Nervige Verwandtschaft: Wie man mit Streit in der Familie umgeht

Ein älterer Herr sitzt an einem Tisch und scheint aufgebracht. Im Hintergrund sieht man zwei Männer stehen.

Wird man bei einer Familienfeier von einem Verwandten persönlich angegriffen, heißt es: Ruhe bewahren.

Essen. Familientherapeut Björn Enno Hermans aus Essen rät, bei einer Meinungsverschiedenheit mit der Familie authentisch zu bleiben und sich, so gut es geht, in eine Person mit konträren Ansichten hineinzuversetzen. „Es könnte sinnvoll sein, darüber nachzudenken, welche Ereignisse im Leben des jeweiligen Familienmitgliedes zu gewissen Ansichten geführt haben", findet Sozialpädagogin Valeska Riedel aus Nürnberg. Oft steckten hinter rassistischen Aussagen zur Flüchtlingspolitik zum Beispiel Ängste. Vielleicht habe das Gegenüber selbst Besitz verloren oder musste fliehen. Da helfe es, nachzufragen. „Das heißt, sich wirklich füreinander zu interessieren", meint die Expertin.

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Sensible Themen vorsichtig behandeln

Wird man dagegen persönlich angegriffen, sei es zielführend, Ruhe zu bewahren und ganz neutral festzustellen, dass dieses Thema die Person offensichtlich beschäftigt und belastet. Beim genauen Zuhören könnte sich herausstellen, dass es gar nicht um einen selbst geht, sagt Dirk Pauli, systemischer Familientherapeut aus Mainz. „Manchmal soll durch solche Streits korrigiert werden, was jahrelang schief lief in der Familie", ergänzt der Experte. In so einem Fall seien Abgrenzung und Reflexion gefragt.

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Vor Familienmitgliedern die eigene Meinung verteidigen

Wenn sich keine konstruktive Diskussion ergibt, könne man seine Meinung sagen und zur Not gehen. „Wenn ich bei mir deutlich eine Grenze wahrnehme, muss ich die nicht gewaltsam niedertrampeln lassen", stellt Familientherapeut Hermans klar. Wichtig sei dabei, nicht abwertend zu werden. „Das Thema sollte von der Person getrennt werden", findet Pauli und wirbt für ein „liebevolles Abgrenzen", also sanft zu den Personen, aber hart im Thema zu sein. Sozialpädagogin Riedel regt zudem an, den Mut zu haben, die Meinung deutlich zu kommunizieren und sich gleichzeitig abzukoppeln davon, ob andere das befürworten.

Sich zu rechtfertigen sei keine gute Idee

Sollte es knallen, gilt es, mit den Konsequenzen zu leben und sich nicht zu rechtfertigen. „Rechtfertigung ist die Abwertung meiner eigenen Position im Nachhinein", sagt Riedel. Andere Familienmitglieder könnten den Kontakt abbrechen oder sich kritisch äußern, quasi als unerwünschte Nebenwirkung der Treue zu sich selbst. „Vorher muss ich daher abwägen, ob ich das kann und will", erklärt Hermans.

Auch ein Kontaktabbruch mit der Verwandtschaft koste Kraft und Energie

Dennoch: Die Verhaltensmuster in der Familie bleiben auch nach einem Kontaktabbruch bestehen. „Die gemiedene Person bekommt systemisch betrachtet sogar eine noch größere Bedeutung zugemessen", legt Pauli dar. Der Konflikt sei nicht beendet. Im Gegenteil: Er erhalte eine größere Relevanz. Vor allem, weil man sich häufig damit beschäftige. „Etwa, wenn es darum geht, den Nichtkontakt aufrechtzuerhalten und auszuhalten oder noch einmal auf die Person zuzugehen." All das kostet Kraft und Energie.

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Familienfeiern meiden: Die Lösung?

Bleibt die Frage, ob künftige Familienzusammenkünfte nicht besser gemieden werden sollten. „Niemand muss sich deshalb schlecht fühlen, nur weil es die Verwandten sind oder das nicht den Konventionen entspricht", tröstet Hermans. Und dennoch: Einfach nur abzusagen, weil es einem zu anstrengend ist, hält Pauli für eine traurige Motivation.

Vielleicht ließe sich etwas an der Art der Feier ändern? Oder an der inneren Einstellung? Auch Humor könne helfen. So ließe sich beispielsweise überlegen, was man selbst dazu beitragen kann, damit eine Feier weniger langweilig wird. Mit wem möchte ich mich unterhalten oder wen will ich unbedingt wiedersehen? „Das aktive Angehen ist besser als die passive Erwartungshaltung", findet Riedel.

Wenn nichts anderes möglich ist: Diplomatische Ausreden finden

Wenn all das nicht möglich ist, könne es eine Entscheidung sein, erst einmal nicht mehr hinzugehen. Das ließe sich sehr diplomatisch mit einer Ausrede erledigen. „Das ist als Ausnahme legitim oder als Übergangslösung, weil es nicht verletzend ist", erläutert Riedel. Gesünder sei es allerdings auch hier, authentisch zu bleiben. Gehe es etwa um einen Geburtstag, sollten Betroffene einen Weg finden, trotzdem angemessen zu gratulieren und vielleicht doch Zeit mit dem Jubilar zu verbringen, rät Hermans.

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Das A und O: Kommunikation

Der Psychologe würde sich mehr Bereitschaft zu Auseinandersetzungen wünschen. „Meine Sorge ist, dass es viele Themen in Familien gibt, über die gar nicht geredet wird oder nur übereinander statt miteinander." Eleganz gebe es bei der Trennung oder Abgrenzung von Verwandtschaft ohnehin nicht, meint Riedel. „Es hat alles seinen Preis und seinen Gewinn, aber die größte Eleganz liegt nach meiner Meinung in Authentizität."

Pauli empfiehlt, Muster zu erkennen, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten: „Und wer noch Spaß und Humor mit reinbringt, hat ohnehin gewonnen." Es ist und bleibt schließlich die Familie – und die kann sich niemand aussuchen.

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RND/dpa

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