Autorin Rike Drust: “Manchmal möchte ich den tänzelnden Buchmüttern gern ein Bein stellen”

Mamabloggerin, Feministin, Kinderbuchkennerin und nun auch selbst Kinderbuchautorin: Rike Drust.

Mamabloggerin, Feministin, Kinderbuchkennerin und nun auch selbst Kinderbuchautorin: Rike Drust.

Sie sind Bookstagramerin, besprechen also auf Instagram Kinderbücher. Neuerdings sind Sie auch selbst Kinderbuchautorin. Wie sind Sie dazu gekommen?

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Angefangen hab ich mit einem Blog. Ich habe da relativ früh über feministische Themen gebloggt. Dann kam mein Sohn, dann habe ich elternfeministisch gebloggt, gleichzeitig aber auch mit meinem Sohn total viel gelesen. Und irgendwann kristallisierte sich heraus, dass ich nur noch über Bücher geschrieben habe und auch nur noch Bock hatte, über Bücher zu schreiben. Dann hab ich nach der DSGVO den Blog eingestampft und gedacht: Ich mache das einfach nur noch auf Instagram.

Was braucht ein Kinderbuch, damit es Sie begeistert?

In erster Linie muss es bei meinen Kindern zünden.

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Allerdings finde ich Bücher, in denen immer der letzte Witz ist, dass jemand furzt, so für garantierte Lacher, auch nicht so toll.

Was sind das dann für Bücher, die Ihre Kinder und Sie begeistern?

Das ist total unterschiedlich. Ich hab gestern ein Buch gelesen über Kinder in Osteuropa, die ihre Kindheit ohne ihre Eltern verbringen, weil die in Italien arbeiten gehen. Das ist eine traurige, empathische Geschichte. Manchmal ist es also Mitgefühl, das mitreißt, manchmal die Kombination aus Text und Illustration. Am besten funktioniert bei uns aber Quatsch. Ein bisschen alberne Geschichten, die gern hintenrum eine Botschaft haben, aber nicht so zeigefingermäßig sind, sondern eher lustig.

Müssen Kinderbücher eigentlich immer einen pädagogischen Zweck erfüllen? Oder ist es Ihnen zu flach, wenn sie einfach nur albern sind?

Das ist mir überhaupt nicht zu flach. Wenn ein Kinderbuch meine Kinder zum Lachen bringt, dann ist das doch super. Allerdings finde ich Bücher, in denen immer der letzte Witz ist, dass jemand furzt, so für garantierte Lacher, auch nicht so toll. Nicht wegen der Fürze, sondern weil sie Kindern meiner Meinung nach so wenig zutrauen. Aber ich brauche trotzdem nicht in jedem Kinderbuch eine pädagogische Botschaft. Mir reicht es auch, wenn sich einfach alle freuen. Wenn die Kinder die Geschichte feiern und ich mich frage: Boah, wie kann man auf so was kommen?!

Haben Sie auch richtige Antikinderbücher?

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Ja, die gibt es. Aber das ist ja auch so ein persönliches Geschmacksding. Ich tue mich schwer damit, andere Kinderbücher zu bashen, weil ich es grundsätzlich toll finde, wenn Kinder lesen. Das kann ja etwas sein, was ich furchtbar finde, aber bei denen zündet das. Die lesen und die haben Bilder im Kopf, und ihr Hirn macht Sachen, die es bei nichts anderem sonst so machen kann wie beim Lesen.

Wenn sich meine Tochter also wünscht, dass ich ihr zum 800. Mal die “Frozen”-Geschichte vorlese …

(lacht) Filmnacherzählungen, ja super!

… würden Sie also sagen: Lieber “Frozen” vorlesen als gar nichts?!

Ja, auf jeden Fall! Bei mir ist das nur so, ich kann das dann schlecht aushalten. Als mein Sohn klein war, haben wir “Bobo Siebenschläfer” gelesen. Das haben alle total gefeiert, inklusive meines Kindes. Nur ich konnte das nicht vorlesen, weil ich dachte: Okay, die Sätze sind kurz, aber man könnte doch auch kurze Sätze lustig schreiben. Dann hat mein Mann das eben vorgelesen und ich habe weiter neue Bücher angeschleppt.

Wir haben zum Beispiel nie Sachen von Astrid Lindgren gelesen, obwohl ich die ganz toll finde, aber bei meinen Kindern hat es nicht gezündet.

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Gibt es Kinderbücher, die sehr beliebt sind, aber von denen Sie sagen: Die sind wirklich furchtbar?

Ich tue mich da echt schwer mit. Es gibt so alte Bücher, in denen man Sachen liest, die man heute nicht mehr sagen, machen, denken würde. Der “Struwwelpeter”, zum Beispiel. Den habe ich erst gelesen, als mein Sohn ein bisschen älter war, und dann haben wir parallel dazu den “Anti-Struwwelpeter” gelesen. Solche Bücher lese ich nicht einfach ungefiltert, sondern warte damit, bis wir die Geschichte gemeinsam einordnen können.

Der “Anti-Struwwelpeter” liefert den Gegenentwurf.

Ja genau, der ist total anarchisch, ein sehr lustiges Buch von F. K. Waechter. Aber es ist kompliziert. Ein bisschen vielleicht wie mit Hunden- und Katzenmenschen. Wir haben zum Beispiel nie Sachen von Astrid Lindgren gelesen, obwohl ich die ganz toll finde, aber bei meinen Kindern hat es nicht gezündet. Wir sind also keine Lindgren-, sondern eher die Christine-Nöstlinger-Familie.

Was ist denn der Unterschied?

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Astrid Lindgren steht für mich für Bullerbü, ich bekomme eher ein Bild von einer recht heilen, harmonischen Welt. Die Sprache fließt sehr. Christine Nöstlinger steht für mich eher für schrägere Handlungen mit drastischerer Sprache. Ich mag auch ihren österreichischen Dialekt. Es ist einfach ein bisschen krasser.

Mein elfjähriger Sohn fand Märchen immer doof, was ich gut fand, weil ich sie auch irgendwie blöd fand. Aus der Zeit gefallen, grausam, bis zu den Knien in Klischees.

Wie ist das bei Ihnen mit klassischen Märchen: Lesen Sie die Ihren Kindern überhaupt oder in abgeschwächter Form vor?

Mein elfjähriger Sohn fand Märchen immer doof, was ich gut fand, weil ich sie auch irgendwie blöd fand. Aus der Zeit gefallen, grausam, bis zu den Knien in Klischees. Dann kam meine Tochter, die Märchen liebt. Es beruhigt sie irgendwie, wenn das Böse vernichtet wird, und sie zuckt mit keiner Wimper, wenn jemand auf glühenden Kohlen tanzen muss. Wir haben zwei Märchenbücher, eines in einer superschwurbeligen Sprache mit sehr schrägen Illustrationen und eines von Richard Scarry, mit süßen Katzen und wirklich sonderbaren Märchen dazwischen. Die mag ich selbst auch. Und ich mag, dass die Kinder die Märchen erkennen können, wenn sie aufs Korn genommen werden oder sich sonst wie auf sie bezogen wird, zum Beispiel in den tollen Büchern von Sebastian Meschenmoser oder in den Märchen in asozial-Videos von Julien Bam.

Inzwischen sind einige Kinderbücher um gewisse Begriffe bereinigt. Pippi Langstrumpfs Vater ist mittlerweile der Südseekönig. Was würden Sie sagen: Sind Kinderbücher heute politisch korrekter?

Also erst mal ist politisch korrekt ja nichts Schlimmes. Ich würde auch immer Südseekönig lesen und nicht das N-Wort. Mein Sohn, der gerne Rap hört, ist von selbst auf die Idee gekommen, das N-Wort nicht mitzurappen, was ich sehr cool fand. Also ich glaube schon, dass man seine Kinder sensibilisieren sollte. Ein Problem bei den Büchern habe ich nur, wenn du dem Buch ansiehst und anliest, dass es auf Zehenspitzen durch die Geschichte marschiert und einfach nur versucht, alles richtig zu machen. Das kann dann echt angestrengt und langweilig rüberkommen. Aber ich glaube, dass es geht, alles richtig zu machen und trotzdem hat die Geschichte ordentlich Wums.

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In Ihrem Kinderbuch geht es um einen viel zu schwammigen Berg, eine kluge Eisverkäuferin und eine zigarettenrauchende Schwalbe.

(lacht) So viel zu politisch korrekten Kinderbüchern.

Ein Problem bei den Büchern habe ich nur, wenn du dem Buch ansiehst und anliest, dass es auf Zehenspitzen durch die Geschichte marschiert und einfach nur versucht, alles richtig zu machen.

Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?

Wir waren im Urlaub in Bayrisch Eisenstein und da hat es tierisch geschneit. Meine Tochter hat sich in den Schnee fallen lassen und gesagt: Mama, jetzt machen wir ein Picknick. Ich hatte aber gar nichts zum Picknicken dabei, also sollte ich eine Geschichte erzählen. In 95 Prozent der Fälle sage ich in so einer Situation: Och nee, mir fällt nichts ein! Da habe ich mich aber einfach in den Schnee fallen lassen und eine Geschichte erzählt. Und während des Erzählens dachte ich: Ach Mensch, das ist irgendwie lustig! Der Berg war da, die Eisverkäuferin war da, die war auch schon so wissenschaftlich-cool und die Eissorte, die den Berg hat zusammenziehen lassen. Die rauchende Schwalbe kam dann dazu, als ich ein paar Monate später das Manuskript schrieb.

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Die rauchende Schwalbe ist politisch vielleicht nicht korrekt, aber alle anderen Figuren sagen ja, dass sie Rauchen doof finden. Also ist das dann ja schon wieder eingeordnet, oder nicht?

Ja, aber ich finde, es muss gar nicht immer eine Einordnung stattfinden. Grundsätzlich frage ich mich, warum wir Kindern in Büchern nicht zeigen sollten, was alles los ist in der Welt. Ich kann die ja nicht hier die ganze Zeit in Watte packen oder denen in Büchern eine perfekte Welt zeigen, weil ich es gern so hätte. Und dann gehen sie aus der Haustür und fallen aus allen Wolken. Wir wohnen hier mitten in der Stadt, und wenn mein Sohn im Park Fußball spielen geht, wird da zum Beispiel mit Drogen gedealt. Da ist mir doch lieber, ich habe ihm das gesagt, er weiß Bescheid und kann souverän mit dem Thema umgehen. Und noch mal zum Buch: Klar ist Rauchen doof. Trotzdem habe ich sogar selbst geraucht und trotzdem sehen meine Kinder andere Menschen, die rauchen.

Grundsätzlich frage ich mich, warum wir Kindern in Büchern nicht zeigen sollten, was alles los ist in der Welt.

Sind Ihnen manche Kinderbücher zu glatt?

Manche, ja. Besonders, wenn in den Familien alles immer so harmonisch und immer liebevoll dargestellt wird. Manchmal machen mich die Buchfiguren, besonders die Eltern, dann richtig wütend, weil ich keine Mutter kenne, die so durchs Familienleben tänzelt, aber viele, die sich stressen, weil sie denken, sie müssten es. Dann möchte ich diesen tänzelnden Buchmüttern gern ein Bein stellen.

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Der Erfolg der Eisverkäuferin in Ihrem Buch beruht auch darauf, die Gebote und Verbote von Eltern zu unterwandern, etwa durch das Elternreinlege-Dauereis. Was meinen Sie: Könnten wir Eltern mehr Gelassenheit bei kleineren Unterwanderungen vertragen?

Ich glaube, ja! Ich war neulich bei einer Coachin, die mir sagte, ich bräuchte ein bisschen mehr Egalkompetenz. Das ist ein super Wort. Ich erinnere mich jetzt mehrmals täglich daran und denke nicht mehr so oft: Oh Gott, wenn ich jetzt hier einknicke, dann bricht hier die Anarchie aus, sondern eben: Ach, ist eigentlich auch egal. Und im Grunde genommen ist es ja wirklich egal, ob sie jetzt eine Kugel Eis essen oder zwei, oder ob sie eine halbe Stunde aufbleiben.

Manchmal machen mich die Buchfiguren, besonders die Eltern, dann richtig wütend, weil ich keine Mutter kenne, die so durchs Familienleben tänzelt, aber viele, die sich stressen, weil sie denken, sie müssten es.

Herzerwärmend ist ja die Beschreibung der Autorin am Ende Ihres Buches. Hat die Ihr Sohn geschrieben?

Ja! Heute Morgen hat er mich angeschnauzt, aber als er das schrieb, war er voller Liebe. Es war Corona, wir saßen alle zu Hause, und ich schob diesen Biografietext vor mir her. Dann hat er gesagt: Warum lässt du mich das dann nicht schreiben? Und hat dann diesen wunderschönen Text rausgehauen. Mareike, der Illustratorin, hat das so gefallen, dass sie ihn gebeten hat, ihren auch zu schreiben. Ich finde es super und schön, dass beide meiner Kinder an dem Buch beteiligt sind. Meine Tochter, weil sie mir die Geschichte aus der Nase gezogen hat, und mein Sohn, weil er Mareike und mir in den Bios so eine Liebeserklärung gemacht hat.

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Haben Sie schon die nächsten Geschichten im Kopf?

Tatsächlich sammle ich gerade Manuskripte und überlege, wie ich genau weitermache. Aber auf lange Sicht wünsche ich mir nichts mehr, als mehr Kinderbücher zu machen.

Auswahl an Buchtipps von Rike Drust

Für die ganz Kleinen:

Jean Jullien: Das ist kein Buch (Verlag Antje Kunstmann)

Buchtipp

Buchtipp

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“Bücher, die als Erstes behaupten, sie seien keines, sind mir schon mal sehr sympathisch. Die das dann auch noch einhalten und dafür sorgen, dass selbst sehr kleine Kinder ab zwei es drehen und wenden und gucken und klappen, schließe ich fest ins Herz und stelle sie meinem Kind ins Regal, selbst wenn es eigentlich schon zu groß dafür ist.”

Für 3 bis 5

Christine Nöstlinger: Florenz Tschinglbell (Nilpferd Verlag)

“Das Buch ist wirklich lustig geschrieben, besonders den Englisch-Deutsch-Mischmasch mochte ich sehr, die Illustrationen liegen schön zwischen lustig und gruselig und die Beschreibung der Figuren ist so treffend und fein beobachtet, dass das Ganze hier Christine Nöstlinger geschrieben haben muss.”

Für 6 bis 8

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Verena Hochleitner: Die 3 Räuberinnen (Tyrolia Verlag)

“Es geht zum Vorlesen ab fitten fünf und zum Selberlesen so um die acht. Und es ist verdammt gut. Das merke ich, weil ich beim Vorlesen heiße Ohren kriege und denke “So toll würdest du auch gern schreiben können”, und wenn meine Tochter nach dem Aufstehen als Erstes fragt, ob wir bitte gleich weiterlesen können. Beides ist passiert, und das völlig zu Recht. In diesem Buch verschmilzt die Realität mit der kindlichen Spielewelt besser als ein Weltklassekäse.”

Ab 10

Marianna Katrin: Irgendwo ist immer Süden (WooW Books Verlag)

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“Das Buch handelt von Ina, die mit ihrer Mutter in einer Sozialsiedlung wohnt und die Sommerferien hasst, weil alle Mitschüler in fancy Cluburlaube fliegen und sie dafür kein Geld hat. Sie behauptet deshalb ein bisschen hilflos, sie führe auch in den “Süden”, bleibt aber heimlich in ihrer Wohnung im Tyllebakken Bauverein. Ein neuer Junge in ihrer Klasse wohnt dort auch und entdeckt sie in ihrem Versteck. Erst findet sie ihn, Vilmer, voll peinlich, aber dann zeigt er ihr eine leer stehende, alte Hausmeisterwohnung, in der sie sich ihren eigenen Süden schaffen. Abgesehen von Süden entsteht dort eine kleine Liebe, wird die große Liebe des alten Hausmeisters wiederentdeckt und gemerkt, dass arm sein scheiße, aber verliebt sein schön ist.”

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