Flipped Classroom: So klappt’s mit dem digitalen Lernen
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Experten raten, die Lernmethoden zu mischen, um einen möglichst hohen Lernerfolg zu erzielen.
© Quelle: Stefan Puchner/dpa/dpa-tmn
Eichstätt/Osnabrück. "Viele Lehrer verstehen unter Digitalisierung, dass sie eingescannte PDFs per E-Mail verschicken", sagt Jürgen Möller. Der Leiter der Kölner Akademie für Lernpädagogik macht sich keine Illusionen darüber, wo Deutschland bei der Digitalisierung des Lernens steht.
Neues Modell mit vielen Möglichkeiten
Dabei seien die Möglichkeiten und Chancen vielfältig. "Die Digitalisierung bietet vor allem die Chance zur Individualisierung", meint Möller. "Man kann jedem Schüler die Materialien anbieten, die er benötigt, um für sich Wachstum zu erfahren." Das sei natürlich ein ganz anderes Modell als der klassische Unterricht, bei dem alle Kinder zur gleichen Zeit, am gleichen Ort, im gleichen Tempo den gleichen Inhalt vermittelt bekommen.
Beim Konzept des umgedrehten Unterrichts (Flipped Classroom) erarbeiteten sich die Kinder dagegen die Lerninhalte zunächst daheim und in der Schule gebe es dann aufbauende Übungen, erklärt Möller. Für den Part zu Hause könnten Lehrer etwa Videos oder andere digitale Lernmaterialien produzieren.
Die Mischung macht’s
So könnte digitales Lernen auch zukünftig in den Schulbetrieb integriert werden. Generell sei dem Lernerfolg ein Mischen der Methoden sehr zuträglich, weiß Möller: "Analoges Material zum Ausdrucken, digitales Material, persönliche Betreuung in der Sprechstunde und ein individuelles Lerntempo."
Florian Sochatzy, Geschäftsführer des Instituts für digitales Lernen in Eichstätt mahnt an, dass man nicht den Fehler begehen sollte, die Methoden und Inhalte der Schule des 19. Jahrhunderts ins digitale Zeitalter zu übertragen.
Vielmehr sollten Tools genutzt werden, die die Kommunikation und Interaktion anregten und die Schülermotivation aus eigenem Antrieb heraus förderten. Denn: "Lernen soll Freude bereiten und spannend sein", sagt Sochatzy. "Es soll Antworten auf Probleme der Gegenwart und Zukunft ermöglichen."
Auf digitalen Frontalunterricht verzichten
Viele Schulen haben nun für den Fernunterricht auf reine Videochats zurückgegriffen. Diese seien hilfreich, damit sich alle Schüler und der Lehrer für den Fernunterricht zeitgleich hören und sehen könnten, sagt der Medienberater und Lehrer André Hermes.
Wichtig sei jedoch vor allem ein System, das auch digitale Zusammenarbeit (Kollaboration) samt Austauschräumen (Breakout Rooms) für die Gruppenarbeit von Schülerinnen und Schüler bietet. Das erspare beiden Parteien stundenlangen Frontalunterricht mit passivem Zuhören, meint Hermes.
Ein populäres Beispiel mit all diesen Möglichkeiten, das an vielen Schulen während der Corona-Krise etabliert wurde, ist das quelloffene Webkonferenzsystem Big Blue Button.
Pädagogik mindestens genauso wichtig wie die Technik
All dies stehe und falle jedoch mit den digitalen Fähigkeiten und Erfahrungen der Lehrerin oder des Lehrers. Die momentane Fokussierung des digitalen Lernens auf reine Videochats kritisiert Hermes: "Nach der Corona-Krise wird diese Art des Unterrichtens durch Videokonferenzen überhaupt nicht mehr in der Schule gebraucht werden."
Stattdessen plädiert Hermes für die Verstärkung sogenannter Netzwerkhandlungen. "Man könnte auf digitalen Kanälen kommunizieren, digitale Ergebnisse produzieren und diese etwa von anderen Schülern redigieren lassen", erklärt der Experte. "Solche typischen Netzwerkhandlungen, wie sie auch später in der Arbeitswelt vorkommen, kann man sowohl online als auch offline machen."
Mit der wichtigste Aspekt beim digitalen Lernen ist die technische Ausstattung. "Es gilt grundsätzlich Technik vor Pädagogik", meint Hermes. "Ich kann mir noch so schöne pädagogische Konzepte ausdenken, wenn ein Schüler kein eigenes Gerät hat, das Familiengerät gerade im Homeoffice gebraucht wird oder der Schüler keine Internetverbindung hat, dann erreiche ich den Schüler nicht." Schwierig wird es auch, wenn eine App nicht für verschiedene Betriebssysteme verfügbar ist.
Wahl des Geräts kommt auf die Lerninhalte an
Für Lernanwendungen sei ein mobiles Gerät deutlich besser geeignet als ein PC, meint Florian Sochatzy. Generell müsse man sich zunächst immer fragen, was man lernen möchte und auf dieser Basis die Ausstattung auswählen: "Wenn ich Zeichnen lernen möchte oder einen Handcraft-Kurs belegen möchte, dann werde ich wahrscheinlich in Richtung eines Tablets mit Stift-Eingabe gehen." Wer Matheformeln rechnen oder Diskussionen führen möchte, werde eher auf eine gewisse Software angewiesen sein.
In der Schule spielten natürlich Fragen wie Akkulaufzeit, die Tragbarkeit von Geräten oder auch deren Stabilität eine große Rolle, sagt Sochatzy. „Daher nehmen wohl auch viele in den Schulen Tablets oder auch iPads, weil diese einfach sehr stabil sind.“
Zum Lernen würde oft bereits ein Smartphone ausreichen, meint Jürgen Möller. Ein Tablet hält aber auch er für noch besser geeignet, unter anderem, weil man dort Texte besser lesen könne. Und: "Ein Tablet kann man einfach bedienen, darauf tippen und wischen, daher ist es auch gerade für Kinder der einfachste Zugang zur Digitalisierung." Auch Notebooks zählten wegen ihrer Mobilität noch zu den Geräten der Zukunft für digitales Lernen, Desktop-PCs aber eher nicht mehr.
RND/dpa