Freunde, die immer für uns da sind.

Was wünschen Sie sich für die kommenden Monate?

Die Kraft, weiterzumachen. Dass irgendwann die Erinnerung an unseren fröhlichen Jungen und sein viel zu kurzes, aber so intensives Leben nicht mehr so überwältigend schmerzt. Und ein Stück weit auch, dass ich etwas bewegen kann mit meinem Appell, und wenn es nur eine einzige Familie ist, der dadurch zusätzlicher Schmerz und unnötige Belastungen erspart bleiben.

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