Solomütter-Gründerin Sara Buschmann: „Alleinerziehend zu sein bedeutet mehr, als nur ein erhöhtes Armutsrisiko zu haben“
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Über 90 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden leben die meiste Zeit bei den Müttern (Symbolbild).
© Quelle: imago images/Westend61
Sie wollen mit Solomütter eine digitale Anlaufstelle für alleinerziehende Frauen sein. Wie entstand die Idee dazu?
Sara Buschmann: 2018 wurde meine Tochter geboren. Seit sie zehn Monate alt ist, bin ich alleinerziehend. Das war für mich anfangs ein ziemlicher Schock. Die Beziehung war gescheitert und nun machte ich Bekanntschaft mit Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen, Jugendämtern, Verfahrensbeiständen, Familienrichtern und Familienrichterinnen, Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen, Psychologen und Psychologinnen, Mediatoren und Mediatorinnen und vielen, vielen Sachbearbeitern und Sachbearbeiterinnen. Trotz zahlreicher Gespräche hatte ich nie das Gefühl, richtig und vollends informiert zu sein, egal, ob nun zu finanziellen Themen und staatlichen Unterstützungen oder zu trennungsspezifischen Regelungen. Auch die Anlaufstellen im Internet fand ich nicht ausreichend. Oft fehlte mir die Augenhöhe und ein echtes Verständnis. Im Austausch mit anderen Müttern in gleicher Situation wurde mir dieser Eindruck bestätigt. Das will ich mit Solomütter ändern. Wir wollen Alleinerziehende umfassend informieren und ihnen gleichzeitig eine Austauschplattform mit Gleichgesinnten bieten – in der akuten Trennungssituation, aber auch danach. Dieser Austausch soll natürlich nicht nur digital stattfinden, sondern eben auch im echten Leben mit einem Mentorenprogramm, das schon in den Startlöchern steht, und vielleicht sogar in Ortsgruppen. Das ist im Moment aber noch Zukunftsmusik.
Welche Inhalte brauchen Alleinerziehende besonders?
Bei uns gibt es neben den „harten“ Fakten und ganz praktischen Informationen zu Beratungsstellen und Hotlines zum Beispiel auch einen Magazinteil. Wir wollen relevante Familienthemen aufgreifen, politisch und kritisch, aber eben nicht nur negativ, sondern auch mit Vorbildern und Rolemodels, mit konstruktiven Inhalten und Vorbildern. Alleinerziehend zu sein bedeutet nämlich mehr als nur ein erhöhtes Armutsrisiko zu haben oder Sorgerechtsstreitigkeiten zu führen. Leider überwiegt dieses negative Bild, in den Medien und in den Elternforen. Ich hatte auch im ersten Moment große Angst davor, nun in Armut abzurutschen, mir keine schöne Wohnung mehr leisten zu können oder nie mehr einen Partner zu finden. Um solche Ängste zu nehmen und Mut für die Zukunft ohne Partner zu machen, müssen wir auch positivere Geschichten erzählen und konstruktive Lösungen aufzeigen – natürlich ohne strukturelle Themen außer Acht zu lassen.
In der Corona-Pandemie fühlen sich Familien im Stich gelassen. Die Belange von Alleinerziehenden spielten gefühlt sogar noch weniger eine Rolle – weder politisch noch medial. Wollen Sie neben dem Austausch untereinander auch mehr Sichtbarkeit für die Situation von Alleinerziehenden schaffen?
Ich habe das Gefühl, dass in Politik und Gesellschaft die Vielfältigkeit von Familie noch nicht ganz verstanden wurde. Es gibt heute mehr als nur Mutter-Vater-Kind – Regenbogenfamilien, Patchworkkonstellationen und Alleinerziehende. Sie alle werden oft politisch übersehen und nicht mitgedacht, auch das hat die Corona-Pandemie wieder einmal eindrucksvoll gezeigt. Gleichzeitig habe ich auch Hoffnung auf Besserung.
Alleinerziehend zu sein bedeutet nämlich mehr als nur ein erhöhtes Armutsrisiko zu haben oder Sorgerechtsstreitigkeiten zu führen.
Immerhin werden Eltern immer lauter und besser darin, ihre Bedürfnisse zu äußern, auch öffentlich und politisch. Hier hat die Pandemie zu einer positiven Radikalisierung geführt. Ich halte es für immens wichtig, dass die Herausforderungen von Alleinerziehenden nicht nur uns als „Betroffenen“ bekannt sind, sondern einer breiten Masse. Nur so wird sich grundlegend etwas ändern können. Deshalb ist ein Sprachrohr zu sein auch ein erklärtes Ziel des Solomütter-Projektes.
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Zur Person: Sara Buschmann ist studierte Designerin, ehemalige TV- und Hörfunk-Redakteurin und seit rund 15 Jahren im Bereich PR, Marketing und strategische Kommunikation tätig. Im März 2021 gründete sie in engem Austausch mit anderen Alleinerziehenden die gemeinnützige Plattform www.solomuetter.de.
© Quelle: Nadja Kretzschmar
Welche Konsequenzen hat die politische Ignoranz für Alleinerziehende?
Ein gutes Beispiel sind die Steuern. Mein Bruder ist verheiratet und hat mit seiner Frau einen besseren prozentualen Steuersatz als ich als alleinerziehende Mutter. Das kann nicht sein. Ähnlich sieht es mit dem Corona-Kinderbonus aus. Wir Mütter mit Residenzmodellbetreuung müssen dieses Geld mit den Vätern teilen, obwohl die Kinder die meiste Zeit des Monats bei uns leben. Das gilt übrigens auch für Alleinerziehende, bei denen sich der Partner oder die Partnerin überhaupt nicht kümmert oder kaum mehr als den Mindestunterhalt zahlt. Auch die Kinderbetreuung ist für uns Alleinerziehende oft schwierig, nicht erst seit Corona. Ich lebe in einer Kleinstadt. Dort ist es eher die Ausnahme, dass eine Kita bis um 16 oder 17 Uhr geöffnet hat oder Kinder schon mit zwölf Monaten in die Krippe kommen. Beides brauchte ich aber, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch viele Arbeitgeber machen um Alleinerziehende lieber einen Bogen, weil sie vielleicht häufiger ausfallen können. Auf solche Missstände und dieses fehlende Verständnis wollen wir bei Solomütter hinweisen, in den Diskurs gehen und gemeinsam nach konstruktiven Lösungen suchen.
Mein Bruder ist verheiratet und hat mit seiner Frau einen besseren prozentualen Steuersatz als ich als alleinerziehende Mutter.
Die Corona-Pandemie wird immer wieder als Brennglas für die Probleme, die es schon vorher gab, bezeichnet. Wie haben Sie das letzte Jahr als Alleinerziehende erlebt?
Da ist viel Wahres dran. Die Kinderbetreuung ist weggebrochen. Wir konnten aus Angst vor einer Ansteckung die Großeltern weniger in die Betreuung einbinden. Meine Tochter ist mit drei Jahren nur bedingt in der Lage, sich selbst zu beschäftigen. Das heißt, ich habe früh am Morgen und in der Nacht gearbeitet, um meine Anstellung nicht zu verlieren. Für ganz wichtige Mails oder Telefonate wurde zwischendurch auch mal das Tablet oder der Fernseher angeschaltet. Das ging in den ersten Wochen und Monaten noch ganz gut. Inzwischen würden mir genau dafür die Kraftreserven fehlen. Und natürlich fiel auch die soziale Komponente weg. Ich hatte schlicht keine Zeit für den virtuellen Austausch mit Freunden. Es gab nur Kinderbetreuung und Arbeit und keine Zeit mehr für mich. Irgendwann habe ich deshalb mit latent schlechtem Gewissen und Bauchschmerzen die Notbetreuung in Anspruch genommen. Auch Kinderkrankentage wollte ich mir nicht gönnen, einfach aus Angst, ständig im Job zu fehlen. Selbst die Papazeit stand zeitweise für meine Tochter auf der Kippe, weil Reisen zwischen den Bundesländern kritisch waren und sonst im schlimmsten Fall Quarantäne nötig gewesen wäre.
Es gibt ja mit dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter auch schon andere Lobbyvereine. Gibt es dort auch Austausch?
Wir stehen in ganz engem Austausch mit dem Verband und mit der Initiative von alleinerziehenden Müttern (MIA). Das ist auch sehr wichtig, immerhin wollen wir alle gemeinsam etwas bewegen. Gleichzeitig sehe ich unsere Aufgabe weniger in der Lobbyarbeit, das können die Kollegen und Kolleginnen deutlich besser.
Über 90 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden leben die meiste Zeit bei den Müttern.
Solomütter ist Community, Netzwerk und Magazin und weniger ein politischer Verein. Nichtsdestotrotz wollen wir ihre Aktionen und Forderungen bei uns spiegeln und damit zusätzliche Öffentlichkeit schaffen.
Richtet sich euer Angebot auch an alleinerziehende Väter?
Über 90 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden leben die meiste Zeit bei den Müttern. Und sie haben aus meiner Sicht auch mit größeren strukturellen Problemen zu kämpfen – und diese fangen schon weit vor dem Mutterwerden an: Frauen sind im Job noch immer benachteiligt, Stichwort „Gender Pay Gap“ beispielsweise. Wir tragen meist einen Großteil der mentalen Last der Familie und arbeiten häufiger in Teilzeit. Diese Themen fallen nach einer Trennung noch deutlich stärker ins Gewicht und uns fehlt häufig schlicht Einkommen. Aber wir schließen natürlich auch keine Väter aus. Sie sind auch in der Community mit ihren Fragen und Problemen sehr willkommen.